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Kindheit im Krieg. Viele junge Afghanen kennen kein Leben ohne Terror und Gewalt und spielen ihre Erlebnisse nach.

© AFP

Flüchtlinge gehen zurück nach Afghanistan: Rückkehr in den Krieg

Mehr als die Hälfte der Asylbewerber aus Afghanistan wird abgelehnt und soll zurückkehren. Die Grünen sehen das kritisch, denn die Sicherheitslage im Land ist weiter angespannt. Der US-Sondergesandte für Afghanistan sieht aber Fortschritte.

In Kabul stranden immer mehr Afghanen, die aus Deutschland und anderen europäischen Ländern zurückgekehrt sind. Bis zu 3500 haben allein Deutschland seit dem vergangenem Jahr freiwillig verlassen. Die Rückkehrer stünden meist vor dem Nichts und seien auch sozial nicht mehr verankert, sagt Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, der Afghanistan regelmäßig bereist. Die Bundesregierung hält es dennoch für vertretbar, Flüchtlinge nach Afghanistan zurückzuschicken – allein schon, weil sie sonst eingestehen würde, dass der deutsche Einsatz am Hindukusch gescheitert ist.
Dass die Sicherheitslage im Land weiter angespannt ist, leugnet in Berlin niemand. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) sieht aber „Inseln der Sicherheit“, auf denen Rückkehrer angesiedelt werden könnten. Er drängt die Bundesländer, Afghanen künftig auch aktiv abzuschieben.
Mehr als 90.000 Afghanen haben 2015 und 2016 einen Asylantrag in Deutschland gestellt, weitere warten noch auf einen Termin für die Antragstellung. Mehr als die Hälfte, rund 55 Prozent, werden abgelehnt. Gleichwohl bleibt die Zahl der Flüchtlinge hoch: Afghanen stellen die zweitstärkste Gruppe der Asylbewerber.
Die Stimmung in Afghanistan ist verheerend“, sagt Omid Nouripour. Die Sicherheitslage bezeichnet er als prekär. „Es gibt zwar Städte, die relativ sicher sind, doch wenn wir da alle abgelehnten Asylbewerber hinschicken, wird sich das ändern.“ Abschiebungen von Afghanen seien definitiv kein Beitrag zur Stabilisierung des Landes, so Nouripour weiter. „Die afghanischen Sicherheitskräfte haben die Lage nicht unter Kontrolle.“ Nicht ohne Grund habe die Nato ihren Abzug aus Afghanistan gerade verschoben.

Die Nato hat ihren Einsatz verlängert

Die Nato hatte bei ihrem Gipfel in Warschau vergangene Woche entschieden, auch im kommenden Jahr am Hindukusch mit Truppen präsent zu bleiben. Seit dem Ende des Kampfeinsatzes im Dezember 2014 beschränkt sich das Militärbündnis allerdings vor allem auf die Ausbildung und Beratung der afghanischen Armee. Bis 2020 wird es diese auch finanzieren.
US-Präsident Barack Obama will vorerst 8400 amerikanische Soldaten in Afghanistan belassen. Im Gegensatz zu den knapp 1000 deutschen Soldaten unterstützen die US-Truppen die Afghanen zum Teil noch immer offensiv bei militärischen Operationen. Ursprünglich sollte das US-Kontingent bis zum Jahresende von derzeit 9800 auf 5500 Soldaten schrumpfen. Doch die Taliban sind nicht geschlagen, im Osten des Landes kämpfen zudem nun auch Anhänger des „Islamischen Staates“ gegen die Zentralregierung.
Auch Deutschland denkt daher derzeit nicht an einen Abzug. Für Washington ist Berlin einer der wichtigsten Partner in Afghanistan: „Deutschland nimmt innerhalb der Nato eine Führungsrolle für die Kooperation mit Afghanistan ein“, sagte der US-Sondergesandte für Afghanistan und Pakistan, Richard Olson, dem Tagesspiegel bei einem Berlin-Besuch nach dem Nato-Gipfel.
Der US-Diplomat sieht eine positive Entwicklung beim Aufbau der afghanischen Streitkräfte. „Sie haben ihre Fähigkeiten verbessert und sind eindeutig in der Offensive.“ Es sei aber klar, dass die Taliban letztlich nur durch einen politischen Friedensprozess zur Aufgabe gebracht werden könnten. Dieser werde von den Taliban indes verweigert. Die afghanische Regierung halte aber an den Friedensgesprächen fest, erklärte Olson.

Der US-Sondergesandte sieht Fortschritte

Die von Experten geäußerte Kritik, die Einheitsregierung von Präsident Aschraf Ghani und seinem früheren Herausforderer Abdullah Abdullah sei faktisch handlungsunfähig, teilt Olson nicht. Er gibt zu bedenken, dass Afghanistan noch keine Erfahrung mit einer Koalitionsregierung habe. Insgesamt sei der Wiederaufbau in Afghanistan auf einem guten Weg. So sei zum Beispiel die Gesundheitsversorgung deutlich verbessert worden und die Lebenserwartung in den vergangenen 15 Jahren stark gestiegen. Fortschritte gebe es auch beim Steueraufkommen, so Olson. Gleichwohl könne man nicht leugnen, dass Afghanistan weiter zu den ärmsten Ländern der Welt zähle. Ob die Lage in Afghanistan stabil genug ist, um Flüchtlinge dorthin zurückzuschicken, wollte Olson nicht beurteilen. „Ich bin aber viel in Afghanistan unterwegs und kann sagen, es gibt durchaus befriedete und stabile Regionen.“

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