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Ein Kartell deutscher Autobauer soll sich jahrelang abgesprochen haben.

© Kraus Ghendler Ruvinskij/obs

Deutsches Autokartell: Jetzt untersucht die EU die Vorwürfe

Deutsche Autobauer sollen sich seit den 90ern abgesprochen haben. Grüne: Merkel muss Zukunft der Industrie zur Chefsache machen. Ex-BMW-Volkswirt: Bis zu 50 Vorstände müssten entlassen werden.

Von
  • Anna Sauerbrey
  • Hans Monath

Die EU-Kommission prüft Informationen über ein mögliches Kartell zwischen den großen deutschen Autobauern. „Die Europäische Kommission und das Bundeskartellamt haben Informationen zu dieser Angelegenheit erhalten, die aktuell von der Kommission geprüft werden“, erklärte ein Kommissionssprecher in Brüssel am Samstag. Unklar blieb dabei, ob die Prüfung in ein wettbewerbsrechtliches Verfahren mündet.

Nach Berichten über jahrzehntelange Kartellabsprachen in der deutschen Autoindustrie wächst der Druck auf die Politik, härter durchzugreifen. „Nach dem größten Industrieskandal Deutschlands rollt jetzt auch noch der wahrscheinlich größte Kartellskandal in der deutschen Wirtschaftsgeschichte auf uns zu“, sagte Grünen-Chef Cem Özdemir dem Tagesspiegel am Sonntag. Damit entwerte die deutsche Autobranche das Wahrzeichen „Made in Germany“ und bringe viele hunderttausend Arbeitsplätze in Gefahr. „Die Bundesregierung ignoriert diese Situation fahrlässig“, kritisierte der Politiker und forderte: „Bundeskanzlerin Merkel muss den Dieselskandal und die Zukunft der Automobilindustrie in Deutschland endlich zur Chefsache machen und dem Verkehrsminister die Verantwortung dafür entziehen.“

Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) habe seit Bekanntwerden des Abgasskandals konsequent die Aufklärung verweigert. „Schlimmer noch, er hält seine schützende Hand über einen der größten Wirtschaftsskandale in der Geschichte der Bundesrepublik“, meinte Özdemir. Sein Parteikollege, der Europaabgeordneter Michael Cramer sagte dem Deutschlandfunk, es handle sich um ein „Schwerverbrechen“.

Politik muss "hart durchgreifen"

Der ehemalige Chefvolkswirt von BMW, Helmut Becker, sagte, wenn die neuen Kartell-Anschuldigungen nachgewiesen werden könnten, müssten mindestens 50 Vorstände bei den fünf Autobauern entlassen werden. Die Politik müsse nun „hart durchgreifen“, meinte Becker im Deutschlandfunk. „Hier muss was passieren, das kann man als Gesetzgeber nicht durchgehen lassen.“

Der renommierte Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer erwartet allerdings nicht, dass die deutsche Politik die Autobranche härter anfassen oder von der umstrittenen Diesel-Technologie abrücken wird. „Die Kanzlerin sagt immer wieder, der Diesel sei wichtig und die deutsche Regierung hat in Brüssel zahlreiche Ausnahmeregelungen für die Autobranche durchgesetzt“, sagte Dudenhöffer dieser Zeitung. Auch das Verhalten der Politik zum versprochenen Software-Update für Diesel-Fahrzeuge kritisierte er scharf: „Völlig unverständlich ist, dass unsere Politiker dazu applaudieren, ohne irgendetwas darüber zu wissen.“

Volkswagen, Audi, Porsche, BMW und Daimler sollen sich laut einem Bericht des „Spiegels“ in einem gemeinsamen Kartell über Technik, Kosten und Zulieferer abgesprochen haben. Das Magazin berief sich dabei auf einen Schriftsatz, den VW auch für Audi und Porsche bei den Wettbewerbsbehörden eingereicht haben soll. Auch Daimler habe eine „Art Selbstanzeige“ hinterlegt. Volkswagen, Daimler und BMW wollten sich zu den Vorwürfen nicht äußern. Daimler und BMW sprachen von „Spekulationen“.

Sollten die Vorwürfe zutreffen, würde es sich tatsächlich um einen der größten Wirtschaftsskandal in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg handeln. Mehr als 200 Mitarbeiter der Unternehmen sollen sich seit den 1990er Jahren in geheimen Arbeitskreisen abgestimmt und auf diese Weise den Wettbewerb außer Kraft gesetzt haben. Es soll um alle Details der Autoentwicklung gegangen sein.

Absprachen zu Technik, Lieferanten und Bauteilkosten

Die Autoren des Berichts sehen auch einen Zusammenhang zwischen den von ihnen beschriebenen Absprachen und der Manipulation von Dieselmotoren. Demnach stimmten sich Daimler, BMW, Audi, Porsche und VW seit Jahren etwa über die Technik zur Reinigung von Dieselabgaben ab. Konkret soll es darum gegangen sein, wie groß die Tanks für AdBlue sein sollten – ein Harnstoffgemisch, mit dessen Hilfe Stickoxide in die harmlosen Bestandteile Wasser und Stickstoff aufgespalten werden. Weil große Tanks teurer gewesen wären, sollen sich die Firmen auf kleine Tanks geeinigt haben. Diese hätten aber laut der Darstellung später nicht ausgereicht, Abgase ausreichend zu reinigen.

Laut „Spiegel“ könnte an dieser Stelle die Basis für den Dieselskandal gelegt worden sein. 2015 hatte VW zugegeben, millionenfach Dieselmotoren manipuliert zu haben, deren Abgasreinigung nur auf dem Prüfstand zufriedenstellend arbeitete. Minister Dobrindt sagte zu dem neuen Verdacht: „Kartellrechtliche Absprachen wären eine zusätzliche Belastung für die Thematik, die wir gerade mit der Automobilindustrie haben. Die Kartellbehörden müssen ermitteln, die Vorwürfe detailliert untersuchen und gegebenenfalls notwendige Konsequenzen ziehen.“

Auch das „Handelsblatt“ meldete entsprechende Absprachen. Demnach findet sich unter den von der Staatsanwaltschaft München II bei Durchsuchungen im VW-Konzern, in Wohnungen und bei der US-Kanzlei Jones Day beschlagnahmten Unterlagen eine Audi-Präsentation zur Dieseltechnologie von April 2010. Darin sei von einem „Commitment der deutschen Automobilhersteller auf Vorstandsebene“ die Rede. Dieses betreffe den Einbau kleinerer AdBlue-Tanks.

Laut den Berichten gab es in den Arbeitsgruppen auch Absprachen zu Lieferanten und Bauteilkosten. (mit dpa)

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