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Europäische Verteidigungspolitik: Paris lädt ein. Berlin sollte der Einladung folgen

Frankreich gibt sich eine neue Verteidigungsstrategie. Warum das für Deutschland wichtig ist - und wie die neue Koalition reagieren sollte. Ein Gastbeitrag.

Frankreich hat einen neuen Fahrplan für seine Verteidigungspolitik: die am 13. Oktober veröffentlichte Revue stratégique de défense et de sécurité nationale 2017. Diese erläutert für die kommenden fünf Jahre der Präsidentschaft Macrons, wie Frankreich seine Interessen und Ambitionen in der Welt sieht, welche Bedrohungen es wahrnimmt und wie es seine militärischen Instrumente daran anpassen will. Die Revue stratégique bildet außerdem die Grundlage für das nächste militärische Planungsgesetz, das u.a. festlegt, wie Frankreich seinen Verteidigungshaushalt ausgeben will. All das sind gute Gründe, warum die anderen Europäer aufmerksam werden sollten, wenn Paris aufschreibt, wie es die Welt sieht. Das trifft besonders für Deutschland zu, da Frankreich der wichtigste Partner bei den aktuellen Bemühungen ist, eine gemeinsame europäische Verteidigung aufzubauen.

Paris öffnet sich bislang ungekanntem Maß der Kooperation in Europa

Die Konturen des französischen Verständnisses werden nun klarer, ebenso wie die Erwartungen und Angebote an die Partner: Obwohl Frankreich wie erwartet an traditionellen Positionen wie der nationalen autonomen Handlungsfähigkeit und der nuklearen Abschreckung festhält, öffnet sich Paris in einem bislang nicht gekannten Maße für Kooperation in Europa, wird gleichzeitig pragmatischer und rüstet ideologisch ab. Für Deutschland und die EU-Partner sind vor allem drei Veränderungen relevant.

Auf der konzeptionellen Ebene wagt Macron, erstens, einen Schritt heraus aus dem Konzept der strategischen Autonomie auf ausschließlich nationaler Ebene in Richtung europäische Autonomie. Er argumentiert, dass Frankreichs Souveränität durch mehr Sicherheit Europas gestärkt werden kann. Das hat enorme Folgen: Bislang ist die Organisation der Streitkräfte und der Verteidigungsindustrie darauf angelegt, nationale Handlungsfähigkeit ohne die Hilfe von Partnern zu sichern. Die Realität ist aber schon seit langem eine andere: die Streitkräfte sind überdehnt, Operationen können zwar noch allein begonnen, aber nicht allein weitergeführt werden. Frankreich braucht Partner. Die Annäherung an diese Realität eröffnet neue Handlungsspielräume für Paris und seine Partner. Gleichzeitig muss Frankreich nun zeigen, dass es loslassen kann: also kooperieren, ohne dabei dominieren zu müssen.

Gerade in Berlin wird aus Macrons Reden ein Votum für Verteidigungskooperation innerhalb der EU gelesen – dies läge zufällig voll auf der Berliner Linie. Doch tatsächlich will Frankreich pragmatische Lösungen anstatt ideologische Schlachten um EU und NATO als den besseren institutionellen Rahmen. Macron spricht von Europa, also nicht von der EU allein. Im Vordergrund stehen Ergebnisse, und damit die Möglichkeit, dass jene Staaten, die willig und fähig zu militärischen Operationen sind, pragmatisch zusammenarbeiten können, in welchem Rahmen ist dabei nebensächlich.

Das ist zunächst nicht neu: Frankreich hat eine immer noch spürbare Ablehnung gegen die Nato und sah die EU lange als bessere Option. Nun zeigt sich Frankreich offen für alle Allianzen: Was zählt ist, dass Kooperation Ergebnisse zeitigt, nicht nur symbolisch zelebriert wird. Das gilt auch für die derzeit so gelobten EU-Initiativen – diese nennt Macron zwar, sie sind aber nur eine Option unter vielen und stehen nicht im Zentrum der Überlegungen.

Es geht darum ad hoc zusammenarbeiten zu können - jenseits der zähen Strukturen von EU und Nato

Dieser Pragmatismus prägt etwa die Idee der neu lancierten European Intervention Initiative: Willige und militärisch fähige Europäer sollen außerhalb der zähen Entscheidungsstrukturen von EU und Nato pragmatisch und ad hoc zusammenarbeiten können. Damit will Paris das Problem anderer multinationaler Formationen umgehen, etwa die langen und komplizierten institutionellen Entscheidungen und die symbolischen, aber nutzlosen Kleinstbeiträge von einigen Staaten. Ganz pragmatisch strebt Paris keine neue stehende Formation an, sondern eine Truppe, die je nach Bedarf einer konkreten Operation zusammengesetzt wird, und dann sowohl in der EU, als auch in Nato oder Vereinte Nationen oder in Koalitionen der Willigen eingesetzt werden kann.

Dieser Fokus auf sofort einsatzbereite „plug and play“ Kooperationen mag der aktuellen Überlastung Frankreichs und damit dem alten Bedarf nach unmittelbarer Unterstützung geschuldet sein. Doch es ist keine ausreichende Antwort auf das Problem, dass Europas militärische Handlungsfähigkeit langfristig nicht gesichert ist. Denn jenseits der Frage politischen Willens gehen Europa schlichtweg die Fähigkeiten aus, seien es Panzer oder Schiffe, und zwar trotz aller Bekundungen der Staaten, Verteidigungshaushalte erhöhen zu wollen und trotz der unzähligen aktuell gehypten Initiativen. Je mehr sich Frankreich nun auf seine Partner stützt, umso mehr muss es sich auch langfristig für deren Fähigkeiten interessieren. Dies setzt einen erheblichen Mentalitätswandel in Paris voraus.

Für Berlin ist Verteidigung in der EU immer noch ein Integrations-, nicht  aber ein Sicherheitsthema

Paris betont explizit die Bedeutung Deutschlands als Partner, noch vor London. Doch während Paris die EU Dimension in eine Europäische Verteidigung weiterentwickeln will, hält Berlin an institutioneller EU-Ästhetik fest. Nicht zuletzt, weil Berlin Verteidigung in der EU immer noch als Integrations-, nicht  aber als Sicherheitsthema versteht.

Der zu verhandelnde Koalitionsvertrag muss Antworten auf die französischen Fragen und die herzliche Einladung zu mehr und neuer europäischer Kooperation finden. Lediglich die alten Zöpfe von europäischer Armee bis mehr Nato zu wiederholen ist keine befriedigende Antwort. Wenn sich Paris und Berlin einigen, dann können sie beide ab 2018 mit neuem Elan voran gehen und die anderen Europäer mitreißen beim Aufbau einer einsatzfähigen europäischen Verteidigung. Berlin sollte daher auf die Pariser Einladung schnell und konstruktiv antworten.

Dr. Claudia Major ist Senior Associate an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Berlin. Dr. Christian Mölling ist Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Berlin. 

Claudia Major, Christian Mölling

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