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Russlands Präsident Wladimir Putin (r.) trifft Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (l.) in Sankt Petersburg.

© Alexey NIKOLSKY / SPUTNIK / AFP

Ende der Russland-Sanktionen?: Darum ist die Nachsicht mit Putin in Ostdeutschland so groß

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer fordert ein Ende der Russland-Sanktionen. Worum es geht – und wer die Forderung unterstützt.

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Nach seiner Rückkehr aus Russland sieht sich Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) mit massiver Kritik konfrontiert – auch von der eigenen Parteichefin. Kretschmer hatte ein Ende der Sanktionen gegen Russland gefordert, die die Europäische Union wegen Moskaus Vorgehen in der Ukraine 2014 verhängt hatte. Außerdem hatte er sich in St. Petersburg mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin getroffen und ihn nach Dresden eingeladen, eine Stadt, die Putin noch aus seiner Zeit als KGB-Offizier sehr gut kennt.

Kretschmer verteidigte seine Position auch damit, dass es in Ostdeutschland eine besondere Sichtweise auf Russland und Osteuropa gebe. „Diejenigen, die sich nun mit erhobenem Zeigefinger zu Wort meldeten, sollten auch zur Kenntnis nehmen, dass es in den neuen Bundesländern eine eigene Meinung zu dieser Frage gibt.“

Wer unterstützt Kretschmers Position?

Während Kretschmers Forderung nach einer Abschaffung der Russland-Sanktionen in seiner eigenen Partei auf Kritik stieß und die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer betonte, in der Frage gebe es keinen Spielraum für Verhandlungen, bekam er Rückendeckung von den Linken, die schon seit Jahren für einen anderen Kurs in der Russlandpolitik werben. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow unterstützte Kretschmers Forderung und betonte zugleich, Kretschmer handele bei diesem Thema im Interesse der neuen Bundesländer, deren Wirtschaft unter den Sanktionen leide.

Diese ungewöhnliche Allianz zwischen Politikern von CDU und Linken ist keineswegs neu: Schon Anfang 2018 forderten Kretschmer und Ramelow gemeinsam mit Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschefin Manuela Schwesig (SPD) und Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) ein Ende der Russland-Sanktionen. Sie beriefen sich dabei ebenfalls auf die Interessen der Unternehmer in Ostdeutschland.

Gibt es bei den Ostdeutschen eine besondere Nähe zu Russland?

Egal, ob es um eine Rückkehr Russlands in den Kreis der G-7-Staaten geht, den Krieg in der Ukraine, Atomwaffen oder den Giftanschlag auf den früheren russischen Spion Sergej Skripal – die Deutschen im Osten zeigen tendenziell ein größeres Verständnis für die Positionen Russlands als Menschen im Westen. Das hätten über die Jahre verschiedenste Umfragen gezeigt, sagt Hermann Binkert, Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Insa. Meist bleibt der Unterschied in den Umfragewerten im einstelligen oder niedrigen zweistelligen Prozentbereich.

Für den Psychologen Hans-Joachim Maaz sind diese statistischen Abweichungen das Resultat einer jahrzehntelangen Vertrautheit zwischen der DDR und der Sowjetunion: „Russland war für Menschen in der DDR ein zentrales Reiseziel. Man hat das russische Leben erfahren und die russischen Menschen.“ Wo die Sowjetunion im Westen nur als Projektionsfläche für das Böse gedient habe, sei sie im Osten greifbar gewesen – in all ihrer Ambivalenz. „Viele haben am System gelitten, aber sich mit den Menschen verstanden“, sagt Maaz.

Dass viele im Osten dennoch gerade den Führungsstil Putins gutheißen, sieht er als Bedürfnis nach Führung durch eine „anerkannte Autorität“. Russland werde auch fast drei Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als Land im Übergang gesehen, dass sich erst noch zu den liberalen Werten des Westens hin entwickele. Und auf dem unsicheren Weg dorthin bräuchten die Russen einen Politiker wie Putin. Parallel hätten rechte Proteste wie bei Pegida dazu geführt, dass die Geschichte der Wiedervereinigung und das kapitalistische System des Westens radikaler hinterfragt würden.

Doch auch im Westen zeigten die Menschen zunehmend Verständnis für die Interessen Russlands, sagt Meinungsforscher Binkert. Zwar würden immer noch die Erfahrungen des Kalten Krieges mitschwingen, aber die kritischen Positionen hätten sich in den Befragungen deutlich gelockert.

Worauf zielen die Sanktionen der EU überhaupt?

Im Jahr 2014 verhängte die EU zunächst Einreiseverbote und Kontensperrungen gegen Personen, die direkt für die Annexion der Krim verantwortlich gemacht wurden. Auf das russische Vorgehen in der Ostukraine reagierte die EU später mit Wirtschaftssanktionen, zu denen ein Waffenembargo ebenso zählt wie das Verbot der Ausfuhr von so genannten Dual-Use-Gütern, die sowohl für militärische als auch für zivile Zwecke verwendet werden können. Untersagt ist ebenso der Export von Technologie für die Ölförderung. Russische Staatsbanken dürfen außerdem keine Kredite mehr erhalten. Dagegen sind selbst energiepolitische Großprojekte wie die Gaspipeline Nord Stream 2 von den Sanktionen nicht betroffen.

