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"So geht sächsisch" - Ministerpräsident Stanislaw Tillich im September 2014 beim "Tag der Sachsen" in Großenhain

© Robert Michael/Imago

Fremdenhass in Sachsen: Tillich-CDU - weltoffen nur in Worten?

Relativieren, kleinreden, wegsehen - die CDU in Sachsen hat das Thema Rechtsextremismus lange weitgehend ausgeblendet. Das rächt sich jetzt.

Von Matthias Meisner

Sachsens CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer gibt sich betrübt. "Nein, das ist nicht ,das Volk', das ist nicht Sachsen", sagt der Politiker im Deutschlandradio Kultur über den wütenden Mob, der im Erzgebirgsort Clausnitz einen Bus mit Flüchtlingen stundenlang blockiert hat. Der Politiker, der auch stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist, fügte hinzu: "Das ist eine ganz schlimme Entartung, die wir da sehen mussten. Als ich die Bilder gesehen habe, war ich fassungslos und wirklich beschämt."

Findet die CDU in Sachsen so die Sprache wieder gegen Rechts? Sie ist seit Jahren dem Vorwurf ausgesetzt, rechte Umtriebe als Problem weitgehend auszublenden - in treuer Gefolgschaft zum früheren Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf, der den Sachsen attestiert hatte, immun gegen Rechtsextremismus zu sein.

Auch Ministerpräsident Stanislaw Tillich hat nach Clausnitz und dem Brandanschlag auf die noch unbewohnte Flüchtlingsunterkunft in Bautzen zunächst den Eindruck erweckt, er habe verstanden. "Widerlich", "erschreckend", "abscheulich", "schockierend" - fast keinen Begriff ließ Tillich in seiner ersten Reaktion aus. Es schien, als wollte der CDU-Landesvorsitzende nun ganz oben auf der Empörungsskala landen. "Das sind keine Menschen, die so etwas tun. Das sind Verbrecher."

Es dauerte nicht lang, da fiel auch Tillich wieder ins Relativieren zurück. Eine "einfache Antwort", warum Sachsen zum Brennpunkt rechter Gewalt geworden sei, gebe es nicht, sagte er am Montagabend, als ihn Claus Kleber im "heute journal" interviewte. Der CDU-Regierungschef eierte herum zur Frage, warum er sich noch nie einer Demonstration gegen Pegida angeschlossen habe. Er wies dem Oberbürgermeister von Dresden, dem FDP-Politiker Dirk Hilbert, die Verantwortung für die Auseinandersetzung mit Pegida in der Landeshauptstadt mit den dortigen montäglichen Aufmärschen zu. Und verglich die fremdenfeindlichen Attacken im Freistaat mit den Protesten gegen das Stuttgarter Bahnhofsprojekt S 21: "In den letzten Jahren haben wir durchaus das eine oder andere Beispiel erlebt, wo es auch sehr unsachlich zugegangen ist, denken wir zum Beispiel an die Auseinandersetzungen in Stuttgart um den Bahnhof."

Am Dienstag versichert Tillich auf einer Pressekonferenz in Dresden, er sei seiner Verantwortung immer gerecht geworden. "Bei uns löst es auch Unmut aus, wie pauschalisiert über Sachsen gesprochen wird."

Michael Kretschmer, Generalsekretär der CDU Sachsen
Michael Kretschmer, Generalsekretär der CDU Sachsen

© Doris Spiekermann-Klaas

Wer die Interviews und Erklärungen sächsischer CDU-Politiker in diesen Tagen verfolgt - und auch viele Hinterbänkler werden nun gefragt - findet viele Beispiele dafür, dass die Partei das rechte Problem leugnet oder nicht erkannt hat.

Da wäre, zum Beispiel, Veronika Bellmann, Abgeordnete des Bundestagswahlkreises 161 Mittelsachsen, zu dem auch Clausnitz gehört. Mitte Februar hatte sie Angela Merkel in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland "die Unantastbare" genannt. Nun aber werde an der Kanzlerin "substanzielle Kritik" laut. "Daran ändern weder der Karlsruher CDU-Jubelparteitag, noch eine mögliche Vertrauensfrage im Bundestag etwas", machte Bellmann Stimmung gegen Merkels Asylpolitik. Was sie in ihrem Wahlkreis erlebe, so Bellmann weiter, sei, "dass die schweigende Mehrheit Deutschland eben nicht als Vielvölkerstaat sieht, in dem Religion und Herkunft geschliffen und nivelliert werden oder einer Invasion der Machtlosen aus fernen Kulturen ausgesetzt sehen will."

Im "Focus" erklärte Bellmann nun das Verhalten des wütenden Mobs in Clausnitz mit "einer Mischung aus Angst vor anderen Kulturen und Befürchtungen, was die Zukunft der Menschen angeht". Wer "ein bisschen Kritik" äußere, werde sofort in die rechte Ecke gerückt, beklagte sie. Und sagte: "Wenn die Antifa Schilder besprüht oder unverhohlen sagt: Das Dorf legen wir in Trümmer oder in Leipzig auf Polizisten losgeht, ist das kaum ein paar Stunden in den Schlagzeilen. Wenn auf Veranstaltungen ,Wir sind das Volk' gerufen wird, spricht man sofort von Mob und ,verbaler Gewalt'. Dieses Ungleichgewicht regt die Leute auf."

