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Die kolumbianische Armee hat nach einem halben Jahrhundert bewaffneten Kampfes auch mit der letzten aktiven Guerillaorganisation, der „marxistischen Befreiungs Armee“, einen Waffenstillstand geschlossen.

© Federico Rios/rtr

Ein Jahr Frieden in Kolumbien: Die Guerilla übt den Alltag

Kolumbiens Ex-Guerilleros üben Alltag im Frieden und ohne Waffen - während rechte Politiker schon wieder den Bürgerkrieg beschwören

Die Steppe am Fuße der Perija-Berge im Osten Kolumbiens liegen in der goldenen Morgensonne, da tauchen an einer Einfahrt in den Feldweg nach Pondores plötzlich vier Panzer auf. Sie wirken einschüchternd, wie die schwerbewaffneten Soldaten im Kampfanzug daneben. Aber die jungen Männer winken dem Schulbus genauso freundlich zu wie dem Auto mit dem Presse-Schild. Keine Ausweiskontrolle, keine einschüchternden Fragen. Er sei froh, dass er in diesem Krieg nicht mehr den Kopf hinhalten müsse, sagt ein junger Soldat lächelnd. Im nahen Camp der Polizei findet gerade ein Fußballmatch statt, bei den UN ein paar hundert Meter weiter werden Zelte abgebaut – mit der Übergabe der letzten Waffen der Farc vor einigen Tagen ist ihre Mission zu Ende. Der älteste Bürgerkrieg Lateinamerikas ist seit einem Jahr Geschichte, als Regierung und Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens (Farc) Frieden schlossen.

Wochenlang war ein UN-Offizier zuletzt mit den ehemaligen Kämpfern unterwegs, um geheime Waffenlager auszuheben – ganze Arsenale, versteckt in Plastiktonnen, vergraben fernab der Zivilisation. „Die Guerilleros hatten GPS-Koordinaten, aber von da aus ging es noch bis zu zwei Kilometer weiter in die Wildnis, und irgendwo neben einem Felsen oder zwischen einer Baumgruppe trieben sie einen Eisenstab ins Erdreich. Machte es ,klack’, fanden wir unter einer Metallplatte die Fässer“, erzählt er. Mal waren die Lager schon ausgehoben von Dissidenten Splittergruppen, mal gab es Schusswechsel mit kriminellen Banden, die immer noch Teile Kolumbiens kontrollieren, in denen illegal nach Gold oder Smaragden geschürft oder Kokain angebaut wird.

7000 Dschungelkämpfer gewöhnen sich an ein Leben ohne Waffen

Zwei Kilometer weiter liegt das Übergangslager der Farc, deren alte Abkürzung nun für die neue „Alternative Revolutions-Partei des Gemeinwohls“ steht. In Pondores und 25 weiteren Lagern gewöhnen sich 7000 Dschungelkämpfer an einen Alltag ohne Waffen und Gefechte. Auch an der Einfahrt nach Pondores winken ehemaligen Kämpfer – in Zivil, freundlich und neugierig. Eigentlich dürfe er ja nichts sagen, erzählt einer – und fährt dann doch leutselig fort. Ganz einfach sei ihm die Umstellung ins zivile Leben nach 20 Jahren nicht gefallen: „Als ich mein Gewehr abgab, habe ich geweint und mich tagelang nackt und schutzlos gefühlt“, berichtet der 37jährige und wirft Kochbananenschnitze in das siedende Fett. Das Gewehr war für einen Revolutionär der größte Schatz; drastische Strafen drohten dem, der seines verlor. „Deshalb durften wir nicht schwanger werden“, fällt die 20jährige Sandra ein, die im offenen Speisesaal eine Hängematte aufgehängt hat, in der sie den vier Monate alten Albert wiegt. „Wenn uns Soldaten angriffen, hätte man vor der Wahl gestanden, ob man das Baby oder das Gewehr schnappt.“ Jetzt genießt sie ohne weitere Pläne ihre Mutterschaft – wie viele junge Guerilleras.

Im Unterrichtssaal schwitzen zwei Dutzend ehemalige Kämpferinnen und Kämpfer über Bruchrechnen und spanischer Grammatik. „Meine Eltern waren arm, ich konnte nicht nur Schule und bin noch als Kind zur Guerilla gegangen“, sagt José Duma alias „Boris“. „Jetzt lerne ich lesen und schreiben, um mit den Kameraden eine landwirtschaftliche Kooperative aufzubauen und die Papiere zu verstehen, die mir vorgelegt werden.“ Der 43-Jährige ist noch ganz in olivgrün gekleidet, mit Springerstiefeln. Viele Klassenkameraden tragen Shorts und Badeschlappen. Die Kurse organisiert eine kolumbianische Universität; der Staat bietet Fortbildungen zum Coiffeur oder Schneider, von der Fischzucht bis zum organischem Ackerbau.

