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Der im Exil lebende langjährige Chefredakteur der türkischen Zeitung "Cumhuriyet", Can Dündar, schreibt über Demokratie und Selbstbestimmung.

© dpa

Exiljournalist Can Dündar: Niemals aufgeben, ihr Mutigen!

Freiheit ist eine teure und gefährliche Frucht, schreibt Can Dündar in einer Tagesspiegelbeilage zur Bundestagswahl. Exiljournalisten denken darin über Demokratie nach.

"Jeder lebt hinter einem Gitter, das er mit sich herumträgt“, schreibt Franz Kafka in „Die Verwandlung“. Wahrscheinlich trifft der Satz am ehesten auf Menschen zu, die im Exil leben. Die meisten von uns haben sich ihre Gefängniszellen auf den Rücken geladen und sich dann in die ganze Welt verstreut. Und während wir schreiben, schlagen unsere Handschellen immer noch gegen unsere Tastaturen.

In der Istanbuler Redaktion meiner Zeitung „Cumhuriyet“ war der Konferenzraum mit kugelsicheren Vorhängen geschützt; in meinem Berliner Büro muss ich den Vorhang hinter mir immer zuziehen, damit ich nicht zum Ziel eines Attentats werde. Ich war freier, als ich im Gefängnis geschrieben habe, denn die Bedrohung, verhaftet zu werden, hing nicht mehr über meinem Kopf; jetzt muss ich beim Schreiben an meine Kollegen denken, die immer noch in ihren Zellen eingesperrt sind, die dort als Geiseln gehalten werden.

Das Exil erscheint vielen wie ein ruhiger Hafen auf der Flucht vor Unterdrückung und Verfolgung. Zum Teil ist das auch richtig, aber es ist kein Paradies auf Erden, höchstens ein Lager, dessen Stacheldraht von künstlichen Blumen kaschiert wird. Ein komfortables Lager, in dem man sich eine Weile ausruhen und von einer Rückkehr träumen kann. Nach der Belagerung der Medien in der Türkei bin ich nach Deutschland gekommen. Wir haben eine neue Redaktion gegründet und sie #Özgürüz genannt: Wir sind frei. Aber sind wir es wirklich?

Oft glaubt man, die Grenzen der Freiheit würde der Zensor ziehen. In Wahrheit verlaufen die Grenzlinien in unseren Köpfen. Vorurteile, Sorgen, Ängste verfolgen einen wie der eigene Schatten, den man nicht los wird, wie sehr man es auch versucht. Stellen Sie sich bitte vor:

Aus welcher Quelle soll ein Journalist im Exil, der alles in seinem Land zurückgelassen hat, seine weitere Arbeit finanzieren?

Wie soll ein Schriftsteller im Exil frei schreiben, ohne die geliebten Menschen zu gefährden, die er in seinem Land zurückgelassen hat?

Wo kann der Bürger eines Landes, dessen Regierung sich geschworen hat, ihre Widersacher überall in der Welt aufzuspüren und gegen sie zu hetzen, zur Ruhe kommen?

Wie soll der Journalist in dem neuen Land ein Redaktionsteam gründen und seinen Beruf ausüben, wenn Kollegen im Ausland und in der Türkei Angst haben, mit ihm in Verbindung gebracht zu werden?

Wenn die Kommunikationskanäle, über die er sein Land erreichen kann, verboten sind, kontrolliert und zensiert werden – wie soll er Leser und Zuschauer erreichen?

Wenn seine Informanten nicht einmal seine Anrufe entgegenzunehmen, aus Angst, aufgespürt zu werden – wie soll er die Wahrheit enthüllen?

Und selbst, wenn er es irgendwie schafft, die Zensur zu umgehen – wie soll er die Selbstzensur besiegen, die sich von all diesen Ängsten nährt?

Das Beharren darauf, die Wahrheit zu sagen, ist notwendig

Ich gebe Ihnen ein einfaches Beispiel:

Nehmen wir an, Sie verteidigen das Recht von Charlie Hebdo, Karikaturen zu zeichnen. Es gibt einen himmelweiten Unterschied, ob Sie das als deutscher Journalist tun oder als einer im Exil, der aus einem muslimischen Land kommt.

Wenn das nämlich der Exilierte tut, riskiert er nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch den Fortbestand des Mediums, das er zurückgelassen hat, und das Leben seiner Familie und seiner Kollegen. Die Strafe, die ihm dann auferlegt wird, verfolgt ihn sein Leben lang. Für den Rest seines Lebens wird er sich hinter Bodyguards verstecken, die er anmieten muss – hinter Gittern aus Fleisch und Knochen. Er muss nicht nur jeden Morgen mit neuen Drohungen aufwachen, er leidet auch darunter, seine Argumente den Menschen in seinem Land nicht mitteilen zu dürfen.

Die Freiheit ist eine sehr teure und gefährliche Frucht. Noch bevor man von ihr abgebissen hat, kann sie einen auffressen.

Ob nun das Land, in das man kommt, ein Paradies der Freiheit ist, ist eine ganz andere Frage. In meinem Land wird mir der Prozess gemacht, weil ich illegale Waffenlieferungen des türkischen Staates nach Syrien aufgedeckt und belegt habe. Dann kam ich nach Deutschland und lernte deutsche Kollegen kennen, gegen die ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, weil sie Dokumente veröffentlicht hatten, die zu Ermittlungsakten in einem Strafverfahren zählen – gegen eine deutsche Firma, die illegal Waffen nach Mexiko liefert, und ihre fragwürdige Kooperation mit Bundesbehörden.

