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In Schockstarre. Blumen an der Promenade des Anglais in Nizza.

© imago/PanoramiC

Frankreich: Der Ausnahmezustand wird die Regel

Das französisches Kabinett verlängert die Anti-Terror-Maßnahmen um sechs Monate. Die Opposition stellt Bedingungen.

Kontrollen, Durchsuchungen, Hausarreste – die Franzosen müssen sich darauf einstellen, noch viele Monate im Ausnahmezustand zu leben. Fünf Tage nach dem Attentat vom 14. Juli, bei dem am Abend in Nizza ein Amokfahrer mit einem Lastwagen 84 Menschen getötet und über zweihundert verletzt hatte, brachte die Regierung am Dienstag ein Gesetz im Parlament ein, durch das der seit den Terroranschlägen vom vergangenen November beschlossene Ausnahmezustand um ein weiteres Mal verlängert wird. Um den Vorwurf der rechtsbürgerlichen Opposition zu entkräften, die sozialistische Regierung tue zu wenig, um die Franzosen vor Umtrieben islamistischer Terroristen zu schützen, zeigte sich Premierminister Manuel Valls bei der Vorlage des Gesetzes in der Nationalversammlung bereit, bestimmte Forderungen der Rechten zu akzeptieren. So wurde die ursprünglich auf drei Monate bemessene vierte Verlängerung des Ausnahmegesetzes von der Regierung von vorneherein auf sechs Monate bis Ende Januar 2017 ausgedehnt.

Mit dem neuen Gesetz sollen nach einer Erklärung von Staatspräsident François Hollande zwei „große Prinzipien“ garantiert werden, der Schutz der Franzosen und der Respekt des Rechtsstaats mit den Werten der Republik und der Demokratie. Diese Garantie war nach dem noch bis zum 26. Juli geltenden Ausnahmegesetz vom Verfassungsrat in Zweifel gezogen worden. In einer Entscheidung vom 19. Februar dieses Jahres hatten die Richter die Möglichkeit sogenannter „administrativer Durchsuchungen“ beanstandet, die von den Sicherheitskräften ohne richterliche Vollmachten durchgeführt werden konnten. Dieser Mangel soll mit dem im neuen Gesetz enthaltenen Rechtsrahmen behoben werden, der nach den Worten von Premierminister Valls die Interessen öffentlicher Sicherheit und den Respekt des Privatlebens in Einklang bringt. Die Auswertung von Daten von Computern und Mobiltelefonen, die bei solchen Durchsuchungen beschlagnahmt werden, wird damit fortan wieder legal sein.

Zweifel an der Wirksamkeit

Neben dieser Neuerung enthält das Gesetz im Wesentlichen einen Fortschreibung bisher schon bestehender Maßnahmen von der mit richterlicher Genehmigung praktizierten Überwachung von Telefonen bis zur Kontrolle von Fahrzeugen und Gepäck. Die Auseinandersetzung um das Gesetz, das nach der Debatte in der Nationalversammlung noch am selben Abend zur weiteren Behandlung dem Senat zugeleitet werden sollte, in dem die rechte Opposition die Mehrheit stellt, verspricht dennoch hart zu werden.

Die Opposition hat für ihre Zustimmung mehrere Bedingungen gestellt. Sie will zum Beispiel, dass Personen mit französischer und einer zweiten Staatsangehörigkeit sofort ausgewiesen werden können, wenn sie in den „Fiches S“, der Sicherheitskartei, als potenziell gefährlich erfasst sind. Dafür müssten aber wie für andere Forderungen der Opposition bestehende Gesetze geändert werden.

Die bisherige Bilanz des Ausnahmezustands lässt allerdings nach Meinung von Experten Zweifel an dessen Wirksamkeit zu. So wurden nach den Attentaten vom November ungefähr 400 verdächtige Personen unter Hausarrest gestellt mit der Verpflichtung, sich regelmäßig bei der Polizei zu melden. Nach Mitteilung des Innenministers war diese Maßnahme am 18. Juli noch gegenüber 79 Personen in Kraft. In keinem Fall hätten die so gewonnenen Erkenntnisse, wie „Le Monde“ schreibt, bisher zur Eröffnung von Untersuchungsverfahren geführt.

Auch Mohamed Lahouaiej Bouhlel, der Attentäter von Nizza, hätte durch Hausarrest oder Durchsuchungen nicht gehindert werden können. Gegen ihn lag, wie der mit der Untersuchung befasste Staatsanwalt François Molins sagte, kein Verdacht vor. Er habe erst vor Kurzem Interesse am Islam gezeigt, im Koran gelesen und im Internet Propaganda der Terrormiliz „Islamischer Staat“ aufgestöbert. Für Verbindungen zum IS gebe es jedoch keine Anhaltspunkte. Hans-Hagen Bremer

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