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Flüchtlinge ziehen am 15.07.2015 in Hamburg in eine neue Unterkunft im Stadtteil Jenfeld ein. Der wachsende Zustrom von Flüchtlingen zwingt die Stadt Hamburg zu Notmaßnahmen. Hamburgs Sozialsenator Scheele (SPD) schlägt vor, Flüchtlinge vermehrt dort unterzubringen, wo viele Wohnungen leer stehen oder gar abgerissen werden - etwa in Teilen des Ruhrgebiets oder der neuen Länder.

© dpa

Flüchtlingspolitik in Deutschland: Flucht vor der Verantwortung ist keine Option

Deutschland wird Anziehungspunkt für Flüchtlinge bleiben, eben weil es Deutschland so gut geht. Dennoch nimmt dieses Land weniger auf als etliche andere. Also müssen die Vorschriften endlich verändert werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Bis zu 500.000 Flüchtlinge – so viele werden hier in diesem Jahr erwartet! Wenn das keine Herausforderung ist, und zwar für alle. Auch für die Flüchtlinge.

Viele, die kommen, werden „geduldet“, bis über ihren Asylantrag entschieden ist. Das kann lange dauern. Derweil diskutieren die Parteien über ein Einwanderungsgesetz, über Greencard, Bluecard, Quoten. Bisher ohne Ergebnis.

Doch im Mittelpunkt steht der Mensch. Der lässt sich nicht einfach wegadministrieren, nicht politisch wegdiskutieren. Der muss eine Chance haben: sich in unsere Gesellschaft zu integrieren. Wie schwer wir uns damit tun!

Was dafür alles zu tun ist: Das ist die Herausforderung. Die wachsende der nächsten Tage und Wochen. Denn Wegschauen geht nicht. Wenn Asylunterkünfte brennen, wenn es Übergriffe gibt, wenn ein Bürgermeister geht, weil er Flüchtlinge nicht als lästig behandelt, dann ist die Herausforderung offensichtlich. Was heißt: für jedermann sichtbar.

Es geht nicht weit genug

Ja, sichtbar ist auch anderes. Sie dürfen nicht vergessen werden: die Tausende, die jeden Tag ehrenamtlich helfen. Bei Behördengängen, mit Kleidung, mit Essen, mit allem. Ob sie aus den Kirchen kommen oder Hilfsorganisationen, sie sind stille Helden. Darum verdienen sie eine besondere Würdigung. Über den Bundespräsidenten hinaus, der sie sieht, den Wert ihrer Arbeit erkennt.

Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien sind aber besonders in der Verantwortung. Übers Parlament die Exekutive zu stärken, damit die schnelle Abhilfe schafft, damit zum Beispiel Asylanträge nicht Monate oder Jahre unbearbeitet bleiben – dieser Auftrag ist erkannt. Hunderte Millionen Euro werden dem Bundesamt für Migration zusätzlich bereitgestellt, hunderte weitere Stellen geschaffen. So weit, so gut.

Doch das geht noch nicht weit genug. Deutschland wird Anziehungspunkt für Flüchtlinge bleiben, eben weil es Deutschland so gut geht. Dennoch nimmt dieses Land weniger auf als etliche andere. In der Aufnahme ist Deutschland nicht spitze: Das ist Schweden, wo ein Flüchtling auf 1000 Einwohner kommt. Davon sind wir hierzulande weit entfernt.

Also müssen Vorschriften endlich verändert werden, die der Wirklichkeit längst nicht mehr entsprechen. Sie verbergen sich hinter Chiffren wie „Dublin III“. Da ist Europa gefordert, mehr noch als in der Griechenland-Frage.

Und selbst die spielt da mit hinein: Griechenland am Mittelmeer kann die Flüchtlinge nicht ohne Ende aufnehmen, wo es doch bei ihnen an so vielem fehlt. Und wem es, wie den Ungarn, am europäischen Grundgedanken der Integration fehlt, der muss im besten Wortsinn zur Räson gerufen werden. Schnell!

Die Kriege hören nicht auf

Die Flucht aus Syrien, dem Irak, Somalia, Eritrea endet nicht. Nicht so schnell. Weil die Kriege nicht enden. Die nackten Zahlen erinnern an die neunziger Jahre. Allerdings bietet die Gegenwart Hoffnung für die Zukunft. Die Mehrheit der Entscheider findet laut Umfragen, dass Deutschland mehr Flüchtlinge aufnehmen kann, nur eine kleine Minderheit der Bevölkerung verharrt in Abwehr. Wer damit Politik zu machen versucht, wird hier nicht groß.

Aber die große Politik muss der Dimension des Geschehens gerecht werden. Einwanderung, Asyl, Integration: Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Flucht vor der Verantwortung ist keine Option.

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