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Auf einer Linie: Francois Hollande und Angela Merkel demonstrieren in Bratislava französisch-deutsche Einigkeit.

© Stephane de Sakutin/AFP

EU-Gipfel in Bratislava: 27 raufen sich zusammen

Beim Gipfel ohne Großbritannien setzen die Europäer auf einen gemeinsamen Grenzschutz – aber Differenzen in der Flüchtlingspolitik bleiben bestehen.

Informelle Gipfeltreffen auf EU-Ebene wie das in Bratislava sind neu. Erst seit dem Brexit-Votum gibt es dieses Format. Es wurde nötig, weil die 27 Mitglieder der künftigen EU sich absprechen wollen, wie es weiter geht. Zum informellen Rahmen gehört, dass es keine offiziellen Beschlüsse gibt. Und dennoch ist das Treffen, das am Freitag in der slowakischen Hauptstadt hinter den hohen Mauern der Burg über die Bühne ging, wichtig. Es wird tiefer in die Geschichte der EU eingehen als viele offizielle Treffen.

Die Bedeutung ist schon daran zu erkennen: Wohl noch nie ist ein Treffen der Regierungschefs so intensiv vorbereitet worden. Von Ratspräsident Donald Tusk, von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, von der deutschen Kanzlerin, die buchstäblich fast jeden ihrer Kollegen im August getroffen hat. Nur den griechischen Regierungschef Alexis Tsipras hat sie nicht persönlich getroffen, dafür wurde ausgiebig telefoniert.

Die intensive Vorbereitung hat sich ausgezahlt. Nach Auskunft aus den Delegationen herrschte eine „gute, offene, sehr konstruktive Stimmung“, als sich die 27 morgens an einen Tisch setzten und eine Bestandsaufnahme der Lage in Europa machten. Dabei war klar, dass es nach wie vor große Meinungsverschiedenheiten gibt. Dennoch ist man sich in einem Punkt einig: Der Brexit soll ein Weckruf sein, Und aus Bratislava die Botschaft an die EU-Bürger gehen: Europa will vorankommen. Das sollen die Bürger rasch merken.

Deutsch-französischer Motor

Dazu passt, dass Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande ein Zeichen setzen. Sie gehen nach dem Ende des Gipfels gemeinsam vor die Presse. Das ist ungewöhnlich. Es soll unterstreichen, dass der deutsch-französische Motor arbeitet. Merkel beschwört den „Geist von Bratislava“. Hollande sagt: „Nach dem Brexit ist es umso wichtiger, dass Deutschland und Frankreich Verantwortung wahr nehmen.“
Zur Choreographie, die zwischen Brüssel, Berlin und den anderen Hauptstädten abgestimmt war, gehörte, dass Politikfelder identifiziert wurden, auf denen man sich einig ist. Merkel formulierte es morgens so: Wichtig sei, „durch Taten zu zeigen, dass wir besser werden können.“

Um den Neustart mit einem Begriff zu verbinden, wurde die sogenannte Bratislava-Agenda geboren. Bis zum März, wenn der 60. Jahrestag der Unterzeichnung der römischen Verträge begangen wird, will man Konkretes vorweisen. An erster Stelle stehen Vorhaben der inneren und äußeren Sicherheit. Die Flüchtlingskrise ist immer noch in den Köpfen der Menschen und der Politiker. Deshalb soll zum Beispiel möglichst schnell der Grenzschutz verbessert werden.

Ein anderer Luxemburger, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, hatte am Mittwoch vor dem Europaparlament in Straßburg eine Rede zur „Lage der Union“ gehalten, in der er eine „positive Agenda“ vorgeschlagen hatte. Mit dieser sollen die Spannungen zwischen den EU-Staaten überwunden werden. Zum Auftakt des Gipfels in Bratislava deutete sich an, wie die „positive Agenda“ genau aussehen soll. Zu Beginn des Treffens legte die Kommission den Teilnehmern den Entwurf eines Fahrplans zur Beratung vor. Laut dem Dokument soll die EU in den kommenden zwölf Monaten ihre Handlungsfähigkeit auf fünf Themenfeldern beweisen: Investitionen, digitaler Binnenmarkt, Sicherheit, Verteidigung und Jugend.

