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Ein Terrorverdächtiger wird am BGH in Karlsruhe vorgeführt.

© dpa

Festnahme von potenziellen Attentätern: Sie kamen mit gefälschten Pässen

Drei syrische Anhänger des „Islamischen Staates“ sind als Flüchtlinge getarnt nach Deutschland eingereist und wurden nun von der Polizei festgenommen. Doch was war ihr Plan?

Von Frank Jansen

Die Terrormiliz „Islamischer Staat“ hält an ihrer Strategie fest, potenzielle Attentäter als vermeintliche Flüchtlinge nach Europa zu schicken. So tat es der IS vor den Anschlägen vom November 2015 in Paris und so geschah es mutmaßlich auch im Fall der drei Syrer, die am Dienstag in Schleswig-Holstein festgenommen wurden. Zusätzlich beunruhigt die Sicherheitsbehörden, dass beim IS offenbar dieselben Hintermänner die nach Frankreich geschleusten Terroristen dirigierten und nun die, wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sie nennt, „Schläferzelle“ in Norddeutschland. Die Behörden sahen die Gefahr, „Paris“ wiederhole sich in Deutschland.

Was ist über die drei Syrer bekannt?

Zwei der drei Männer sind, soweit sich das wahre Alter feststellen lässt, auffallend jung. Mahir Al-H. ist laut Bundesanwaltschaft erst 17 Jahre alt und soll vom IS im Gebrauch von Waffen und Sprengstoff trainiert worden sein. Vermutlich treffe das auch auf den 18-jährigen Ibrahim M. und den 26 Jahre alten Mohamed A. zu, heißt es in Sicherheitskreisen. Gerade junge Männer seien leicht verführbar. Der IS setze immer wieder jugendliche Kämpfer als Selbstmordattentäter ein. Laut Bundesanwaltschaft sollen alle drei Festgenommenene syrische Staatsangehörige sein. Die Einreise nach Deutschland soll den dreien mit Reisedokumenten gelungen sein, die zuvor vom IS in einer Fälscherwerkstatt in Rakka produziert wurden. Die Terrormiliz profitiert davon, dass sie bei ihren Eroberungen in Syrien viele Blankopässe des Assad-Regimes erbeutet hat. In die Dokumente werden Namen eingetragen, die der IS für taktisch geboten hält. Ob sie echt sind oder nicht, ist schwer zu ermitteln.

Im November 2015 reisten die drei jungen Männer über die Türkei und Griechenland und dann weiter über die Balkanroute nach Deutschland. In Schleswig-Holstein lebten sie in kommunalen Flüchtlingsunterkünften in Ahrensburg und Großhansdorf, nahe Hamburg, und in Reinfeld bei Lübeck. Von Hamburg aus flog die Bundespolizei die drei Festgenommenen am Dienstag nach Karlsruhe, wo Bundesanwaltschaft und Bundesgerichtshof (BGH) ihren Sitz haben. Ein Ermittlungsrichter des BGH hatte auf Antrag der Anklagebehörde die Haftbefehle gegen die Männer ausgestellt.

Wie kamen die Behörden den Terrorverdächtigen auf die Spur?

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hatte als erste Behörde Erkenntnisse über die mutmaßliche Schläferzelle. Dem Nachrichtendienst kam zugute, dass er in einer methodischen Analyse die Reise- und Schleusungswege der Attentäter vom November in Paris untersuchte. Die Terroristen hatten sich von Syrien in die Türkei begeben, wurden von Schleusern zur griechischen Insel Leros gebracht und reisten dann weiter in Richtung Österreich und Deutschland. Die Schleuser seien ihrerseits ebenfalls mit dem IS liiert gewesen, heißt es in Sicherheitskreisen. Dieselbe Schlepperorganisation brachte im Herbst 2015 auch Mahir Al-H., Ibrahim M. und Mohamed A. auf den Weg.