„Ich bin beeindruckt, wie wissbegierig und straff organisiert die Guerilleros sind“, sagt Darío Puerta, der für die Nationale Reintegrationsagentur das Lager betreut. Noch aber fehlt für die praktische Umsetzung der Pläne Land. Zehn Hektar hat ein Unternehmer aus Fonseca den Guerilleros zur Verfügung gestellt, damit sie dort Bananen und Maniok anbauen können. Doch für eine Kooperative bräuchten sie deutlich mehr Land – und Rechtssicherheit.

Weiterbildung, Pässe, Wohnungsbau - alles dauert. Zu lange?

Die Kurse haben mit einem halben Jahr Verzögerung angefangen: Die Bauten waren nicht fertig, die Guerilleros mussten selbst Hand anlegen. „Als wir aus den Bergen hierher kamen, wurden gerade erst die Fundamente gegossen“, erzählt Joaquín Gómez, einer der Comandantes aus der Führungsriege der Farc und Chef des Lagers Pondores. Er ist auf dem Sprung in die Stadt. Nach 30 Jahren Untergrundkampf will er ein Bankkonto. Ohne kann niemand die knapp 170 Euro Übergangsgeld bekommen, die der Staat ein Jahr lang monatlich zahlt. Doch viele der 400 in Pondores registrierten Kämpfer haben weder Geburtsurkunde noch Personalausweis – dafür zu sorgen, ist Puertas Hauptaufgabe. Es zieht sich, wie so vieles im Behördendschungel.

Der 70jährige Gómez schimpft auf die kleinen, wellblechgedeckten, überhitzten Fertighäuser. Er hat sein Lager im Gebüsch aufgeschlagen, auf Holzplanken unter Plastikplanen, wie im Guerillakampf. Dass alles so lang dauert, macht ihm Sorgen. Denn im kommenden Jahr sind Präsidentschaftswahlen, und rechte Kandidaten machen gegen den Friedensvertrag mobil – sie agitieren gegen eine linke Diktatur nach kubanischem Modell. Er werde wesentliche Punkte des Abkommens rückgängig machen und die Guerilleros ins Gefängnis stecken, droht etwa Rafael Nieto. Der smarte Anwalt ist einer der Anwärter auf die Kandidatur des „Demokratischen Zentrums“, der Partei des ultrarechten, den paramilitärischen Todesschwadronen nahestehenden Ex-Präsidenten Alvaro Uribe. Internationale Kritik und ein neuer Bürgerkrieg schrecken ihn nicht.

Das Misstrauen ist weiter groß - der Frieden alles andere als sicher

„Die Guerilleros misstrauen dem Staat zutiefst, und wenn der seine Versprechen nicht einhält, fürchte ich, dass einige wieder in den Busch gehen und sich bewaffneten Gruppen anschließen“, warnt Puerta. „Wir wissen, dass die Elite uns hasst und vieles nicht einhalten wird“, sagt Gómez. „Wir bereiten uns darauf vor.“ Unter einem Blechdach auf Plastikstühlen lauschen drei Dutzend Bauern aus dem nahegelegenen Ort Fonseca dem Vortrag eines Exkämpfers über Landbesitz und Agrarreform. 0,4 Prozent der Bevölkerung besitze 46 Prozent des landwirtschaftlich nutzbaren Landes, schildert der Mann. Die Landbevölkerung verdiene weniger als den Mindestlohn, die Analphabetenrate liege bei 15 Prozent, 80 Prozent der Bauernkinder schlössen die Schule nicht ab, 60 Prozent hätten kein sauberes Trinkwasser. Die Zuhörer nicken.

Am Sonntag hat die kolumbianische Armee nach einem halben Jahrhundert bewaffneten Kampfs auch mit der letzten aktiven Guerillaorganisation, der „marxistischen Befreiungs Armee“, einen Waffenstillstand geschlossen. Im Streit um Land und mit der brutalen Niederschlagung liberaler Bauern- und Arbeiterbewegungen hatte sich der Bürgerkrieg vor über 50 Jahren entzündet. Die Probleme sind noch immer nicht gelöst. Kolumbien ist ein Beutestaat, beherrscht von wenigen Familienclans und Regionalfürsten. Korruption und Vetternwirtschaft sind üblich, die Institutionen schwach, die Sozialsysteme miserabel. Statt mit den Waffen wollen die Farc nun über Wahlen an die Macht. Fünf Sitze im Senat und fünf im Abgeordnetenhaus sind ihnen reserviert – unabhängig vom Ergebnis. In Umfragen liegt die Popularität der Farc derzeit bei bestenfalls fünf Prozent.

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