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Die Chefin des rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, am vergangenen Freitag in Wien.

© AFP

Front National und Co.: Europas Rechtspopulisten hoffen auf den Brexit

Egal wie das Briten-Referendum am kommenden Donnerstag ausgeht - im Lager der Front-National-Chefin Marine Le Pen erhofft man sich im Europaparlament Rückenwind.

Marine Le Pen ist eine Frau mit zwei Gesichtern. Im Februar richtete die Chefin des rechtsextremen Front National (FN) einen Blog ein, in dem sie sich als Privatperson präsentierte. Unter den Fotos, die dort zu sehen sind, fallen vor allem die Aufnahmen der 47-Jährigen mit ihren Katzen auf. Marine Le Pen, die sich hier als Normalbürgerin von nebenan zeigt, hat aber auch noch eine ganz andere Seite. Die beweist sie regelmäßig im Europaparlament in Brüssel und in Straßburg, wo das Plenum tagt.

Das Europaparlament dient der Frau, die im kommenden Jahr zur Präsidentin Frankreichs gewählt werden möchte, als Bühne für harte Attacken gegen die Europäische Union. So bejubelte sie vor vier Monaten in Brüssel das bevorstehende EU-Referendum in Großbritannien. Sie lobte die „Lebendigkeit der englischen Demokratie“ und frohlockte angesichts der Aussicht, dass die Briten im Fall eines Votums für den Brexit den „Weg der Freiheit“ wählen würden. „Die Europäische Union führt sich auf wie eine Tyrannei“, ätzte sie.

Es ist eine sonderbare Rolle, die Marine Le Pen im Europaparlament spielt. Einerseits gehört sie als Chefin der Fraktion „Europa der Nationen und der Freiheit“ (ENF) dort selbst zum EU-Betrieb. Andererseits besteht das Ziel der Fraktion am rechten Rand des Hauses in der Auflösung der EU. Mit dem britischen EU-Referendum am kommenden Donnerstag hofft die ENF, die kleinste aller Fraktionen im Europaparlament, diesem Ziel ein Stück näher zu kommen.

Front National will eine Debatte über den "Fraxit" anstoßen

Noch ist offen, ob es zum Brexit kommt. Aber die ENF-Fraktion stellt sich schon jetzt in jedem Fall als Sieger dar. „Wie auch immer das Referendum ausgeht: Wir sind zufrieden“, sagt der Europaabgeordnete Bernard Monot, der den Front National in Straßburg vertritt und gerade für seine Partei eine „Doktrin des wirtschaftlichen Patriotismus“ verfasst hat. „Ein Brexit würde die EU-Skepsis europaweit befördern“, lautet Monots Kalkül. Und falls die Briten nicht aus der EU austreten, dann können sie nach seiner Ansicht als Vorreiter auf einem Weg gelten, den die Franzosen nach den Worten von Monot ebenfalls einschlagen sollten: raus aus der Euro-Zone und raus aus dem Schengen-Raum. Dass der Front National letztlich das komplette Ausscheiden Frankreichs aus der EU als Ziel verfolgt, will der Europaabgeordnete gar nicht kaschieren: „Wir wollen eine Debatte über den Fraxit anstoßen, wenn Marine Le Pen zur Präsidentin gewählt wird.“

Eine Wahl Le Pens zur Präsidentin und der Fraxit, ein Austritt Frankreichs aus der EU – es sind dies zwei Schreckensszenarien, die das Ende der EU besiegeln würden, wenn sie sich bewahrheiten sollten. Um sich politisch für das Wahljahr 2017 in Stellung zu bringen, verzichtet die Tochter des Parteigründers Jean-Marie Le Pen in der Heimat auf allzu schrille politische Töne. Nach dem Terrorakt der vergangenen Woche, bei dem ein Islamist in der Nähe von Paris eine Polizistenfamilie tötete, richtete sie zwar erwartungsgemäß einen Verbalangriff gegen Präsident François Hollande. Der Staatschef, forderte sie, solle endlich in den Krieg gegen den Islamismus ziehen, statt nur davon zu reden. Aber es fällt auf, dass sich die FN-Chefin vor dem heimischen Publikum seit einiger Zeit vergleichsweise gemäßigt präsentiert. Mit dem moderaten Auftritt will sie die gesellschaftliche Mitte erreichen.

Rechtspopulisten vernetzen sich international

Auch auf der internationalen Bühne versucht die Frontfrau des Front National, die 2010 noch Gebete von Muslimen in der Öffentlichkeit mit der NS-Besatzung Frankreichs während des Zweiten Weltkriegs verglichen hatte, aus der Schmuddelecke herauszukommen. Am vergangenen Freitag feierte sie in Wien gemeinsam mit dem Chef der rechtspopulistischen FPÖ, Heinz-Christian Strache, einen „patriotischen Frühling“. Das Bündnis mit der FPÖ ist kein Zufall: Nach dem Front National zählt die FPÖ innerhalb der rechten ENF-Fraktion im Europaparlament neben den Vertretern der Freiheitspartei des Niederländers Geert Wilders und den italienischen Abgeordneten von der Lega Nord zu den stärksten Kräften.

