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Verbannt in die hinterste Reihe: Frauke Petry und Mario Mieruch (verdeckt) während der konstituierenden Sitzung des Bundestages.

© Kay Nietfeld/dpa

Neben der AfD im Bundestag: Willkommen im Land der Heimatlosen!

Zwei Fraktionslose sitzen im neuen Bundestag. Mit der AfD haben Frauke Petry und Mario Mieruch gebrochen. Dazu gehört Mut. Was tun mit den Renegaten? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Sie sitzen ganz hinten im Bundestagsplenum, ohne einen Tisch für Ablagen, werden gemieden, geschnitten, verachtet. Mit Frauke Petry und Mario Mieruch will keiner gern zu tun haben. In der AfD, aus deren Fraktionsgemeinschaft sie ausgetreten sind, gelten sie als Verräter. Gäbe es noch eine Dolchstoßlegende, würde sie dort in aktueller Form gegen Petry und Mieruch gewendet. Auch die Abgeordneten der anderen Parteien gehen auf Abstand. Wer sich mit Petry und Mieruch blicken lässt, kann nur verlieren. Politisch und pathetisch gesprochen sind es die einsamsten Abgeordneten des neuen Parlaments.

Mitleid allerdings haben sie nicht verdient. Da ist viel verletzte Eitelkeit im Spiel, Selbstdarstellungslust und Theatralik. Petry und Mieruch haben die AfD mit groß gezüchtet, sind auf dem Ticket der Partei in den Bundestag eingezogen. Man kann die Wut ihrer ehemaligen Mitstreiter auf sie durchaus verstehen. Aussteiger werden generell gemobbt - je ideologischer die Gemeinschaft geprägt ist, der sie den Rücken gekehrt haben, desto inniger deren Rachegelüste.

Dabei sind Petry und Mieruch nicht die einzigen. Immer mehr AfD-Mitglieder treten aus der Partei aus, legen ihre Ämter nieder, spalten ganze Landesverbände. Die Motive sind fast immer gleich. Die Partei, heißt es, werde von rechts unterwandert, radikalisiere sich, verbreite Rassismus. Viele der 87 Prozent Nicht-AfD-Wähler reagieren darauf hämisch: Nichts anderes sei zu erwarten gewesen, Rechte, die sich von Rechten distanzieren, seien prinzipiell unglaubwürdig.

Nein. So nicht! Nicht mit mir!

Ist das gerecht? Immerhin vollziehen diese Menschen einen Bruch, sagen in einem bestimmten Moment laut und vernehmlich Nein. So nicht! Nicht mit mir! Dazu gehört Mut – alle anderen Motive seien mal ausgeklammert – und ein zwar spät, aber immerhin dann doch noch funktionierender Wertekompass.

Jeder Aussteiger war einmal Mitglied, also ein Teil jenes Getriebes, das er erst im Laufe der Zeit als gefährlich erkannte. Das gilt für Sekten wie für Bewegungen und Parteien. Wiegt die Schuld der einstigen Mitläufer stets schwerer als ihre spätere Abkehr? Genau andersherum sollte es sein: Die Freude über Umkehr und Erneuerung sollte größer sein als die Vorhaltung über frühere Verstrickungen. Manchmal wird die Abkehr von Reue begleitet, aber Reue ist nur eine hinreichende, keine notwendige Bedingung für die gesellschaftliche Resozialisierung.

Radikale Brüche einstiger Überzeugungstäter haben ihre eigene Würde. Viele der Widerstandskämpfer rund um Claus Schenk Graf von Stauffenberg waren stark nationalsozialistisch geprägt. Sie stammten aus Bürgertum, Adel und Militär und lehnten die parlamentarische Demokratie ab. Entwertet das ihre Charakterstärke, die im Attentatsversuch vom 20. Juli 1944 kulminierte? Natürlich nicht. In der DDR wiederum entdeckten einige SED-Funktionäre erst im Herbst 1989 ihren Oppositionsgeist, was ihnen den Vorwurf eintrug, Wendehälse zu sein. Doch ist nicht auch in diesem Fall eine späte Wende besser als die ewige Verbundenheit mit einem verbrecherischen Regime?

Junge weiße Evangelikale setzen sich von Trump ab

In den USA gehören weiße Evangelikale zu den treuesten Anhängern von Präsident Donald Trump. Das ist auf Anhieb nur schwer zu verstehen. Trump ist zum dritten Mal verheiratet, äußert sich offen sexistisch, prahlt mit Übergriffen auf Frauen, geht selten in die Kirche. „Charakter ist wichtig“, betonten Evangelikale, als Bill Clinton im Weißen Haus residierte und den Lewinsky-Skandal an der Hacke hatte. „Es ist dumm zu glauben, dass ein Mensch, dem Anstand und moralische Integrität fehlen, eine Nation und die Welt führen kann“, sagte einer von ihnen, James Dobson, im Jahre 1998. Heute klingt das anders. Dobson sprach sich, wie viele andere Evangelikale, früh für Trump aus. „Ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass er ein gutes moralisches Vorbild ist“, sagte er im Wahlkampf, „aber wir wählen einen Oberkommandierenden, keinen Ober-Theologen.“

Wie lange noch? Wie lange können Amerikas weiße Evangelikale all jene Eigenschaften Trumps ausblenden, die ihrem Glauben widersprechen? Wie lange beruhigen sie sich damit, dass Trump immerhin über die Besetzung des Supreme Courts entscheidet, das Oberste Verfassungsgericht, das dann irgendwann das liberale Abtreibungsrecht ändert? Auch in Amerika könnte die Bereitschaft zur Mischkalkulation abnehmen und die Trump-Treue der weißen Evangelikalen bröckeln. Insbesondere bei jungen weißen Evangelikalen sind derartige Absetzbewegungen schon deutlich zu erkennen.

Was tun mit den Renegaten? Weder weiße Evangelikale, die mit Trump brechen, noch AfDler, die ihre Partei verlassen, wechseln ja ins Gegenlager, sondern setzen sich zunächst zwischen alle Stühle. Sie siedeln an in einem Land der politischen Heimatlosigkeit. Ob sie dort verharren, liegt auch an der Bereitschaft ihrer einstigen Gegner, Brücken zu ihnen zu bauen. Sich liberal dünkende Selbstgefälligkeit ist das Gegenteil davon. Wer sich zum erstenmal mit Petry und Mieruch im Dachgartenrestaurant des Bundestages zum Kaffeetrinken verabredet, beweist, dass in einem Abgeordneten auch ein Mensch steckt.

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