Ein Indiz für die Verbindung der drei Syrer zu den Attentäter von Paris könnten die Reisedokumente gewesen sein. Dem BfV fiel offenbar auf, dass die Pässe auch diesmal aus einer bestimmten Fälscherwerkstatt in Rakka stammten. Damit war im Fall der drei Syrer ebenfalls anzunehmen, dass der IS sie geschickt hatte. Das BfV informierte daraufhin BKA und Bundesanwaltschaft von denen die Verdächtigen anschließend rund um die Uhr observiert und abgehört wurden. Die drei Syrer verhielten sich auffallend konspirativ, doch BKA und Verfassungsschutz blieben dran. Die Sorge, die drei Syrer könnten während der Fußballeuropameisterschaft einen Anschlag auf eine Fanmeile vorbereiten, bestätigte sich jedoch nicht. Dennoch trauten die Behörden den drei Männer weiterhin schwere Straftaten zu und behielten sie permanent im Blick.

Wer sind die Drahtzieher beim IS?

Der im August getötete Sprecher der Terrormiliz, Abu Mohammad al Adnani, war auch Chef einer Geheimdiensttruppe. die Anschläge in Europa plante. Auf einer Hierarchie-Ebene darunter schickte der Funktionär Abu Musab al Suri die Paris-Attentäter auf die Reise – und die drei Syrer, die in Schleswig-Holstein landeten. Und: Abu Musab al Suri habe, heißt es in Sicherheitskreisen; auch das algerische Ehepaar instruiert, das gemeinsam mit Komplizen einen Anschlag in Berlin auf das Areal des ehemaligen Checkpoint Charlie geplant haben soll. Das Paar war, wie die drei Syrer, Ende 2015 als Flüchtlinge getarnt nach Deutschland gereist. Im Februar 2016 nahm die Polizei die Algerier in einer Unterkunft für Asylbewerber in der sauerländischen Stadt Attendorn fest.

Offen bleibt, ob Abu Musab al Suri identisch ist mit einem Dschihad-Ideologen, der denselben Kampfnamen hat. Der in der Dschihadistenszene weithin bekannte, einst vom Assad-Regime eingekerkerte Ideologe propagiert Terrorangriffe, die von Kleingruppen oder Einzeltätern begangen werden.

Was bezweckt der IS mit seiner Taktik?

Paris, Attendorn, Schleswig-Holstein – die Parallelen sind nach Ansicht der Sicherheitsbehörden unverkennbar. Experten betonen zudem, der IS wolle mit der Schleusung von Dschihadisten über klassische Flüchtlingsrouten auch politische Konflikte in Europa schüren. Je öfter Flüchtlinge als Terroristen stigmatisiert würden, desto mehr profitierten Rassisten, laute das Kalkül des IS. Der Hass der Rechten auf Muslime solle diese in die Arme der Terrormiliz treiben.

Wie groß ist der Terrorverdacht gegen Flüchtlinge?

Angesichts von ungefähr einer Million Flüchtlinge, die allein 2015 nach Deutschland kamen, ist von BKA-Präsident Holger Münch im Interview des Tagesspiegels genannte Zahl von mehr als 400 Hinweisen auf Personen mit möglicherweise terroristischem Hintergrund sehr klein. Und lediglich in ungefähr 60 Fällen sind beim BKA und den Polizeien der Länder Verfahren anhängig.

Eines davon ist offenkundig das gegen die drei Syrer in Schleswig-Holstein. Münch nannte es in dem Interview nicht, vermutlich um die Ermittlungen nicht zu gefährden. Der BKA-Präsident betonte allerdings, seine Behörde investiere bei der Prüfung der Hinweise „viel Zeit und viele Ermittler, um genau feststellen zu können, ob es sich um Personen handelt, die möglicherweise als Flüchtlinge getarnt nach Deutschland eingereist sind“. Und ob eine Tat geplant sei. Das BKA habe aber „aktuell keinen Beleg, dass ein Anschlag vorbereitet wird“. Das hat sich auch nach der Festnahme in Schleswig-Holstein nicht geändert.

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