zum Hauptinhalt
Der neue polnische Ministerpräsident Morawiecki ist der EU mit seiner Regierungsumbildung entgegen gekommen, kann er auf Gegenleistung hoffen?

© imago/Eastnews

Deutschland und Europa: Polen fürchtet die Groko

Zu viel Frankreich, zu viel Russland-Verständnis, zu viel Budget-Härte - und viel zu wenig Polen. Warum eine große Koalition für Deutschlands Nachbarn im Osten der „worst case“ wäre. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Eine große Europa-Koalition soll es werden, das haben die Chefs von SPD, CDU und CSU deutlich gemacht und versprechen im Ergebnispapier der Sondierungsgespräche einen „neuen europapolitischen Aufbruch“. Es ist gleichzeitig eine Liebeserklärung an Frankreich. Ein neuer Elysee-Vertrag müsse her, heißt es, die Franzosen seien zentraler Partner der Erneuerung.

Das ist natürlich sehr sinnvoll. Mit wem sonst als mit Frankreich? Doch wie wird die deutsch-französische Liebe, die mit einer großen Koalition politische Realität werden würde, eigentlich weiter östlich gesehen, in Polen?

Die polnische Regierung hat die Ergebnisse der Sondierungsgespräche nicht kommentiert. Doch es ist nicht schwer zu erraten, wie sich das offizielle Polen dabei fühlt: Die Aussicht auf eine weitere Regierungsbeteiligung der SPD unter der Führung von Martin Schulz, kombiniert mit der Betonung der französisch-deutschen Beziehungen, ist aus Sicht der Regierung in Warschau ein Worst-case-Szenario. So ziemlich alles daran steht in diametralem Widerspruch zu den Interessen der dortigen PiS-Partei.

Aus polnischer Sicht steht die deutsch-französische Achse für eben jenes „Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten“, das sie verhindern will. „Für die polnische Regierung ist das nur ein Code-Wort für ein Europa, das in ein Kerneuropa und eine Peripherie zerfällt – wobei Polen dann zur Peripherie gehören würde“, sagt Milan Nic, Senior Fellow am Robert Bosch-Zentrum für Mittel- und Osteuropa, Russland und Zentralasien der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Konkret fürchtet die polnische Regierung eine noch härtere Gangart gegen ihre viel kritisierte Justizreform. Deutschland setzt sich in Brüssel dafür ein, Regionalbeihilfen davon abhängig zu machen, ob die Rechtstaatlichkeit gewahrt wird – Polen ist der größte Empfänger. Das Sondierungspapier betont nun, „demokratische und rechtsstaatliche Werte und Prinzipien (...) müssen noch konsequenter durchgesetzt werden.“ Martin Schulz hat sich als Präsident des Europäischen Parlaments stets kompromisslos gegeben.

Frankreich sei charmant, aber geldgierig, Polen ungehobelt - aber ehrlich

Auch die zunehmende Transatlantik-Skepsis der deutschen Sozialdemokraten sehen polnische Konservative mit großer Sorge. Die außenpolitische Grundsatzrede von Sigmar Gabriel im Dezember, in der er sagte, die transatlantischen Beziehungen würden auch nach Trump nicht mehr werden, was sie mal waren, wurde in Polen sehr aufmerksam gelesen. Eng verknüpft mit der Sorge vor einer transatlantischen Entfremdung der Deutschen ist die Sorge vor einer russlandfreundlicheren Politik unter SPD-Regierungsbeteiligung. „In der SPD gibt es kaum ’Polenversteher’, aber jede Menge ’Russlandversteher’“, sagt der konservative polnische Publizist Michal Kuz, Politikwissenschaftler an der Lazarski-Universität in Warschau. Amerikaner und Polen lehnen die Gaspipeline Nord Stream 2 einhellig ab, immer wieder auch öffentlich. Die Botschaft ist zunehmend: Die USA sind für Polen der eigentlich verlässliche Partner – Deutschland ist es nicht mehr.

Schließlich fürchtet Polen um die Freizügigkeit polnischer Arbeitnehmer in Europa. Emmanuel Macron will Lohndumping durch Arbeitnehmer aus Ländern mit Niedriglöhnen bekämpfen, das Sondierungspapier fordert nun gleichen Lohn für gleiche Arbeit überall in der EU.

Aus Sicht von Michal Kuz sucht Deutschland in Frankreich den falschen Partner: „Deutschland, Frankreich und Polen, das ist eine Geschichte wie aus einem Roman des 19. Jahrhunderts“, sagt er. „Deutschland hat zwei Verehrer. Der eine, Emmanuel Macron, versteht es, Deutschland zu verführen. Er ist charmant und betont die gemeinsamen Werte – will aber eigentlich nur Geld. Der andere, Polen, mag sich recht ungehobelt verhalten – wäre aber in wirtschaftlicher Hinsicht besser.“

Die Entscheidung für Frankreich ist längst gefallen – und das ist auch gut so. Deutschland muss auf das Rechtstaatsverfahren bestehen, will es die Grundwerte der EU nicht verraten. Doch es bleibt auch in einer deutsch-französischen Partnerschaft wichtig, das große und pro-europäische Polen nicht zu verlieren. Deshalb gilt es gerade unter einer großen Koalition, die sich dem „Aufbruch für Europa“ verschreibt, auf Polen zuzugehen, vielleicht auch in einigen inhaltlichen Punkten wie der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Mit der Regierungsumbildung und dem Antrittsbesuch des neuen polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki in Brüssel hat schließlich auch Polen einen ersten Schritt gemacht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false