Auf die Entscheidung der EU antwortete die russische Regierung mit Gegensanktionen und verbot die Einfuhr landwirtschaftlicher Produkte aus der Europäischen Union.

Nach der Verhängung der Russland-Sanktionen gab es massive Einbußen im deutschen Russland-Geschäft. Allerdings geriet etwa zeitgleich die russische Wirtschaft in die Krise, der Ölpreis war drastisch gesunken. Daher lässt sich der Rückgang der deutschen Exporte nach Russland nicht nur auf die Sanktionen zurückführen.

Leiden ostdeutsche Firmen besonders stark unter den Sanktionen?

Genaue Zahlen darüber, wie viele Firmen wegen der Russland-Sanktionen Umsatzeinbußen hinnehmen müssen und wie groß diese Einnahmeverluste sind, gibt es nicht. Allerdings sind kleinere mittelständische Firmen in den ostdeutschen Bundesländern besonders stark betroffen, die noch aus der DDR-Zeit über enge Geschäftsbeziehungen nach Russland verfügen. So musste beispielsweise der Magdeburger Maschinenbauer Vacoma, der sich auf den russischen Markt spezialisiert hatte, im Jahr 2015 Insolvenz anmelden. Dieser Fall gilt allerdings als Ausnahme.

Grundsätzlich haben sich viele deutsche Unternehmer inzwischen einigermaßen mit der veränderten Lage arrangiert. In einer Umfrage des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft sprachen sich Ende 2018 zwar 95 Prozent der befragten in Russland tätigen Unternehmen für einen sofortigen oder schrittweisen Abbau der Sanktionen aus. Zugleich antworteten aber etwa zwei Drittel der Befragten, der größte Störfaktor für ihr Russlandgeschäft sei der schwankende Rubelkurs. Erst an zweiter Stelle nannten sie die Sanktionen. Außerdem konnte mehr als die Hälfte der in Russland tätigen Firmen ihren Umsatz 2018 steigern.

Welche Wirkung haben die Russland-Sanktionen bisher gehabt?

Nach dem Willen der EU müssen vor einer Aufhebung der Strafmaßnahmen gegen Russland die Minsker Vereinbarungen umgesetzt sein, die einen Friedensprozess für die Ostukraine ermöglichen sollen. Das ist bis heute nicht passiert, die russische Führung hat ihren Teil der Vereinbarung bisher nicht eingehalten.

Als die Europäische Union sich auf die Strafmaßnahmen verständigte, gab es noch die Sorge, die von Russland mit Kämpfern, Waffen und Geld unterstützten Separatisten in der Ukraine würden weiter vorrücken und beispielsweise die Stadt Mariupol einnehmen. Um eine Eskalation des Krieges zu verhindern, blieb der EU kein anderes Mittel als die Wirtschaftssanktionen – verbunden mit der Botschaft, dass es im Fall einer weiteren Verschärfung der Lage neue Sanktionen geben würde. Der Krieg in der Ukraine ist zwar bis heute nicht beendet. Allerdings gab es auf beiden Seiten keine Geländegewinne mehr, der Verlauf der Frontlinie ist seit Jahren unverändert.

Wie sieht die Haltung zu Russland in den westlichen Bundesländern aus?

Es sind keineswegs nur die ostdeutschen Ministerpräsidenten, die eine von der Haltung der Bundesregierung stark abweichende Position in der Russlandpolitik vertreten. Für eine Lockerung der Strafmaßnahmen und eine weitere Annäherung an Russland plädierte auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), der Ende vergangenen Jahres zu politischen Gesprächen in Moskau war. Lange vor Kretschmer reiste auch der damalige bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) nach Russland und ließ sich mit Putin fotografieren. Er warb für eine Lockerung der Sanktionen, eine Rückkehr zur „Normalität“ und forderte „Realpolitik statt Säbelrasseln“. Mit der bayerischen Nebenaußenpolitik grenzte er sich zugleich von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ab.

Auch Nordrhein-Westfalens Regierungschef Armin Laschet (CDU) wandte sich im vergangenen Jahr gegen die Linie der Bundesregierung in der Russlandpolitik. Nach der Vergiftung von Sergej Skripal im britischen Salisbury hatte sich Deutschland an die Seite Großbritanniens gestellt und später auch russische Geheimdienstler ausgewiesen. Laschet zweifelte jedoch öffentlich die Beweislage im Fall Skripal an.

Welche Strategie verfolgt der Kreml?

Normalerweise empfängt Putin fast ausschließlich Staatspräsidenten und Regierungschefs. Dass er sich für ein Gespräch mit Kretschmer am Rande des Wirtschaftsforums in St. Petersburg nun ebenso Zeit nahm wie in den vergangenen Jahren für die Termine mit Seehofer, zeigt, wie wichtig ein Ende der Sanktionen für den Kreml ist. Die russische Führung hat 2014 offenbar die Entschlossenheit der EU unterschätzt, ein deutliches Signal gegen das russische Vorgehen in der Ostukraine zu senden. Zugleich ist es dem Kreml bisher nicht gelungen, durch bilaterale Absprachen einen EU-Staat dazu zu bewegen, die Strafmaßnahmen zu stoppen. In Brüssel wird derzeit damit gerechnet, dass die Sanktionen Ende des Monats ein weiteres Mal verlängert werden.

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