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Ist das die Zukunft der deutschen Automobilbranche? Volkswagen-Mitarbeiter bei der Montage eines E-Golfs.

© Arno Burgi/dpa-Zentralbild/dpa

Deutschlands Automobilbranche: Was ein Ende des Verbrennungsmotors bedeuten könnte

In Deutschland wird heftig über ein Aus für Diesel und Benziner debattiert. Welche Folgen hätte das Ende für den Industriestandort Deutschland? Eine Analyse.

Die Grünen und Umweltverbände wollen es, die Autoindustrie und ihre Zulieferer fürchten es: das Verbot von Neuwagen mit Benzin- oder Dieselmotor vom Jahr 2030 an. Unter dem Eindruck des Dieselskandals, der Debatte um Fahrverbote in Großstädten und der schleppenden Nachfrage nach Elektroautos, findet eine hitzige Diskussion darüber statt, wie viel politische Regulierung die deutsche Automobilbranche braucht und vertragen kann.

Wie viele Arbeitsplätze und wie viel Wertschöpfung wären von einem Verbot betroffen?

Das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung kommt in einer am Dienstag vorgestellten empirischen Studie zu dem Ergebnis, dass rund 600.000 Arbeitsplätze in Deutschland von einem Aus von Benzinern und Dieseln direkt oder indirekt betroffen wären. Das entspricht jedem zweiten Job in der Branche und jedem zehnten in der gesamten deutschen Industrie.

Es geht um eine Schlüsselbranche: Mit einem Umsatz von gut 400 Milliarden Euro und einem Exportvolumen von mehr als 220 Milliarden Euro ist der Fahrzeugbau der wichtigste Industriesektor Deutschlands. Besonders bedroht von einem Verbrenner-Verbot wären laut Ifo 130.000 Stellen in kleinen und mittleren, stark spezialisierten Zulieferfirmen.

„Das heißt nicht, dass diese Arbeitsplätze alle wegfallen“, sagte Institutspräsident Clemens Fuest in Berlin. Es gehe um ein Bedrohungsszenario für das „Herz der deutschen Industrie“. Die IG Metall rechnet aus, dass rund 250.000 Menschen allein in der Entwicklung und Produktion von Motoren und Getrieben tätig sind.

Die Ifo-Studie, die im Auftrag des Verbands der Automobilindustrie (VDA) erstellt wurde, sagt außerdem voraus, dass ein Verbrenner-Verbot etwa 13 Prozent der Bruttowertschöpfung (Wert aller erzeugten Waren und Dienstleistungen abzüglich der Vorleistungen) der deutschen Industrie tangieren würden, ein Volumen von 48 Milliarden Euro.

Fazit der Ökonomen: Ein Verbot von Verbrennern ist der falsche Weg, um Klimaziele zu erreichen und den Strukturwandel zu bewältigen. Ein Zulassungsverbot verhindere stattdessen den Wettbewerb der Umweltschutztechniken. Auch die IG Metall lehnt ein Verbot ab 2030 ab. Dies gefährde Arbeitsplätze, zumal ein Großteil der Autos in den kommenden 15 Jahren noch einen Verbrennungsmotor haben werde.

Würde ein Verbot die Autobranche zu Innovationen zwingen, die sonst unterbleiben?

Nein, sagt das Ifo-Institut. Die Grünen, die ein Verbot ab 2030 in ihr Wahlprogramm aufgenommen haben, sagen mehrheitlich ja. „Das Verbot ist nicht durch mangelnde Innovationsbemühungen der deutschen Automobilindustrie zu begründen“, heißt es in der Ifo-Studie. Die deutschen Autohersteller seien vielmehr dabei, ihre weltweit dominante Position beim Verbrennungsmotor auf die Elektromobilität zu übertragen.

So stamme etwa jedes dritte Patent (34 Prozent) im Bereich Elektromobilität zwischen 2010 bis 2015 aus Deutschland, gefolgt von Japan und den USA. Beim Verbrennungsmotor seien es 40 Prozent. Die deutsche Autoindustrie investiert nach eigenen Angaben bis 2020 etwa 40 Milliarden Euro in die Forschung und Entwicklung alternativer Antriebe. „Die technologische Basis für alternative Antriebe ist in Deutschland vorhanden“, schlussfolgern die Ökonomen.

