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Franz Müntefering,war 2005 bis 2009 Vizekanzler und Bundesminister für Arbeit und Soziales.

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Franz Müntefering über Rentendebatte: "SPD und Union müssen noch vor der Wahl handeln"

Der ehemalige SPD-Chef Franz Müntefering wünscht sich eine Rentenreform – und warnt im Gespräch mit dem Tagesspiegel vor Angstmacherei.

Herr Müntefering, braucht Deutschland eine große Rentenreform?

Ja. Wir müssen den Leuten erklären, womit sie bis 2045 rechnen können. Auch, dass Zuversicht berechtigt ist. Bei der letzten großen Rentenreform haben wir die relativ überschaubare Zeit bis 2030 in den Blick genommen und viel zur Stabilität beigetragen. Jetzt brauchen wir eine Fortschreibung. Es gibt den Menschen Sicherheit, die Fakten zu kennen, Risiken und Chancen.

Würden Sie der Koalition raten, noch vor der Bundestagswahl ein Paket zu schnüren?

Ich rate dringend dazu. Bis zur Bundestagswahl ist noch Zeit für Debatte und Beschlüsse. SPD und Union müssen handeln. Es war im Übrigen immer ein Segen für unser Land, dass es bei zentralen Sozialreformen gemeinsame Grundlinien gab. Die Rente verträgt auch weiterhin keine Wackelei von Legislatur zu Legislatur.

Das Rentenniveau liegt heute bei knapp 48 Prozent des Durchschnittslohns. Bis 2035 wird es unter 43 Prozent sinken, bis 2045 auf 41,6 Prozent, wenn die Politik nicht eingreift. Kann man davon leben?

Die Politik muss eingreifen, klar, aber da geht es nicht nur um den Niveau-Satz. Entscheidend ist: Was ist 100 Prozent? Wenn viele Menschen in gut bezahlter Arbeit sind, steigen Beitragssummen, die Durchschnittseinkommen, auch die Renten. Prozente sind nur eine abgeleitete Größe.

SPD-Chef Sigmar Gabriel und CSU-Chef Horst Seehofer wollen das Rentenniveau auf dem heutigen Stand von 48 Prozent einfrieren. Ist das machbar?

Das fixiert das Problem zu sehr auf den Rentenniveau-Satz. Dafür müssten die Rentenbeiträge drastisch steigen oder das Renteneintrittsalter oder der Zuschuss aus der Bundeskasse. Das berührt Fragen der sozialen Gerechtigkeit, auch die Sicherheit von Arbeitsplätzen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund macht die Rente zum Kampagnenthema und fordert, das Rentenniveau langfristig wieder anzuheben. Kann die SPD diesem Druck standhalten?

Um 2045 bis 2050 bricht die demografische Spitze und die Relation von Beitragszahlern zu Rentenempfängern wird langsam wieder ausgeglichener. Langfristig ist vieles denkbar. Aber wenn man jetzt den Eindruck erweckt, dass halb Deutschland bald in Altersarmut landet, ist das Angstmacherei und unverantwortlich. Wahr ist, es gibt Menschen, die zu wenig Rente haben, um davon leben zu können. Niedriglöhne und Minijobs wirken sich da aus. Für alle, die Rente unterhalb der Existenzgrenze bekommen und keinen Ausgleich übers Haushaltseinkommen haben, gibt es die Grundsicherung. Die zahlt der Bund aus seiner Kasse, nicht die Rentenversicherung – und das ist auch richtig so.

Ihre Parteikollegin, Arbeitsministerin Andrea Nahles, fordert eine Haltelinie nach unten. Wo kann die liegen, wenn das Rentensystem bezahlbar bleiben soll?

Die Tendenz stimmt. Die Haltelinie sollte auf keinen Fall unter 43 Prozent liegen. Aber noch mal: Es ist falsch, sich auf das Niveau zu kaprizieren. Höhe der Löhne, Höhe der Rentenbeiträge, Höhe der Beitragsbemessungsgrenze, Renteneintrittsalter, Bundeszuschuss – all dies ist wichtig. Und auch über mehr betriebliche Altersvorsorge muss gesprochen werden, auch über den Umgang mit der Riester-Rente.

Der Bund zahlt schon jetzt 80 Milliarden aus Steuermitteln an die Rentenkasse, das entspricht einem Viertel des Bundeshaushalts. Wollen Sie diesen Zuschuss erhöhen?

Wir haben bei der Rentenreform vor 15 Jahren auch beschlossen, dass aus demografischen Gründen der Bundeszuschuss steigen darf. Das tut er deutlich und das gilt weiter. Aber das hat natürlich seine Grenzen.

Die große Koalition hat gleich zu Beginn der Wahlperiode ein Rentenpaket beschlossen, das die Rente mit 63 und die Ausweitung der Mütterrente umfasst. War es ein Fehler, dass diese Leistungen zu großen Teilen aus der Rentenkasse bezahlt werden?

Ich meine ja. Nichts gegen die Verbesserung der Mütterrente. In unserem Gesellschaftsvertrag kommen Familien bisher zu kurz. Zahlen muss das aber die Bundeskasse, nicht die Rentenkasse. Die Rente mit 63 halte ich auch inhaltlich für falsch.

Warum?

Weil sie pauschal den Anreiz gibt, früher aus dem Berufsleben auszuscheiden. Und weil sie den Eindruck vermittelt, als sei die Anstrengung für die Rente mit 67 nicht nötig. Wir müssen aber Mut machen, länger in Beschäftigung zu bleiben. Da passiert auch was, die Zahl hat sich verdoppelt. Der Stichtag Renteneintritt passt nicht mehr in unser Leben. Manche Menschen sind früh erwerbsgemindert; sie brauchen bessere Absicherung. Andere können und wollen länger als bis 67 und sollen das auch dürfen, mit Gewinn an Lebensqualität für nicht wenige.

Kommt irgendwann die Rente mit 70?

Ich finde es nicht klug, das Renteneintrittsalter weiter pauschal anzuheben. Wir brauchen eine flexible Renteneintrittsphase. Die Menschen sind unterschiedlich lange fit, die Arbeitsplätze unterschiedlich belastend. Gute Berufsorientierung und geförderter Berufswechsel können helfen.

Die SPD fordert eine Lebensleistungsrente für diejenigen, die trotz Arbeit im Alter auf Grundsicherungsniveau landen. Was halten Sie davon?

Die SPD? Ich denke, das ist eine Absicht der Koalition. Aber sie passt nicht ins Rentensystem. Streicht das, von mir aus leise.

Die SPD dringt außerdem darauf, dass die Angleichung der Rentenwerte in Ost und West bis spätestens 2020 auf den Weg gebracht wird. Doch aus der Union gibt es Protest. Was raten Sie?

Auch da gibt es wohl eine Koalitionsvereinbarung. Jedenfalls ist es überfällig, nach dann 30 Jahren deutsche Einheit auch ein einheitliches Rentenrecht zu haben. Es gibt da Friktionen in beide Richtungen. Ob das Ergebnis der Gleichbehandlung dann alle gut finden, wird sich zeigen.

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