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Bundesjustizminister Heiko Maas will Facebook zu konsequenterem Vorgehen gegen Volksverhetzung verpflichten.

© Armin Weigel/dpa

Facebook: Die Moral der anderen

Der Bundesjustizminister Heiko Maas will Facebook in die Pflicht nehmen, beherzter gegen Volksverhetzer vorzugehen. Das Ansinnen birgt Risiken. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Es waren andere, für manchen ungemütlichere Zeiten, als sich der Pöbel noch auf der Straße treffen musste, um gegen das „Asylantenpack“ zu Felde zu ziehen. Regnete es oder schmeckte das Bier zu gut, war es vorbei mit dem politischen Aktivistenstolz. Heute geht Hetze einfacher, per Tastatur und Bildschirm; ein Satz, ein kommentiertes Foto erzeugt erstaunliche Resonanz, beschäftigt Staatsanwälte, ruft Protest und Gegenprotest auf den Plan.

Ein Fall für die Politik, meint Justizminister Heiko Maas, der mit Deckung der Kanzlerin Facebook zur Rede stellen will. Die Herrscher des Globalgeschwätzes sollen ihre Kommunikationsregeln nachbessern oder sich zumindest besser an sie halten. Kein Raum für Rassisten und Volksverhetzer, lautet ihre Forderung.
Um den Vorstoß einzuschätzen, hilft allein das moralische Urteil nicht weiter. Es ist verwerflich, wie der digitale Schmock das Schicksal der Flüchtlinge in den Dreck zieht. Verwerflich, wie das Foto eines angespülten ertrunkenen Jungen mit Hass und Witzen überzogen wird, wie Menschen sich eine Laune daraus machen, die Szene mit einer Puppe als Strandparty nachzuspielen. Auch wenn es dem herrschenden Moralkonsens widerspricht: Möglicherweise ist es sogar verwerflich, das Bild auf der Bühne der Massenmedien auszustellen. Moral ist zwar die unerschöpfliche Ressource, aus der sich viele Debatten speisen – aber sie gibt nur subjektiv ein sicheres Geleit. Andere haben eine andere Moral.

Aus dieser Einsicht heraus arbeiten demokratische Gesellschaften mit einem anderen Ordnungsinstrument, dem Recht. Es garantiert die freie Rede auf der einen und die Strafbarkeit bestimmter Äußerungsdelikte wie Beleidigung und Volksverhetzung auf der anderen Seite. Facebook hat eigene Gesetze. Es sanktioniert die Kommunikation nach Anstand und Moral. Für nackte Brüste und zotige Scherze wird die Löschtaste gedrückt, Hassparolen dagegen bleiben im Netz.

Die Auflösung solcher Widersprüche zum Politikziel zu erklären, birgt Risiken, die Heiko Maas vermutlich gegen den Zuspruch aufrechnet, den ihm sein Vorstoß einbringen könnte. Dennoch sollten sie nicht übersehen werden. Die Benimmregeln in sozialen Netzwerken amtlich mitzubestimmen, übersteigt die Aufgaben des Staates und seine Verantwortung. Das Justizministerium ist keine Hygienekommission für den politischen Dialog und erst recht keine Sprachpolizei. Es mag angebracht sein, zuweilen an Strafgesetze zu erinnern; diese Botschaft jedoch ist an die Zornigen und Erregten zu richten, die dort mit ihren Schriften wüten, nicht an die Unternehmen, die den Austausch organisieren.

Das Herantreten an Facebook folgt, wie „Compliance“ in der Wirtschaft, einer modisch gewordenen Pflichtendelegation, wonach Private die Einhaltung von Gesetzen kontrollieren sollen – und der Staat sich schleichend aus dem Spiel nimmt. Sollte sich Maas’ Ansinnen damit verbinden? Das kann es nicht sein. Die Staatsanwaltschaften haben dafür zu sorgen, dass Straftaten im Netz effektiv verfolgt werden, und ein Bundesjustizminister mag dafür eintreten, dass die Länder die Mittel dazu bereitstellen.

Alles andere ist Politik für die Galerie und weckt Erwartungen, die sie nicht erfüllen kann. Wenn Facebook die Hetze sperrt, wandert die Hetze auf neue Foren. Und von der Politik enttäuschte Bürger gibt es offenbar genug in diesem Land.

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