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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)

© Reuters/Hannibal Hanschke

Europa und die Flüchtlinge: Angela Merkel muss ihre einsame Haltung ändern

Führung ohne Gefolgschaft geht nicht in der Flüchtlingspolitik. Die Bundeskanzlerin muss einen Weg in die Mitte des Meinungsspektrums der EU finden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Deutschland ist dabei, sich zu überheben. Die Aufgabe, die es sich aus anerkennenswerten Motiven aufgeladen hat, ist national kaum lösbar – und international unlösbar, weil die EU- Partner die Lastenteilung ablehnen.

In diesen Tagen zwischen dem Syrien-Abkommen, der Münchner Sicherheitskonferenz, zwei EU-Gipfeln und zwei Landtagswahlen wird die paradoxe Lage der Deutschen unübersehbar. Alle loben ihre großherzige Aufnahmebereitschaft, doch kopieren möchte sie niemand. Alle verlangen eine europäische Lösung, sagen dann aber nur, was nicht geht.

Alle fordern Führung, auch von Deutschland, dem wirtschaftlich und politisch leistungsfähigsten Staat. Doch in die Richtung, in die die Kanzlerin die EU führen möchte, wollen die Partner ihr nicht folgen. Der französische Premier Manuel Valls hat das nun brutal ausgesprochen: Der EU-Gipfel wird keine weitere Verteilung von Flüchtlingen beschließen. Die Hoffnung, mit der Angela Merkel die Deutschen um Geduld bittet – es dauere halt, bis die EU sich einige –, erweist sich als leer, ehe die Bürger wählen gehen.

Führung muss nicht populär sein - aber auch nicht aussichtslos

Freilich ist rätselhaft, warum noch immer so viele an der Hoffnung festhalten, dass Europa den Deutschen solidarisch Flüchtlinge abnehmen werde. Die Erfahrungen der letzten sechs Monate haben das als Illusion enttarnt. Ursula von der Leyen hatte Deutschlands Rolle vor einem Jahr in München als „Führen aus der Mitte“ beschrieben. Die Formel wurde belächelt, weil sie sie nicht überzeugend erklärte. Sie enthält aber einen wahren Kern. Wer führen will, muss sich vergewissern, wie weit die Partner folgen. Zu wahrer Führung gehört es gewiss ebenso, für Überzeugungen zu kämpfen, die nicht populär sind. Aussichtslose Kämpfe sind hingegen kein Ausweis von Führungsstärke.

Es gibt eine mehrheitsfähige Option in der EU, wie Europa eine Überforderung durch Massenmigration vermeiden kann. Nur ist das nicht Merkels Lösung. Mit dem Willen zu großzügiger Aufnahme steht Deutschland allein. Schweden und Österreich, die es ähnlich hielten, haben ihre Politik unter dem Ansturm geändert.

Gefordert wird ein abschreckendes Zeichen - weil sie mehr Flüchtlinge erwarten

Die erdrückende Mehrheit der Partner sieht die Lösung darin, die Fluchtursachen zu bekämpfen und die Außengrenze zu sichern. Wirtschaftsmigranten sollen auf Einwanderungsprogramme verwiesen werden und Kriegsflüchtlinge in Hot Spots an den Außengrenzen nachweisen, dass sie auf ihrer Fluchtroute nicht bereits an einem Ort, der näher an ihrer Heimat liegt, eine sichere Zuflucht hatten. Kurz gesagt ist die Devise: den Einlass auf die Unabweisbaren zu reduzieren.

Es ist vielsagend, dass 'Merkel muss weg' ein Slogan aus der tiefsten politischen Mottenkiste ist. Zu Zeiten von Helmut Kohl hieß es 'Kohl muss weg'. Das nenne ich doch mal eine Meinungsäußerung mit Esprit.

schreibt NutzerIn 13rice

Auch dieser Ansatz hat Schwächen. Fluchtursachen bekämpfen – das sagt sich leicht. Wo aber ist der überzeugende Plan, der Syrien, dem Irak und Libyen Frieden bringt oder den Druck, der Afrikaner zur Flucht treibt, verringert? In Wahrheit ist es umgekehrt: Valls & Co. wollen den Einlass drosseln, weil sie erwarten, dass der Zustrom noch gewaltig steigen wird, wenn Europa nicht ein glaubwürdiges, also abschreckendes Zeichen setzt: Es kann nicht jeder kommen, unsere Aufnahme hat enge Grenzen.

Für Angela Merkel heißt das: Führung ohne Gefolgschaft geht nicht. Sie muss ihre einsame Position modifizieren und einen Weg in die Mitte des Meinungsspektrums der EU finden. Wenn sie die Suche anführt, wie die Balance aus Sicherung der Außengrenze und einem gedrosselten Einlass in der Praxis funktionieren kann, werden die Partner ihr folgen.

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