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Man ermittelt: Italienische Küstenwache und Polizei vor der "Iuventa" der deutschen Hilfsorganisation "Jugend rettet".

© Mauro Seminara/Reuters

Update

Flüchtlinge im Mittelmeer: Streit um Seenotrettung eskaliert

Italien geht gegen NGOs im Mittelmeer vor und beschlagnahmt ein deutsches Helferschiff. Die neue Härte gegen Flüchtlingshelfer könnte allerdings rechtswidrig sein.

Der Streit um das Recht von Nichtregierungsorganisationen, Flüchtlingen im Mittelmeer zu helfen, hat einen ersten Höhepunkt erreicht: Die Staatsanwaltschaft im sizilianischen Trapani ermitteln italienischen Medien zufolge wegen „Begünstigung illegaler Migration“ gegen die deutsche NGO „Jugend rettet“. Am Mittwoch war deren Schiff vor Lampedusa beschlagnahmt worden. Die Flüchtlingshelfer forderten am Donnerstag die Herausgabe der "Iuventa". Eine Sprecherin der 2015 in Teltow bei Berlin gegründeten Organisation sagte der Nachrichtenagentur AFP, ihr italienischer Anwalt werde gegen die Festsetzung vorgehen. Jugend Rettet twitterte zudem, es sei "äußerst schwierig", tatenlos zuzusehen, während im Mittelmeer weiter Menschen ums Leben kämen.

Der Rest Europas will Italien nicht helfen

Die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl sprach von „menschenverachtender Arbeitsteilung“: Italiens Marine patrouilliere vor der libyschen Küste, gleichzeitig würden Seenotretter drangsaliert. Die Grünen erklärten, die Rettung von Menschen sei kein Verbrechen. Auch die Antworten der Bundesregierung auf Nachfragen ihrer Fraktion hätten keine Beweise für Fehlverhalten von Hilfsorganisationen enthalten.

Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) sagte: „Ich halte es für richtig, ja für notwendig, dass die Italiener sich bemühen, vernünftige Vereinbarungen mit den NGO's zu treffen. Zusammenarbeit ist nötig und wichtig, denn Tragödien hat es im Mittelmeer vor der Küste Libyens weiß Gott schon genug gegeben. Dass sich alle dabei an die Regeln des Rechts und der Humanität halten müssen und wir gemeinsam den Schleppern das Handwerk legen wollen, ist selbstverständlich.“

„Jugend rettet“, nach eigenen Angaben ein Zusammenschluss junger Europäer, die ihr Schiff „Iuventa“ mit Spenden finanzieren, war eine von zwei Organisationen, die sich geweigert hatten, einen Verhaltenskodex zu unterschreiben, auf den Rom die Helfer verpflichten will. Italien möchte davon abhängig machen, ob Flüchtlingshilfe-Schiffe seine Häfen anlaufen dürfen. Der neue Kodex schreibt unter anderem vor, dass bewaffnete Polizisten an Bord sein müssen und dass aufgenommene Flüchtlinge nicht an andere, größere Schiffe weitergegeben werden dürfen, die sie in Sicherheit bringen. Außerdem sollen die Schiffe der NGOs nicht in libysche Gewässer einlaufen. Nichtstaatliche Helfer bewerkstelligen inzwischen etwa 40 Prozent der Rettungen im Mittelmeer.

Sie beklagen seit langem Versuche, ihre Hilfe zu diskreditieren. Als erste warf die EU-Grenzschutzagentur Frontex NGO-Schiffen vor, objektiv die Schlepperorganisationen zu unterstützen. Italien ist, seit der Landweg über den Balkan im vergangenen Jahr praktisch dicht ist, wieder Hauptziel von Flüchtlingen aus Afrika und dem Nahen Osten. Die Behörden zählten 2017 bisher ungefähr ein Fünftel mehr als im Vergleichszeitraum 2016, inzwischen etwa 100 000 Menschen. Mehrere Versuche Roms, die anderen EU-Länder mit in die Pflicht zu nehmen, scheiterten an deren Weigerung, ihrerseits Migranten aufzunehmen. Anfang Juli entschied die EU stattdessen, Rom mit Fachleuten zu unterstützen und die libysche Küstenwache aufzurüsten.

Flüchtlinge "nicht gerettet, sondern an Bord genommen"

Der Versuch Roms, nun die Flüchtlingshilfsorganisationen an die Kandare zu nehmen, war nur teils erfolgreich. Einige Organisationen hatten an Gesprächen mit dem Innenministerium gar nicht teilgenommen, andere wie „Jugend rettet“ und „Ärzte ohne Grenzen“ weigerten sich zu unterschreiben. Die Ärzte-Organisation wollte vor allem keine Waffen an Bord ihrer Schiffe. Sie erklärte, sie hätte dann keine Handhabe mehr, bewaffnete Milizen oder reguläre Soldaten auch aus ihren Krankenhäusern in den Krisengebieten der Welt herauszuhalten.

Ob die Verhaltensregeln, die Italien erzwingen will, rechtmäßig sind, ist nicht nur unter Hilfsorganisationen umstritten: Der Wissenschaftliche Dienst des deutschen Bundestags nennt in einem aktuellen Gutachten die Rettung auf See eine jahrhundertealte Pflicht, die „gemeinhin als ungeschriebenes Völkergewohnheitsrecht“ gelte. Die EU dürfe nichts tun, damit Rettungsaktionen blockiert würden oder ins Leere liefen. Auch die Rückschiebung von Flüchtlingen und Migranten nach Libyen sehen die Fachleute im Bundestag kritisch. Die Genfer Flüchtlingskonvention verbiete es, sie an Orte zurückzubringen, wo ihnen Verfolgung oder Lebensgefahr drohe.

Sie verweisen auf die Einschätzung des Auswärtigen Amts, das von „allerschwersten, systematischen Menschenrechtsverletzungen“ und „KZ-ähnlichen Verhältnisse(n)“ in Flüchtlingslagern“ in Libyen wisse.

Gabriel äußerte sich zurückhaltend zu dem Gutachten: „Ich weiß nicht, welche Fassung der italienischen Vorschläge geprüft wurde und kann die Einschätzung des Gutachtens deshalb nicht bewerten.“

Italiens Parlament hat diese Woche eine Mission vor der libyschen Küste beschlossen. Gegen „Jugend rettet“ ist offenbar exemplarische Härte geplant. Italienischen Medien zufolge wurde bereits seit Oktober Material zusammengetragen, auch mit Hilfe von verdeckten Ermittlern an Bord. Am Donnerstag wurden Abhörprotokolle öffentlich, die Einvernehmen zwischen den Schleppern und den Helfern beweisen sollen. Der zuständige Staatsanwalt Ambrogio Cartosio hält die humanitären Motive der NGO zwar für glaubwürdig. Die Flüchtlinge seien aber „nicht gerettet, sondern (von den Schleppern) entgegengenommen“ worden. (mit AFP)

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