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September 2015, die Flüchtlinge kommen - und werden herzlich empfangen (hier am Bahnhof München)

© AFP/ Aris Messinis

Flüchtlinge in Deutschland: Nach den Teddybären - die Willkommenskultur im Stresstest

Die Willkommenskultur hat nur leicht abgenommen - und das trotz populistischer Agitation, Integrationsproblemen und Terrorangst. Das ist eine schöne Überraschung. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Zwischen 2012 und 2015 hat die positive Haltung in der Bevölkerung zur Einwanderung einen Satz nach vorn gemacht. Gab es 2012 mit 43 zu 39 Prozent fast einen Patt zwischen den Deutschen, die Zuwanderer „eher willkommen“ als „eher unwillkommen“ hießen, war das 2015 klar entschieden: 50 Prozent hießen „eher willkommen“ und nur noch 29 Prozent „eher unwillkommen“.

2015 war das Jahr der Flüchtlingskrise, Teddybären flogen Fremden zu, der Begriff „Willkommenskultur“ wurde weltberühmt: ein Gefühlsrausch, eine Ausnahmesituation. 2017 ist der Rausch vorbei, ein schlimmer Kater ist nicht geblieben. Aber bei einigen ein leichter Kopfschmerz.

Die genannten Zahlen zur Einstellung gegenüber Zuwanderern stammen aus Umfragen, die im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung entstanden. Am Freitag wurde eine neue präsentiert, überschrieben ist sie in den Worten von Stiftungsvorstand Ulrich Kober mit „Willkommenskultur besteht ,Stresstest’, aber Skepsis gegenüber Migration wächst“. Und der erste Teil des Satzes dürfte wohl die größere Überraschung sein.

Nach allem auf der politischen Bühne aufgeführten Streit, den Parolen von rechts, nach den Anschlägen in Würzburg, Ansbach und zuletzt in Berlin, hätte man einen drastischen Einbruch in der freundlichen Einstellung erwarten können. Überfremdungsängste, soziale Probleme, eine verschärfte Konkurrenzsituation auf dem Wohnungsmarkt, eine allgemeine Sorge um den Zustand der Sozialkassen und nicht zuletzt Angst vor eingewanderten Terroristen hätten als plausible Argumente für einen 180-Grad-Schwenk in der Willkommenskultur herangezogen werden können. Aber das ist nicht passiert. Eine knappe Mehrheit der Befragten bleibt bei einer sachlichen und differenzierten Beurteilung der Lage, die bei der Analyse der zu bewältigenden Aufgaben offenbar die wirtschaftliche Stärke Deutschlands einkalkuliert.

Das könnte ein Signal an die Politik sein, dass in dem Bereich ein sensibles Antennensystem aufseiten der Bevölkerung vorhanden ist und Pauschalisierungen nicht verfangen. Ebenfalls als Hinweis an die Politik könnte auch verstanden werden, dass die Befragten genauer als in früheren Umfragen zwischen Flüchtlingen und Zuwanderern unterschieden. Eine kleine wie elementare Unterscheidung, die sich nicht in allen politischen Debatten wiederfindet.

Zwei Trends, die weniger überraschen, wurden auch festgestellt: Im Osten Deutschlands hat die Skepsis gegenüber Zuwanderern stärker zugenommen als im Westen, und Menschen unter 30 Jahren sehen in der Begegnung mit fremden Kulturen eher eine Bereicherung als eine Bedrohung. Die Ost-Spezialität wundert nach der pegidahaften Reaktion auf die Flüchtlingskrise nicht. Die folgende Stigmatisierung des Ostens als ausländerfeindlich könnte das verstärkt haben. Und dass die jüngeren Leute weniger Vorbehalte gegen fremde Kulturen haben, dürfte auch Ergebnis einer Multikulti-Realität sein, die in der U-30-Generation als normal erlebt wird.

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