Sie sehen aber auch politischen Handlungsbedarf, etwa beim Aufbau der Infrastruktur. „Im Innovationsprozess funktionieren Märkte nicht optimal“, sagte Ifo-Präsident Fuest. Auch der hohe Preis der Elektroautos und das mangelnde Vertrauen der Konsumenten in die neue Technologie spielten eine Rolle.

Grüne und die Umweltlobby sehen das anders. Ohne eine strenge Regulierung passiere in der Autoindustrie nichts in Sachen Umweltschutz. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter argumentierte jüngst im Tagesspiegel-Streitgespräch mit seinem Parteifreund und baden- württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann: „Die Industrie braucht einen klaren Fahrplan, damit sie Planungssicherheit hat.“

Derzeit zögerten viele Unternehmen, weil sie nicht wüssten, wann die Nachfrage nach E-Autos in Gang komme. Kretschmann, der ein Verbot ablehnt und 2030 einen „Schwachsinnstermin“ genannt hatte, spricht immerhin von einem „Weckruf“ für die Branche.

Ist der Dieselmotor ein Auslaufmodell?
Ist der Dieselmotor ein Auslaufmodell?

© Getty Images/iStockphoto

Würde ein staatlicher Eingriff über Verbote oder E-Auto-Quoten die Industrie umweltfreundlicher machen?

Zwischen 2030 und 2050 würden nach Berechnungen des Ifo-Instituts rund 32 Prozent CO2-Emissionen zusätzlich eingespart, wenn Benziner und Diesel ab 2030 nicht mehr verkauft werden dürften. Das Ziel, den Verkehrssektor bis 2050 klimaneutral zu machen, wäre damit fast erreicht.

Denn selbst, wenn es zu keinem Verbot käme, würde laut Ifo der Ausstoß von Klimagiften durch die europäische Regulierung, den technischen Fortschritt und die Zusammensetzung der Fahrzeugflotten bis 2050 um 53 Prozent im Vergleich zu 2016 sinken.

Gleichwohl hält das Ifo-Institut mit Blick auf die möglichen negativen wirtschaftlichen Folgen einen staatlichen Eingriff für ungeeignet, um Umwelt- und Innovationsziele zu erreichen. „Es wäre besser, den Verkehrsbereich in das Europäische Emissionshandelssystem aufzunehmen. Dagegen hätte auch der Verband der Automobilindustrie nichts, wie dessen Präsident Matthias Wissmann am Dienstag sagte.

Aussagen darüber, welche Beschäftigungschancen und zusätzliche Wertschöpfung der Strukturwandel zur Elektromobilität bieten könnte, trifft das Ifo-Institut nicht. „Das wäre nicht seriös und hoch spekulativ“, sagte Clemens Fuest. Es fehle die empirische Basis und es gebe beim Blick in die Zukunft zu viel „Politikunsicherheit“.

Immerhin hält das Ifo einen Beschäftigungsaufbau für möglich, der den Abbau im Verbrenner-Bereich „zumindest teilweise kompensieren würde“.

Wie reagieren Verbraucher auf ein Verbotsszenario?

Viele sind verunsichert – und zögern beim Autokauf. Immer weniger Neuwagen in Deutschland werden einer Studie zufolge auf Privatkunden zugelassen. Im ersten Halbjahr 2017 seien es nur 34,6 Prozent gewesen – ein Negativrekord, wie die Untersuchung des CAR-Forschungszentrums der Universität Duisburg-Essen ergab. 2006 habe der Anteil noch bei 47,4 Prozent gelegen.

Gleichzeitig werden die Autos der Privatnutzer immer älter. Derzeit fährt das Durchschnittsauto seit 9,3 Jahren, im Jahr 2000 waren es 6,9 Jahre. „Die Begeisterung für neue Autos ist abgeflacht, der Gebrauchte tut es auch ganz gut“, urteilte Studienleiter Ferdinand Dudenhöffer.

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