Hilfe für Bulgarien

Dabei spielt die Sicherheit offenbar eine zentrale Rolle. Das zeigte sich auch in Bratislava. „Sicherheit bedeutet vor allem den Schutz der Grenzen“, sagte Frankreichs Präsident Hollande am Ende des Gipfels während seiner gemeinsamen Pressekonferenz mit Merkel. Hollande forderte, dass Länder wie Griechenland, Bulgarien und Italien, in denen Flüchtlinge zuerst den Boden der EU betreten, unterstützt werden müssten. Laut dem Vorschlag der EU-Kommission soll etwa Bulgarien mit weiteren 200 Grenzschützer und 50 Fahrzeugen an der EU-Außengrenze geholfen werden. Auf der Aufgabenliste fürs nächste Jahr steht auch ein Ein- und Ausreiseregister nach US-Vorbild, mit dem die EU den Überblick behalten will, wer in die Gemeinschaft kommt und wer sie verlässt.

Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei unterstützen ein derartiges Einreiseverfahren. Generell sei der Grenzschutz ein „effektiver Weg zum Kampf gegen illegale Einwanderung“, teilten die vier Visegrad-Staaten in einer am Rande des Gipfels veröffentlichten Erklärung mit. Die vier Staaten boten an, die EU-Grenzschutzagentur Frontex stärker zu unterstützen. Die Mitgliedstaaten sollten entsprechend „ihrer Erfahrung und ihres Potenzials“ entscheiden dürfen, wie sie helfen wollen, heißt es in der Erklärung der Visegrad-Länder. Mit der stärkeren Unterstützung beim Schutz der EU-Außengrenzen wollen die Visegrad-Staaten offenbar ihre mangelnde Aufnahme von Flüchtlingen ausgleichen. Merkel sprach von einem „durchaus positiven Ansatz“.

Auf Konfrontationskurs

Dass sie feste Quoten für Flüchtlinge weiter ablehnen, machten Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei in ihrer gesonderten Erklärung aber nochmals deutlich. Die vier postkommunistischen Staaten sind seit Beginn der Flüchtlingskrise auf Konfrontationskurs zur Politik von Merkel. Anfang Oktober stimmen die Ungarn in einem Referendum über die von der EU beschlossene Umverteilung von Schutzsuchenden innerhalb Europas ab. Die rechtskonservative Budapester Regierung unter Premier Viktor Orban lehnt diese vehement ab. Ungarn und die Slowakei haben gegen die Aufnahmeverpflichtung Klage vor dem Europäischen Gerichtshof eingereicht.

Im Bereich der EU-Verteidigungspolitik finden sich unter den Vorschlägen der Kommission für die kommenden Monate mehrere Initiativen, die auf einen deutsch-französischen Vorstoß zurückgehen. Beide Länder hatten vor dem Gipfel eine Initiative zur Einrichtung eines gemeinsamen Hauptquartiers für EU-Missionen präsentiert. Die EU-Kommission will nun im Dezember dazu einen Vorschlag vorlegen. Beschlossen werden soll dies dem Entwurf zufolge bis zum Juni 2017.

Gemeinsame Rüstungsprojekte

Derselbe zeitliche Ablauf ist auch für zwei weitere von Deutschland und Frankreich vorgeschlagene Verteidigungsinitiativen vorgesehen: Dazu gehört die Einrichtung einer „ständigen, strukturierten Zusammenarbeit“ einzelner Staaten im Verteidigungsbereich – inklusive der bereits vorbereiteten „Battle Groups“, die innerhalb von zehn Tagen in Krisengebieten eingesetzt werden können. Außerdem wird in dem Kommissionspapier ein Verteidigungsfonds vorgeschlagen, mit dem Investitionen in gemeinsame Rüstungsprojekte gefördert werden sollen.

Weitere Initiativen, die sich in dem Fahrplan-Entwurf der Kommission finden – etwa im Bereich der Investitionen, des digitalen Binnenmarktes und der Hilfe für Jugendliche –, hatte Juncker bereits am Mittwoch vorgestellt. So soll bis 2020 ein „Solidaritätskorps“ für mindestens 100.000 junge Menschen aufgebaut werden, die in Krisensituationen wie etwa bei der Flüchtlingsbetreuung helfen könnten.

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