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Populismus ist vielfältig - und nicht neu. Pegida gibt es auch als Räuchermännchen.

© Jan Woitas/dpa-pa

Gefährdungen der Demokratie: Der Populismus testet das Immunsystem des Westens

Populismus ist keine spontane Revolte, sondern bringt schleichende Veränderung- auch gegen den Willen einer Gesellschaft. Europa muss wachsam bleiben. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

In Österreich ist der FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer dem Grünen Alexander Van der Bellen unterlegen. In den Niederlanden hat der Konservative Mark Rutte den islamophoben Geert Wilders degradiert. In Deutschland guckt die AfD ihren Umfragewerten beim Fallen zu. Donald Trump regiert zwar, aber als unbeliebter Präsident, mit dem nur 42 bis 45 Prozent der Amerikaner zufrieden sind.

Und in Frankreich wurde Marine Le Pen nun von einem Nachwuchsstar geschlagen. „Die Saison des wachsenden Populismus ist zu Ende gegangen“, freute sich deshalb am Mittwoch der Präsident des Europaparlaments, Antonio Tajani. Stimmt das?

Das Brexit-Trump-Gefühl, der Westen in seiner An-und-Fürsichlichkeit könne von jetzt auf gleich von einer populistischen Restitution hinweg gefegt werden, ist verflogen. Doch so wenig, wie die liberale Demokratie tot ist, ist es auch der Populismus.

Populismus ist ein bei Wahlen erfolgreiches Konzept

In einer viel zitierten Studie zum europäischen Populismus von 2016 haben die Politikwissenschaftler Pippa Norris und Ronald Inglehart gezeigt, dass sein Wachstum jahrzehntealt ist – und in vielen Ländern eher einer Wellenbewegung folgte. Man denke zum Beispiel an die FPÖ. Insgesamt aber konnten laut Norris und Inglehart rechte und linke populistische Parteien zusammen über alle europäischen Länder hinweg ihre Zustimmungswerte zwischen 1960 und 2010 von knapp zehn Prozent auf etwa ein Viertel der Stimmen steigern.

Der Populismus ist keine spontane Revolte, sondern eine schleichende Restitution. Er ist die Bewegung gegen den globalen Erfolg kosmopolitischer Werte. Es geht um die Rückgewinnung all jener Identitäten – Geschlechtsidentitäten, nationaler Identitäten, die Identität als Arbeiter –, die an der Postmoderne zerschellt sind. Gegen ein rasches Ende des Spuks spricht, dass Ursachen dieser Verlustängste wie die Einwanderung und die Digitalisierung erst am Anfang stehen.

Gegen ein rasches Ende spricht auch, dass es nicht nur die Älteren, Enttäuschten sind, die diese Restitution tragen. Marine Le Pen kam unter den 18 bis 24-Jährigen auf 44 Prozent der Stimmen. Auch die deutsche AfD hat Erfolg unter jungen männlichen Wählern. In vielen europäischen Ländern hat die Demokratie die Jungen nicht besonders gut behandelt. Eine YouGov-Studie hat eben ergeben, dass nur die Hälfte der jungen Europäer sie als beste Staatsform sehen. Sie mögen ihre Einstellungen mit dem Älter-Werden ändern, aber eine Garantie dafür gibt es nicht.

Auch gegen die Gesellschaft verändern die Populisten sie

Bislang scheinen die Immunsysteme der Demokratien zu funktionieren. In Deutschland und den Niederlanden verweigern die Etablierten den Populisten die Koalitionen. In den USA stellen sich die Zivilgesellschaft, der Kongress und die Gerichte gegen die krassesten Ideen. Dennoch haben Populisten längst begonnen, die westlichen Demokratien zu verändern. Sie verändern die Programme der etablierten Parteien: Ukip liegt zwar am Boden, doch der Brexit gehört jetzt den Tories. Und dort, wo Populisten an der Macht sind, in Ungarn und Polen, höhlen sie ungeniert die Presse- und Wissenschaftsfreiheit und das Justizsystem aus.

Um dem Populismus richtig zu begegnen, ist es deshalb nötig, das Bild zu korrigieren, das nach den Überraschungssiegen in Großbritannien und den USA entstanden ist. Der Populismus überrollt die westlichen Demokratien nicht, er reagiert mit ihnen und formt sie – und sie formen ihn. Denn auch die Populisten gleichen sich an. In Deutschland ist Frauke Petrys Idee von einer AfD als bürgerliche, nationalkonservative Partei gescheitert – vorerst. Im Front National aber kündigt sich ein ähnlicher Richtungsstreit an. Der Front National könnte antisemitische, geschichtsrevisionistische Positionen ablegen und mehrheitsfähiger werden.

Umso wichtiger ist es, nicht zu früh zu entwarnen, sondern genau zu beobachten, wie sich der Populismus wandelt und wie wir uns mit ihm wandeln. Trotz aller Erleichterung: Europa darf jetzt nicht die kritische Selbstbeobachtung aufgeben.

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