In der Türkei wurde gegen mich wegen Beleidigung des Staatsoberhauptes ermittelt, weil ich in meinen Berichten Belege über Korruption veröffentlicht hatte. In Deutschland muss ich erleben, dass auch hier wegen Beleidigung – desselben Staatspräsidenten! – gegen einen deutschen Kollegen ermittelt wird.

Eine endlose Liste von Problemen. Trotzdem ist das Beharren darauf, die Wahrheit zu sagen, nicht nur möglich, sondern auch notwendig. Der wichtigste Grundsatz lautet: nie aufgeben! Mit dieser Entschlossenheit findet sich immer ein Weg, Hindernisse zu überwinden. Denn nicht nur Angst ist ansteckend, sondern auch Mut. Wir durften, unterwegs mit #Özgürüz, immer wieder neuen, mutigen Mitstreitern begegnen. Unsere Leser haben uns mit ihren Spenden unterstützt. Tag für Tag erfuhren wir in der Redaktion, dass der Bauch unseres Sparschweins wieder einmal um ein paar Groschen voller geworden war. Dank dieser kleinen, aber zahlreichen Spenden konnten wir mit mutigen Reportern und Autoren arbeiten.

Vom ersten Tag an war unsere Seite in der Türkei gesperrt. Aber die Leser sind inzwischen mit der Zensur bestens vertraut. Sie wissen, wie man sie umgehen kann. So haben sie trotz der Verbote lesen können, was wir berichten. Als Antwort auf die Sperre haben wir außerdem beschlossen, alle Möglichkeiten des Internets zu nutzen: YouTube, Periscope, Twitter … Immer wenn man uns einen Weg versperrte, tauchten wir woanders wieder auf. Sollten sie doch die Mauern so hoch ziehen, wie sie wollten – es gab immer einen Weg, sie zu durchlöchern.

Viele namhafte Autoren trauten sich nicht, für uns zu schreiben

Es war schwierig, an wichtige Quellen für die Berichterstattung zu gelangen. Doch andererseits wurden uns Informationen zugespielt, die sonst niemand zu veröffentlichen gewagt hätte. Viele namhafte Autoren trauten sich nicht, für uns zu schreiben. Aber das war zugleich eine Gelegenheit, neue Autoren auszubilden. Jetzt hatten wir unerschrockene Reporter, die für uns unterwegs waren. Dann eilte uns auch der „Bürgerjournalismus“ zu Hilfe. Viele haben von uns ein Passwort bekommen, sich eingeloggt und über #Özgürüz ihren Beitrag veröffentlicht. So konnten wir Hunderttausende erreichen. Und schließlich, im Juni, erschien die erste Ausgabe unseres zweisprachigen Magazins „#Özgürüz“.

Wir vollführen einen zittrigen Tanz auf einem hauchdünnen Seil. Das eine Ende ist an dem Pfeiler befestigt, der „totale Freiheit“ heißt, das andere Ende mündet am „totalen Schweigen“. Beide Pfeiler sind unerreichbar: Weder ist die totale Freiheit möglich, noch kann man jemanden gänzlich zum Schweigen bringen. Die totale Freiheit hat Grenzen, das totale Schweigen Schlupflöcher.

Um die Grenzen zu überwinden, schlüpfen wir durch die Löcher des Schweigens und versuchen, die Wahrheit zu verteidigen.

Die Wahrheit: die Tinte des Journalismus …

Die Wahrheit: die Angst der Regierungen …

Die Wahrheit: der Wegweiser des Wählers …

Vielleicht denken Sie, dass die Welt ein globales Dorf geworden ist, das dank der neuen Informationstechnologien immer weiter schrumpft. Dass es immer leichter wird, Informationen zu bekommen und weiterzugeben. Und dass die Journalisten im Exil eben nur für andere Medien schreiben müssen, nur die Laufrichtung ändern. Dann lassen Sie uns an Kafkas „Kleine Fabel“ denken:

„Ach“, sagte die Maus, „die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, dass ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, dass ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, dass ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.“ – „Du musst nur die Laufrichtung ändern“, sagte die Katze und fraß sie.

Die Mauern, die unser Land und unser Denken umgeben, mögen noch so schnell aufeinander zueilen, wir werden unermüdlich neue Schlupflöcher in sie schlagen. Die Katze wird uns nicht kriegen.

Wir werden weiter für die Ehre unseres Berufs, die Freiheit unserer Feder und unser Recht auf die Veröffentlichung der Wahrheit einstehen – auch wenn wir dafür unser Leben riskieren müssen.

Aus dem Türkischen von Recai Hallaç. Can Dündars neues Buch „Verräter. Von Istanbul nach Berlin. Aufzeichnungen im deutschen Exil“ erscheint am 5. Oktober bei Hoffmann und Campe.

Dieser Text ist in der Beilage „Wir wählen die Freiheit“ mit Texten von Exiljournalisten am 8. September 2017 erschienen. Die Beilage entstand im Rahmen des Projekts #jetztschreibenwir des Tagesspiegels, in Kooperation mit der Friedrich-Naumann-Stiftung und der Robert Bosch Stiftung.   

Can Dündar

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