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Missbrauchs-Opfer Adrian Koerfer, Sozialpädagogin Sabine Andresen und der Missbrauchs-Beauftragte Johannes-Wilhelm Rörig (von links).

© dpa

Fünf Jahre Missbrauchs-Debatte: Das Schweigen der Männer

2010 wurde sexueller Missbrauch schlagartig bundesweit ein Thema. Fünf Jahre später sagen Opfer ernüchtert, dass es kaum Fortschritte gebe

Klaus Mertes klingt einen Moment resigniert: „Auch heute noch gibt es Opfer von sexuellem Missbrauch, denen nicht geglaubt wird“, sagte der Pater. Mertes, der frühere Rektor des Berliner Canisiuskollegs, hatte 2010 mit seinem Bericht über Fälle an seiner Schule Missbrauch schlagartig bundesweit zum Thema gemacht. Am Montag hat er mit Betroffenen sowie dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, und der Sozialpädagogin Sabine Andresen Bilanz von fünf Jahren Aufarbeitung zum Thema Missbrauch gezogen.

Das allgemeine Fazit fällt ernüchternd aus. Die Frage nach Schmerzensgeld sei nicht oder unbefriedigend gelöst, Institutionen wie die katholische Kirche seien an einer Aufklärung nicht interessiert, Präventionsmaßnahmen in Schulen und anderen Einrichtungen seien unzureichend, die Aufklärung über das Thema Missbrauch sei nicht umfassend genug.

Adrian Koerfer, der in der Odenwaldschule missbraucht worden war, sagte: „Wir sind noch nicht weit gekommen. Die Sprachlosigkeit der Verantwortlichen an der Schule macht uns Opfer sprachlos.“ Besonders umstritten ist die Frage der finanziellen Entschädigung. Der Jesuitenorden, dem Mertes angehört, zahlt jedem Opfer 5000 Euro. „Ich verstehe, dass dieser Betrag als zutiefst unbefriedigend empfunden wird“, sagte Mertes. Er hat diese Summe freilich mitzuverantworten, weil er an der Entscheidung beteiligt war. „Es ist ein ärmliches Zeichen, aber ein Zeichen“, sagte er.

Matthias Katsch, der am Canisiuskolleg missbraucht worden war, kritisierte, dass die katholischen Kirche „nur bis zu 5000 Euro bezahlt“. Zudem würden Opfern, die einen entsprechenden Antrag stellten, Informationen abverlangt, die „unwürdig sind“.

Odenwaldschule war ein Vorzeige-Beipsiel der Reformpädagogik

Einig sind sich alle Betroffenen, dass von Institutionen wie der Kirche nach wie vor viel verschwiegen und vertuscht werde. „Es ist bedrückend, gegen das Schweigen anzukämpfen“, sagte Mertes. Kritisiert wurde auch, dass „sich die katholischen Bischöfe bis heute nicht mit den Opfern an einen Tisch gesetzt haben“.

Die Sozialpädagogin Andresen, zugleich Vizepräsidentin des Deutschen Kinderschutzbundes, sagte, „ihre Organisation müsse selbstkritisch überprüfen“, ob sie in den 70er und 80er Jahren genügend gegen den Missbrauch getan habe. Zudem müsse sich die Forschung fragen lassen, welchen Anteil die Reformpädagogik an den Missbrauchsfällen habe. Die Odenwaldschule war ein Vorzeige-Beispiel der Reformpädagogik.

Große Hoffnung setzen die Betroffenen sowie Rörig in eine Unabhängige Kommission, in der ab 2016 die früheren Missbrauchsfälle untersucht werden sollen. „Die Kommission soll Ausmaß und Folgen des sexuellen Missbrauchs der breiten Öffentlichkeit bekannt machen“, sagte Rörig. Er gab zu, dass die Ergebnisse lediglich empfehlenden Charakter haben können, allerdings könne die Kommission zum Beispiel mit Nachdruck einen Landtag zur Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses drängen, der dann umfassende juristische Möglichkeiten habe.

In dieser Woche berät der Bundestag über solch eine Unabhängige Kommission. Rörig möchte, „dass die Ressourcen für diese Gruppe im Haushalt 2016 verankert werden“.

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