"Supergute Willkommenskultur"

Warum Sachsen? Günter Baumann, CDU-Bundestagsabgeordneter aus dem Erzgebirge, wird von NDR Info befragt. "Unheimlich weh" tue ihm, dass der Freistaat nun so negativ in den Schlagzeilen sei, schließlich habe Sachsen eine "supergute Willkommenskultur" und auch eine positive wirtschaftliche Entwicklung nach der politischen Wende genommen, sagt er. "Da kann man nicht sagen, die Regierung hat eine Mitschuld an dem, was jetzt passiert ist." Angesprochen darauf, dass der Leipziger Polizeichef Bernd Merbitz Ende Januar von Pogromstimmung in Sachsen gesprochen hat, nachdem es an einem Wochenende vier Anschläge gegen Flüchtlingsunterkünfte gab, widerspricht Baumann: "So extrem würde ich das nicht sehen. (...) Er hat in Leipzig natürlich eine besonders schwere Lage durch Connewitz, da gab es einige Schlachten zwischen Rechts- und Linksextremen. Er hat dort natürlich das ganze Bild ein bisschen extremer vor Augen."

CDU-Wahlplakat 1999 - Kurt Biedenkopf vor seiner dritten Amtszeit
CDU-Wahlplakat 1999 - Kurt Biedenkopf vor seiner dritten Amtszeit

© picture-alliance / dpa

Oder Marian Wendt. Der CDU-Bundestagsabgeordnete aus Nordsachsen sprach am vergangenen Donnerstag im Bundestag bei einer Debatte "Dem Hass keine Chance" geben. Hass und Gewalt seien auch Probleme des linken Randes, betonte er. Wendt forderte den Dialog mit den Demonstranten der fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung. "Man darf die Menschen nicht pauschal für ihre Gedanken verurteilen. Wir müssen mit ihnen sprechen." Die Frage sei doch: "Warum gehen die Menschen zu Pegida und nicht zur CDU?" Nach der Umzingelung des Busses mit Asylbewerbern in Clausnitz warnte Wendt dann auf Facebook davor, pauschal über die Menschen im Erzgebirge und Sachsen zu urteilen: "Wir sind mehrheitlich weltoffen, freundlich und hilfsbereit!" Wer wegen des Polizeieinsatzes in Clausnitz Strafanzeigen stelle, falle damit den Beamten in den Rücken, "die auch eure Freiheit verteidigen".

SPD: Sachsen hat ein Rassismusproblem

Einzelmeinungen in der Sachsen-CDU? Mitnichten. Die Kritik an der CDU Sachsen, an ihrem Vorsitzenden Tillich, wird nach Clausnitz und Bautzen vernehmlicher. Der Oppositionsführer im sächsischen Landtag, Linke-Fraktionschef Rico Gebhardt, wertet die Erklärungsversuche von Tillich als "Ausdruck absoluter Hilflosigkeit".

Im November hatte der Landesvorsitzende der in Sachsen mitregierenden SPD, Martin Dulig, erklärt, 25 Jahre CDU hätten Sachsen zu einem "demokratiepolitischen Entwicklungsland" gemacht. Nun betont Dirk Panter, Chef der SPD-Landtagsfraktion: "Clausnitz hat, wieder einmal, gezeigt, dass in Sachsen etwas falsch läuft." Betroffenheit reiche nicht mehr aus. Dem Tagesspiegel sagt Panter: "Es wäre natürlich gut, wenn sich der Ministerpräsident an die Spitze einer zivilgesellschaftlichen Bewegung stellen würde. Möglichkeiten dafür gibt es seit geraumer Zeit."

Sachsens SPD-Generalsekretärin Daniela Kolbe erklärt: "Sachsen hat ein Riesenproblem - ein Rassismusproblem". Sie fordert: "Die Regierung muss sich ganz klar und sichtbar an die Seite der Anständigen stellen und Engagement für Demokratie und gegen rechtes Gedankengut unterstützen." Und weiter: "Es ist mir auch unerklärlich, weshalb der Verfassungsschutz Pegida und Co. immer noch nicht beobachtet. Sind es doch diese Hetzer, die erst den Boden für solch unanständiges, enthemmtes Verhaltene bereiten."

Der Sender MDR Sachsen kommentierte: "Gefahr geht eben auch von jenem latent rechten, zumindest latent fremdenfeindlichen Gedankengut aus, das viel weiter verbreitet ist, als NPD-Wahlergebnisse es zeigten." Uta Deckow erklärte weiter: "Ein ehemaliger Meißner CDU-Stadtrat gehörte zu den Gründern von Pegida. Parteiausschluss? Fehlanzeige. Verfolgt man Posts einiger sächsischer CDU-Landtagsabgeordneter bei Facebook, kann man sich nur noch wundern. Klare Kante gegen Hetzer? Leider allzu oft Fehlanzeige."

Die Gleichsetzung des Extremismus von links und rechts halten viele außerhalb der Sachsen-CDU für eine wesentliche Ursache dafür, dass rechte Gewalt im Freistaat grassiert. "Sachsen hat noch eine Unmenge Hausaufgaben zu machen. Es gibt einen Berg Ursachen dafür, warum es schief läuft. Eine lautet: Rechtsextremismus wurde in den vergangenen Jahrzehnten immerzu verharmlost", erklärt der Politikwissenschaftler Dietrich Herrmann im Interview mit der "Berliner Zeitung". Und: "Sächsischen Regierungen und auch etlichen Bürgern hat es bis heute an der nötigen Entschlossenheit im Auftreten gefehlt. Es hieß in Sachsen immer, man müsse gegen Extremismus von links und rechts vorgehen. Es wurde alles vermischt, anstatt sich klar gegen rechte Gewalttaten abzugrenzen, die nun einmal deutlich häufiger passieren. Man hat es sich zu leicht gemacht."

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