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Analoge Kommunikation in Form von Tagebüchern oder Briefen lässt sich vererben, digitale Kommunikation nicht?

© Reuters/ Dado Ruvic

Facebook und die Daten: Bringt mehr Licht in die digitalen Dunkelkammern!

Dürfen die Eltern eines verstorbenen Kindes auf dessen Facebook-Konto zugreifen? Das Berliner Kammergericht hat die Klage abgewiesen. Das aber darf nicht das letzte Wort sein. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Malte Lehming

Das digitale Universum besteht aus vielen Daten. Aus Wörtern, Sätzen, Bildern, Videos, GPS- und Kreditkarten-Informationen, Emojis, Chats, Kurznachrichten. Durchs Produzieren und Weiterleiten solcher Daten entsteht täglich der Umfang einer Bibliothek. Allerdings wächst das digitale Universum nicht linear, sondern exponentiell. Im Jahr 2025, das schätzen Experten, wird es jährlich um 180 Zettabytes größer, das ist die Zahl 180 mit 21 Nullen. Wer nur einen Teil dieser Daten besitzt und kontrolliert, ist mächtig, ja übermächtig. Mit Hilfe ausgefeilter Algorithmen können die Menschen gläsern, ihr Verhalten berechenbar gemacht werden.

Vor fast zwanzig Jahren veröffentlichte David Brin, ein Astrophysiker und ehemaliger Nasa-Berater, das Buch „The Transparent Society“. Darin nimmt der Autor viele Entwicklungen des digitalen Zeitalters vorweg und benennt ihren Preis – den vollkommenen Verzicht auf Privatsphäre. Amazon weiß, was wir kaufen, Google weiß, wonach wir suchen, Facebook weiß, wer unsere Freunde sind. Dieses Wissen ist wertvoll. Daten sind das neue Öl, schreibt der „Economist“. Doch wem gehören diese Daten? Das ist die zentrale Frage, um das Zusammenleben im digitalen Universum zu regeln.

Analoge Kommunikation lässt sich vererben. Digitale Kommunikation nicht?

Die Verbraucher sagen leise: uns! Die Unternehmen sagen laut: uns! Und manchmal argumentieren digitale Großkonzerne mit den Interessen von Verbrauchern und sagen gewissermaßen doppelt: uns! So war es in dem Verfahren, in dem Facebook gezwungen werden sollte, der Mutter eines 2012 unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommenen Kindes den Zugang zu dessen Account zu gewähren. Davon erhofften sich die Eltern, Rückschlüsse über die Todesumstände zu gewinnen. War es womöglich ein Suizid? Facebook hielt dagegen, berief sich auf den Datenschutz und die Vertraulichkeit der Chat-Inhalte und bekam Recht. Die Klage wurde abgewiesen.

Das Urteil des Berliner Kammergerichts dürfte allerdings nicht der Weisheit letzter Schluss über eine derart diffizile Interessenkollision sein. Analoge Kommunikation in Form von Tagebüchern oder Briefen lässt sich vererben, digitale Kommunikation nicht? Das klingt nach einer kräftigen Portion Willkür. Muss nicht ein aufgeklärter Nutzer digitaler Kommunikationswege ohnehin davon ausgehen, dass sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung nie hundertprozentig garantiert werden kann?

Firmen wie Facebook müssen zur Transparenz gezwungen werden

In Zeiten von Wikileaks und NSA-Affäre scheint eine Neudefinition des Grundrechts auf vertrauliche Kommunikation unabänderlich zu sein. Ein digital geführter Dialog gleicht womöglich eher dem Gespräch auf einem Marktplatz, das für die Umstehenden zwar nicht gedacht ist, von ihnen aber leicht mitgehört werden kann. Das festzustellen, ist kein Post-Privacy-Defätismus, sondern digitaler Realismus.

Oft wird beklagt, der Verbraucher ginge mit seinen digitalen Daten zu leichtfertig um. Das suggeriert, man müsse nur etwas häufiger mal bar bezahlen, um den Fängen der Kraken zu entgehen. Das ist naiv. Wichtiger ist es, durch Gesetzesverschärfungen den Verbraucher selbstbewusst zu machen. Firmen wie Google, Facebook und Amazon müssen zur Transparenz gezwungen werden: Was genau wissen sie über wen und wofür verwenden sie das? Die Allmacht der Allwissenden lässt sich nur dann begrenzen, wenn die Dunkelkammern der Daten ausgeleuchtet werden, so hell es eben geht.

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