zum Hauptinhalt
Flüchtlinge – die meisten aus Syrien – warten in Athen auf den Check-in für einen Flug in einen EU-Staat.

© AFP

Flüchtlinge in Athen: Mit gefälschten Papieren ab nach Deutschland

Wie syrische Flüchtlinge problemlos aus Griechenland mit falschen Papieren in die EU und auch nach Deutschland reisen. Ein Besuch am Flughafen in Athen.

Er hat eine ganze Menge von Problemen auf dem Buckel, die er durch die grauen Straßen von Patission schleppt, einem der heruntergekommenen Innenstadtviertel von Athen. Beim Schlafplatz angefangen, den er jede Woche aufs Neue suchen muss, bis zu diesem Nierenleiden, das nicht behandelt ist und ihn schmerzt. Vom Bürgerkrieg, der zerrissenen Familie, dem zerstörten Leben gar nicht zu reden. Doch die größte Hürde, vor der Elias jetzt steht, sind 2500 Euro.

So viel mindestens braucht der junge Syrer für einen falschen Pass und das Flugticket nach Deutschland. Und er braucht sie schnell. Am 15. März wollen die EU-Kommission und die deutsche Regierung das Dublin-Abkommen wieder in Kraft treten lassen. Dann geht das wundersame Tor zu, durch das sich jeden Tag Flüchtlinge vom Flughafen in Athen nach Europa absetzen – schnell und gefahrlos.

Ein Anruf genügt für ein Treffen mit einem Mittelsmann auf dem Omonia- oder rund um den Victoria-Platz in der Athener Innenstadt. Das Geld kommt in einem Safe. Bezahlt wird nur, wenn es klappt. Wenn der Kunde sich mit seinem falschen Ausweis an den Kontrollen vorbeigeschummelt hat und in der Maschine sitzt, auf dem Weg in ein anderes Land der Schengenzone. Dort, wo Wirtschaft und Asylbürokratie funktionieren, anders als in Griechenland.

„Es ist unsere einzige Chance“, sagt Elias. „Das hier ist ein armes Land.“ Seit Monaten schon sucht der 28-jährige Syrer Arbeit, um sich über Wasser zu halten, und findet nichts. „Man kann hier nicht leben“, sagt er. „Ich bräuchte zehn, 15 Jahre, um in Griechenland neu zu beginnen.“ Deutschland ist die Zukunft, Griechenland die ewige Krise. „Wenn du hier in den Straßen herumläufst, siehst du die vielen leeren Gebäude und Büros. Das sind die Griechen, die nach Europa gegangen sind.“ Die Flüchtlinge machen es ihnen nur nach, will er damit sagen. Elias, der Flüchtling, ist zwar registriert, aber abgetaucht. Von der Ägäis-Insel, auf der er interniert sein sollte wie 15.000 andere, hat er es nach Athen geschafft. Er will nach Deutschland zu seinen zwei Brüdern.

Gegen Bares arrangiert Athens Schlepper-Branche alles

Gegen Bares arrangiert Athens Schlepper-Branche alles – rund um die Uhr: den passenden Ausweis zum Gesicht, den wenig kontrollierten Flug nach Madrid oder Bratislava, gegen Aufpreis auch Bus und Hotel für die Weiterreise nach Deutschland. Gelingt der Flug, meldet sich der Reisende bei seinem Schlepper und gibt den Code für den Safe durch. Scheitert er, bekommt er einen neuen falschen Ausweis und ein Ticket für den nächsten Versuch. Bezahlt wird erst bei Erfolg. Das alles ist möglich in Athen.

50 bis 100, an Spitzentagen 200 illegal reisende Immigranten greift die Polizei am Flughafen Eleftheros Venizelos in Athen heraus. Etwa 2000 Passagiere haben deutsche Polizeibeamte dort 2016 aufgehalten, gibt das Innenministerium in Berlin an. Zwei Beamte wurden zur Unterstützung der Griechen nach Athen entsandt, ein dritter zum Flughafen in Thessaloniki; sie stehen in den Regel an den Gates zu den Flügen nach Deutschland, dem wichtigsten Ziel der Flüchtlinge. Doch das wissen auch die Schlepper. Sie kennen auch die Linien, bei denen das Bodenpersonal lieber zweimal auf den Ausweis schaut.

6000 Passagiere mit falschen Dokumenten sind 2016 bei der griechischen Fluggesellschaft Aegean Airlines aufgefallen. Das wären am Tag im Durchschnitt 16 bis 17 Flüchtlinge nur bei dieser einen Fluglinie. Wie viele unerkannt durchkommen, lässt sich kaum rekonstruieren. „Das ist die Dunkelziffer“, sagt ein Polizeibeamter aus einem anderen EU-Land in Athen. Einen Anhaltspunkt gibt es: 29000 Syrer meldeten sich 2016 in Deutschland bei den Behörden nach der Schließung der Balkanroute und dem Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei. Dass die offiziellen Angaben der griechischen Asylbehörde von derzeit 62000 Flüchtlingen im Land stimmen, ist unter diesen Umständen zweifelhaft: Jeden Tag fliegen Flüchtlinge aus Griechenland.

Elias hat sich kundig gemacht. Er erzählt von den Schleppern in ihren Büros, die stapelweise Personalausweise auf dem Tisch haben: gestohlene, verkaufte, verloren gegangene, gefälschte. Reisepässe sind teurer, gleich lautende Ausweispapiere für Eheleute oder Mutter und Kind kosten noch viel mehr. Von 4000 Euro aufwärts. Rund 40 Flüge gehen jetzt im Winter jeden Tag von Athen in die Schengenländer. Syrer, die – anders als Elias – Geld haben und ihren Absprung vorbereiten, berichten von 200 Flüchtlingen, die wegen des Ultimatums mit dem Dublin-Abkommen täglich mit der U-Bahn zum Flughafen hinausfahren und die Ausreise versuchen.

Manchmal gibt es für Geschnappte aufmunternde Worte

Marwan, ein 23-jähriger Syrer, dessen zwei Schwestern vor Monaten die Ausreise gelang, hat gerade seinen vierten Versuch hinter sich. Zuletzt probierte er es mit einem griechischen Personalausweis, einen hellblauen, in Plastikfolie eingeschweißten Lappen mit einem Schwarz-Weiß-Foto. Ein griechischer Polizeibeamter stoppte ihn. Flüchtlinge, die auffliegen, sitzen keine Stunde auf der Polizeiwache. Gefälschte Pässe werden vernichtet, authentische an die Konsulate der Länder in Athen geschickt. Eine Strafanzeige gibt es in der Regel nicht. „Sie sind freundlich zu uns“, berichten Syrer über die griechischen Polizeibeamten. Manchmal gebe es sogar ermunternde Worte: „Versucht es eben noch einmal.“

Eine Anfrage des Tagesspiegel an die griechische Polizei wurde nicht beantwortet. Ebenso wenig nahm Europol Stellung, wo 2016 ein Zentrum zur Bekämpfung des Schlepperwesens gegründet worden war. Polizeibeamte aus anderen EU-Ländern, die in Athen Dienst tun, zeigen Verständnis für ihre griechischen Kollegen. Eine völlige Kontrolle am Flughafen sei unrealistisch, heißt es. Das Risiko, dass Extremisten oder „Gefährdern“ die Ausreise durch die Drehtür Athen gelingt, ist jedoch real. Ein Beamter sagt: „Wenn etwa eine Familie mit kleinen Kindern das schafft, die keine Erfahrung mit Schmugglern und gefälschten Pässen hat, dann ist es für Profis erst recht kein Problem.“

Zur Startseite