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"Euer Hass ist peinlich!" ist auf einem Plakat während einer Demonstration gegen einen Neonazi-Aufmarsch am 16. September in Nürnberg zu lesen.

© dpa

Flüchtlinge in Deutschland: Ohne Konflikte wird es nicht gehen

Die Flüchtlingssituation lässt sich meistern. Nicht mittels Transitzonen, aber andere Voraussetzungen helfen, schreibt der Oberbürgermeister von Nürnberg in einem Gastbeitrag.

Es ist der Widerspruch, in dem und mit dem wir derzeit leben müssen, der an uns allen nagt: Einerseits stimmt der Satz "das Asylrecht als individuelles Menschenrecht kennt keine Obergrenze" und andererseits ist die Erkenntnis, dass "unsere Ressourcen nicht unbegrenzt sind" ebenso wahr wie banal.

Aus beiden Sätzen wird politisch und medial ein toxischer Cocktail angerührt. Wer Satz 1 betont – wie die Kanzlerin – muss sich fragen lassen, ob Deutschland denn wohl die Verantwortung für alles Elend dieser Welt übernehmen könne. Wer Satz 2 in den Mittelpunkt stellt, müsste in der Lage sein, zu definieren, wann die "Obergrenze" denn erreicht sei. Wobei gerne mal vermischt wird, ob sich Obergrenze auf die Verfügbarkeit von Feldbetten oder auf die Angst vor kultureller Überfremdung bezieht.

Angela Merkel mäandert zwischen "eiskalter Angela" und "Mutter Teresa" auf dem "Spiegel"-Titel und die Edelfedern des deutschen Journalismus stellen raunend die Frage, ob sie einen Plan hat.

Es gebe Situationen, so hat Immanuel Kant einmal gesagt, in denen reiche die Notwendigkeit zu handeln weiter als die Fähigkeit zu erkennen. So eine haben wir. Und sie ist für die Politik definitiv weit abseits der Komfortzone.

Wenn ich es richtig verstehe, versuchen wir, die Lage in Syrien zu entspannen, den Ländern, die die Flüchtlingshauptlast tragen (nicht Deutschland, das sind der Libanon, Jordanien und die Türkei), zu helfen, mit der Türkei über die türkisch-griechische Grenze zu sprechen, Europa zu mehr Solidarität zu bewegen und so etwas ähnliches wie ein Dublin-System wieder in Kraft zu setzen.

Das alles könnte helfen, die augenblickliche Belastung Deutschlands zu reduzieren. Könnte.

Nicht schön, aber auch nötig: Wenn wir den Menschen, die ohne Aussicht auf Flüchtlingsstatus oder Anerkennung als politisch verfolgt sagen, dass sie im Rechtskreis des Asylrechts keine Chance auf Bleiberecht in Deutschland haben und wieder gehen müssen, wird auch das entlasten, wenigstens Betten für die Schutzbedürftigen frei machen. In Verbindung mit dem Beschluss des Asylgipfels, Menschen aus dem Westbalkan einen deutlich erleichterten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt außerhalb des Asylrechts einzuräumen und der Umsetzung der dort erklärten Absicht der Bundesregierung, den in den Westbalkanstaaten strukturell diskriminierten Roma in ihrer Heimat helfen zu wollen, halte ich das für in Ordnung.

Wie sollen Transitzonen und Rechtsstaat zusammenpassen?

Überflüssig zu erwähnen ist, dass natürlich auch den Menschen mit vermeintlich geringer Bleibeperspektive ein rechtsstaatlich einwandfreies Verfahren gewährt werden muss. Denn ob aus "vermeintlich" geringer Bleibeperspektive eine tatsächliche wird, weiß man ja erst nach dem Verfahren, nicht vorher.

Deshalb fehlt mir im Moment auch noch die Phantasie, wie das in den derzeit diskutierten "Transitzonen" vonstattengehen sollte, ganz abgesehen davon, dass die Größenordnungen dort humanitär kaum zu bewältigen sein dürften.

Unbedingt nötig ist, dass wir neben der Erstaufnahme jetzt die langfristige Integrationsaufgabe in den Blick nehmen, das entscheidet über Wohl und Wehe der zivilgesellschaftlichen Seelenlage in unseren Städten.

Dies kann gelingen, auch mit der für 2015 insgesamt erwarteten Zahl von Menschen, sie wird immer schwerer werden, je weniger die eingangs beschriebenen Maßnahmen zur Zuzugsbeschränkung wirken.

Ein paar abstrakte Voraussetzungen sollten wir beachten:

- möglichst nicht alte Integrationsfehler wiederholen

- die aufnehmende Gesellschaft mit der gleichen Empathie behandeln wie die Flüchtlinge

- soziale Konkurrenzen vermeiden

Das bedeutet ganz praktisch, dass wir mehr Kita-Plätze bauen müssen als gedacht, dass wir Lehrer brauchen, um nicht die Zahl der Kinder in den Eingangsklassen ansteigen zu lassen und dass wir Wohnungen – geförderte und frei finanzierte – bauen müssen wie die Blöden, um die Lage auf den in vielen Städten extrem angespannten Wohnungsmärkten nicht weiter zu verschärfen. Wir können das, aber das gibt es nicht zum Nulltarif.

Wer Angst hat, verpasst das Mögliche

Und wir sollten eigentlich gelernt haben, mit Interkulturalität entspannter umzugehen. In meiner ersten Klasse waren wir 43 Kinder und hatten ein Gastarbeiterkind – es war die Tochter des Eisdielenbesitzers aus Italien. Ich denke, der Erfahrungsschatz heutiger Erstklässler dürfte etwas breiter sein.

Vielleicht gelingt es uns sogar, die digitalen Pawlowschen Reflexe solcher Einwanderungsdebatten zu eliminieren: Einerseits die romantische Vorstellung, dass das alles schon konfliktfrei und harmonisch funktionieren wird, wenn wir uns alle nur lieb genug haben. Das ist eine gefährliche Illusion, weil das Zusammenleben vieler Menschen auf engem Raum nie ein Harmoniemodell ist. Andererseits der schon vernehmbare Hinweis darauf, dass hier aber das Grundgesetz und die durch es ausgedrückten Werte gelten. Ja, was denn sonst, bitteschön?

Ulrich Maly (SPD) ist Oberbürgermeister von Nürnberg und Vorsitzender des bayerischen Städtetags.
Ulrich Maly (SPD) ist Oberbürgermeister von Nürnberg und Vorsitzender des bayerischen Städtetags.

© dpa

Natürlich wird es zu kulturellen Missverständnissen kommen und sicher auch den einen oder anderen Clash of Cultures geben. Integration bedeutet immer Management von Konflikten. Die muss man sauber analysieren: sind sie sozial, kulturell, ethnisch oder gar religiös verursacht. Klassische Großstadtkonflikte lassen sich schnell wunderbar ethnisch oder religiös aufladen.

Ich finde, wir sollten den Wert und die Kraft unserer freien demokratischen Verfassung nicht unterschätzen. Wir müssen sie lehren, wir müssen sie leben. Der Soziologe Heinz Bude hat sich mit der Angst befaßt und neben Hilfsbereitschaft gibt es in Deutschland auch Besorgnis, Unbehagen und Angst. Und wer Angst hat, so Bude, verkennt das Wirkliche, vermeidet das Unangenehme und verpasst das Mögliche.

Diese Ängste zu minimieren, ist politischer Auftrag. Wenn wir es wollen, schaffen wir das.

Ulrich Maly (SPD) ist Oberbürgermeister von Nürnberg und Vorsitzender des bayerischen Städtetags.

Ulrich Maly

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