Gute Kontakte pflegt Le Pen auch mit dem russischen Duma-Präsidenten Sergej Narischkin. Der Draht nach Russland ist für sie auch von großem finanziellen Wert: Vor eineinhalb Jahren berichtete das Internetportal Mediapart, dass der FN für die kommenden Wahlkämpfe in Frankreich einen Millionenkredit aus Russland erhalte.

Trotz ihrer Versuche, den Front National zu entdämonisieren, wird Marine Le Pen im Ausland immer noch misstraut. Le Pens Vater hatte die Gaskammern der Nazis als ein „Detail der Geschichte“ bezeichnet. Inzwischen hat die FN-Chefin ihren Vater zwar aus der Partei ausschließen lassen. Doch der Verdacht, dass es sich dabei um reine Taktik handelt, bleibt bestehen.

Zudem will es die Ironie der Geschichte, dass Marine Le Pen ausgerechnet in Großbritannien, das dem Front National als leuchtendes Beispiel dient, ein Auftritt an der Seite der Brexit-Befürworter verwehrt wurde. Frankreichs rechte Galionsfigur hätte gerne auf der Insel für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU getrommelt – allerdings hatte sie die Rechnung ohne die Anti-EU-Partei Ukip und andere Vertreter der britischen „Leave“-Kampagne gemacht. Der Ukip-Vorsitzende Nigel Farage erklärte, dass ein Auftritt der Französin dem Pro-Brexit-Lager nicht helfen würde.

Bei der Ukip holte sich Marine Le Pen eine Abfuhr

Die Abfuhr der Briten hat eine längere Vorgeschichte, die mit einem politischen Zerwürfnis am rechten Rand des politischen Spektrums in der EU zusammenhängt. Nach der Europawahl im Jahr 2014 wähnte sich Marine Le Pen schon einmal auf der europäischen Gewinnerstraße. Damals erreichte ihre Partei in Frankreich ein Rekordergebnis von 25 Prozent der Stimmen, mehr als ein Dutzend FN-Abgeordnete zogen in die Straßburger Kammer ein. In dieser Situation lag es für die FN-Chefin nahe, Farage ein Bündnis anzubieten – schließlich scheint auch der Brite mit seiner Ablehnung von Einwanderern und der Europäischen Union ganz auf der Linie des Front National zu liegen. Doch die Französin täuschte sich. „Was auch immer Marine Le Pen mit dem Front National vorhat – der Antisemitismus wird immer fest in der Partei verankert sein“, erklärte Farage seinerzeit. Statt sich Le Pen anzuschließen, wurde er zum Chef seiner eigenen Fraktion.

Farages Fraktion „Europa der Freiheit und der direkten Demokratie“ ist ein reines Zweckbündnis, in dem auch linke Abgeordnete von der italienischen Fünf-Sterne-Bewegung vertreten sind. Wie lange die Gruppierung angesichts des drohenden Brexit und des möglichen Rückzugs der Ukip-Abgeordneten aus Straßburg noch existiert, ist offen. Bei der letzten Plenarsitzung zu Beginn dieses Monats erklärte Farage schon einmal vorsorglich: „Ich hoffe, dass ich hier das letzte Mal in der Eigenschaft als Vertreter eines Mitgliedstaates spreche.“

Der Wechsel des AfD-Mannes Pretzell gilt für das Le-Pen-Lager als Coup

Im Lager von Marine Le Pen spekuliert man auf weiteren Zulauf für die ENF-Fraktion. Der Europaabgeordnete Monot ist sich sicher, dass sich demnächst noch Abgeordnete aus weiteren EU-Ländern wie Ungarn oder Bulgarien der Fraktion anschließen könnten. „Große Bedeutung“, sagt Monot, habe die Tatsache, dass mit dem AfD-Mann Marcus Pretzell erstmals ein Deutscher in der ENF-Fraktion vertreten ist. Pretzell, der Lebensgefährte von AfD-Chefin Frauke Petry, war wegen Äußerungen zum Schusswaffengebrauch gegen Flüchtlinge aus der rechtskonservativen EKR-Fraktion geflogen. Petry kommentiert die Rolle der eigenen Partei angesichts der Rivalität zwischen den EU-kritischen Fraktionen im Europaparlament so: „Viele europäische Parteien vertreten die Idee der nationalstaatlichen Souveränität und kulturellen Vielfalt Europas. Die AfD möchte als ein verbindendes Element inmitten der verschiedenen EU-kritischen Fraktionen einer neuen europaweiten EU-kritischen Bewegung agieren.“

Der Text erschien in der "Agenda" vom 21. Juni 2016, einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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