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Donald Trump ist seit fast einem Jahr US-Präsident.

© Carlos Barria/ Reuters

Ein Jahr mit Trump: Aufregung als Dauerzustand

Trumps Trommelfeuer nervt: Wie unser Washington-Korrespondent Thomas Seibert das Jahr 2017 mit dem US-Präsidenten erlebte.

Der Mann ist überall, und das fast immer: auf Twitter, im Fernsehen, in den Zeitungen. Nach einem Jahr mit Donald Trump – die ersten drei Januarwochen als Wahlsieger, seitdem als Präsident – fühlt sich der ausländische Reporter in Washington wie die meisten Amerikaner: erschöpft.

Schon am frühen Morgen fängt es an. Trump ist Frühaufsteher und surft gleich nach dem Aufwachen durch die Nachrichtenkanäle. Regelmäßig lässt Amerikas Präsident noch vor Sonnenaufgang eine ganze Kanonade von Kommentaren an die rund 45 Millionen Abonnenten seiner Twitter-Mitteilungen vom Stapel, die oft genug den Nachrichtenfluss des ganzen Tages bestimmt.

Trumps Tweets halten Politiker beider Parteien, in- und ausländische Journalisten und die amerikanischen Normalbürger auf Trab. Persönliche Attacken, dreiste Lügen, Beschwerden über die Russland-Ermittlungen, Selbstbeweihräucherung, und all das bereits vor dem Frühstück.

Trumps Trommelfeuer zehre am Nervenkostüm der Amerikaner, sagte der Fernsehmoderator Joe Scarborough schon im Januar. Da war Trump noch nicht einmal ins Weiße Haus eingezogen. „Ich bin müde. Sie sind müde. Wir alle sind ziemlich müde“, schrieb der „Newsweek“-Reporter Tim Marcin vier Monate nach Trumps Amtseid. „Es ist einfach zu viel. Jeden Tag eine neue Kontroverse um Donald Trump.“ Daran hat sich seitdem nicht viel geändert. Der Präsident serviert Skandale, Lügen und peinliche Fehltritte in einer Frequenz, die den Wahnsinn zur Normalität macht.

Trump bricht, was die Aufmerksamkeit angeht, alle Rekorde

Jeder amerikanische Präsident zieht viel Aufmerksamkeit auf sich, besonders zu Beginn seiner Amtszeit, wenn sich die neue Regierung sortiert und die ersten Entscheidungen anstehen. Doch Trump bricht alle Rekorde. Das Chaos in der Regierung, die internen Machtkämpfe und die amateurhaften Versuche, das mächtigste Land der Welt zu regieren, verschlagen selbst erfahrenen Beobachtern den Atem. Trumps erster Sicherheitsberater Michael Flynn wird nach gut drei Wochen gefeuert.

Selbst Routine-Angelegenheiten werden bei Trump zu schlagzeilenträchtigen Dramen. Beim ersten Besuch von Angela Merkel bei Trump im März verweigert der Präsident den Handschlag mit der Kanzlerin im Oval Office. Bei einem Termin mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow im Mai plaudert Trump israelische Geheimdiensterkenntnisse über Pläne des „Islamischen Staates“ zur Herstellung von Laptop-Bomben für Anschläge in Verkehrsflugzeugen aus. Beim Nato-Gipfel in Brüssel, normalerweise eine Gelegenheit zur Demonstration der transatlantischen Partnerschaft, rüffelt der US-Präsident die europäischen Verbündeten öffentlich wegen angeblich zu niedriger Verteidigungsausgaben. Die Staats- und Regierungschefs der restlichen Nato-Staaten sehen bei Trumps Rede aus wie begossene Pudel.

Trump spaltet - politisch und sogar privat

Nicht nur in der Politik ist Trump ein Spalter. In meinem Bekanntenkreis gibt es Leute, die ihn gewählt haben, das aber nicht laut sagen, weil sie befürchten, von ihren Landsleuten abgekanzelt zu werden. Andere Freunde – bekennende Trump-Gegner – sind zu Nachrichten-Junkies geworden, die ständig in ihr Smartphones starren, um keine neue Ungeheuerlichkeit zu verpassen.

Eine Bekannte saß neulich bis tief in die Nacht vor dem Fernseher, als im mehr als tausend Kilometer entfernten Alabama ein neuer Senator gewählt wurde. Als der Sieg des Demokraten Doug Jones feststand, weckte sie ihren Mann mit lauten Hurra-Rufen, denn Jones’ Erfolg war eine Schlappe für den verhassten Präsidenten. Weil Trump fast jeden Tag irgendetwas Skandalöses tut oder sagt, wird die Aufregung zum Dauerzustand. In Alabama sagte er sich einfach vom Wahlverlierer los und behauptete, vorher gewusst zu haben, dass sein Kandidat verlieren würde. „Ich hatte recht“, schrieb er auf Twitter.

Fehler zuzugeben gehört nicht zu Trumps Stärken, was die Empörung seiner Gegner noch weiter anheizt. Trump verbreite nicht nur Falsches, sondern bleibe auch dabei, wenn das Gegenteil längst bewiesen sei, schreibt der Journalist Glenn Kessler, der für die „Washington Post“ in einem überaus beliebten Blog den Wahrheitsgehalt von Politiker-Äußerungen ermittelt. Lügen ahndet Kessler mit der Vergabe von „Pinocchios“ – Trump ist der unangefochtene Sieger in diesem Wettbewerb.

Fünfeinhalb Lügen pro Tag

In seiner Jahresbilanz kommt Kessler auf 1628 falsche oder irreführende Behauptungen des Präsidenten in 298 Tagen im Amt. Das sind 5,5 Lügen pro Tag. Für den Berichterstatter ist es angesichts dieser überwältigenden Zahl unmöglich, jede falsche Behauptung Trumps richtigzustellen. Es ist einfach zu viel, wie „Newsweek“-Mann Marcin zu Recht sagt.

Hinzu kommt der Hang des Präsidenten, sich in Dinge einzumischen, die ihn nichts angehen, und Krach mit allen möglichen Leuten vom Zaun zu brechen.

Er verhöhnt Arnold Schwarzenegger, weil der „Terminator“ bei der ehemaligen Trump-Show „Apprentice“ keinen Erfolg hatte. Er legt sich mit den afro-amerikanischen Football-Profis an, die während der Nationalhymne niederknien, um gegen Polizeigewalt gegen Schwarze zu demonstrieren. Er kritisiert den muslimischen Bürgermeister der britischen Hauptstadt London, weil dieser angeblich zu wenig gegen den militanten Islamismus unternimmt.

Über Weihnachten wurde Trump in seinem Anwesen Mar-a-Lago in Florida erwartet. Laut Umfragen wünschen sich sieben von zehn Amerikanern, ihr Präsident würde sich dieser Tage von seinem Twitter-Konto fernhalten. Aktuell wollen viele zumindest eine Pause über die Festtage. Doch ob der Präsident die Wünsche erhört, ist nicht sicher.

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