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Christian Lindner, FDP-Bundesvorsitzender, mit Präsidiumsmitgliedern beim Bundesparteitag der Liberalen im April.

© dpa

Die FDP hat ein Frauenproblem: Es ist Zeit für einen liberalen Feminismus

Die Liberalen wollen die Speerspitze der gesellschaftlichen Entwicklung sein - in der Frauenfrage hinken sie aber weit hinterher. Ein Gastkommentar.

"Beta Republik Deutschland" - unter diesem Motto stand der diesjährige Bundesparteitag der Freien Demokraten. Als „Beta-Version“ wird die unfertige Version eines Computerprogramms bezeichnet. Unfertig ist auch die Durchdringung der digitalen Wirtschaft und Gesellschaft mit Frauen. Frauen spielen hier an der Spitze kaum eine Rolle. Die IT- und Startup-Szene ist stark männlich geprägt. Deutschland fehlen weibliche Gründer und Vorbilder. Nur jedes zwanzigste Hightech-Unternehmen wird allein von Frauen gegründet. Dabei profitieren auch Frauen von der digitalen Revolution und der Flexibilisierung der Arbeit. Die Digitalisierung soll nach Vision der FDP schaffen, was keine Quote kann: den Frauen Flexibilität und Raum geben, um die gläserne Decke der Karriere zu durchbrechen.

Nicht mal jedes vierte Parteimitglied ist eine Frau

Deutschland verschenkt Wirtschaftskraft durch ungenutztes weibliches Potential. Längst haben Frauen die Männer überholt beim Abitur und dem Anteil der Hochschulabschlüsse. Doch bei den Karriereschritten danach, vor allem bei den Führungspositionen in der Privatwirtschaft, hakt es gewaltig. Viele besonders lukrative Branchen bleiben Männerdomänen. Die digitale Revolution kann Frauen mit Kindern helfen, die Lücke bei Löhnen und Gehältern zu schließen. Die gläserne Decke zum Spitzenjob sprengt man nicht allein aus dem Home-Office heraus. Wir müssen Frauen früher fördern, so dass sie erst gar nicht in die Hausfrauen- und Teilzeitfalle tappen.

Die Liberalen treten eigentlich ein für Selbstverwirklichung

Der real existierende Liberalismus tut sich mit der Frauenfrage im digitalen Zeitalter schwer. Wenn die FDP allein auf den Markt setzt, kann es noch 100 Jahre bis zur Chancengleichheit dauern. Dabei weiß die Wirtschaft längst, dass sie von Diversity-Management profitiert. Dass Frauen bei Job, Karriere und Führungskompetenz anders wahrgenommen werden als Männer, passt nicht in das liberale Bild vom freien Wettbewerb. „Leistung statt Geschlecht“ - dies wird selten als Einforderung von mehr Gleichberechtigung, sondern vor allem als Gegenargument zur aktiven Frauenförderung propagiert. Es ist Zeit für einen liberalen Feminismus! Eine freie Gesellschaft, die Frauen und Männer auf festgelegte Bahnen lenkt, ist unvereinbar mit dem liberalen Anspruch auf Selbstverwirklichung aller Individuen.

Warum geniert sich die Partei vor dem Feminismus?

Die FDP hat ein Frauenproblem. Nicht einmal jedes vierte Parteimitglied ist eine Frau. Ohne die Stimmen der weiblichen Wähler ist der Einzug in den Bundestag im kommenden Jahr gefährdet. Die Frauenpolitik der FDP besteht seit den 1980er Jahren aus erfolglosen "Beta-Tests". Regelmäßige Evaluationen über die Gründe, warum der Frauenanteil niedrig ist, bleiben oberflächlich. Das Mentoring-Programm für Frauen bleibt hinter den Erwartungen zurück. Zuletzt versuchte es die FDP mit "Postgender". Bei der Wahl in Hamburg warb die Partei für ihre Spitzenkandidatin mit dem Slogan "Unser Mann für Hamburg". Bei der Bürgerschaftswahl in Bremen gab sich die Spitzenkandidatin postfeministisch im Covergirl-Look: "Kompetent, hübsch, hanseatisch". In ihrer aktuellen Mitgliederkampagne wird eine junge Frau porträtiert, die in bewusst antifeministischer Abgrenzung klarstellt, dass sie sich bei den Liberalen wertgeschätzt und ernstgenommen fühlt. Was hat der Feminismus dem Liberalismus getan, dass sich die Partei so sehr vor ihm geniert? Wessen Freiheit schränkt er ein? Ist er uns zu links und grün? War der Feminismus der sexuellen Revolution zu radikal?

Mecklenburg-Vorpommern geht einen neuen Weg

Ein moderner Liberalismus sollte die historische Leistung des Feminismus anerkennen. Es waren auch liberale Frauen wie Liselotte Funcke, die zur Gleichstellung beitrugen. Die frühere Vizepräsidentin des Bundestags und Wirtschaftsministerin Nordrhein-Westfalen erkämpfte Gesetze gegen Diskriminierung im Beruf und trat radikal für die freie Entscheidung von Frauen beim Schwangerschaftsabbruch ein. Die gesetzlichen Freiheitseinschränkungen der Frauen sind inzwischen überwunden. Was bleibt, sind die Barrieren in den Köpfen.

In Mecklenburg-Vorpommern geht die FDP jetzt einen neuen Weg. Hier hat die Partei faktisch eine Doppelspitze eingeführt und präsentiert eine Spitzenkandidatin, die mit einer natürlichen Selbstverständlichkeit als frischgebackene Mutter in die heiße Phase des Wahlkampfes zieht. Es wird Zeit, dass der liberale Feminismus seinen Beta-Zustand verlässt. Analog wie digital.

Beret Roots ist Diplom-Psychologin und engagiert sich als Delegierte in der FDP und internationalen liberalen Dachverbänden.

Beret Roots

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