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Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) steigt am Auguste-Victoria-Gelände in Jerusalem in eine Limousine.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Deutscher Außenminister in Israel: Die Konfrontation zwischen Netanjahu und Gabriel nutzt keinem

Nach der Absage wegen Treffen mit Regierungskritikern: Israel erklären zu wollen, was unter demokratischen Staaten üblich sei, ist eine Anmaßung. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Es gibt kein Verhältnis Deutschlands zu irgendeinem anderen Staat in der Welt, das so ist wie das zu Israel. Das muss jeder wissen, der kommt, schon gar ein Außenminister. Wegen des Zivilisationsbruchs, der Schoa, der systematischen Ermordung von Millionen Juden, und der daraus erwachsenden Verantwortung. Genauer: der daraus immer wieder neu erwachsenden Verantwortung. Denn in den Kategorien der Geschichte sind die wenigen Jahrzehnte, die zwischen Vergangenheit und Gegenwart liegen, nicht mehr als ein Wimpernschlag. Und gemessen an dem, was in der Geschichte einzigartig ist, was es so nie zuvor und seither nie wieder gegeben hat, ist die Form der, ja, Zugeneigtheit nicht nur der Regierung des Staates der Juden, sondern seiner Bürger, ganz besonders der jungen, geradezu ein Wunder.

Das spürt, wer dieser Tage kommt. In Tagen, die wie kaum andere konstitutiv für das Selbstverständnis des Staates Israel und den Umgang mit seiner Geschichte sind. Die Erinnerung an die Toten, die Helden, die Märtyrer – sie eint die Menschen von links bis rechts, und sie schließt auch diejenigen Juden mit ein, deren Familien nicht aus Europa gekommen sind, nicht zu den Holocaust-Überlebenden gehören. Weil gemeinsam erinnertes Leid geteiltes ist.

Israel lässt sich nicht einfach mit anderen Ländern vergleichen

Dies als nötiger Vorspruch, und sei er grenzpathetisch, zu der politischen Kontroverse, in die sich der neue Außenminister Sigmar Gabriel bei seinem Antrittsbesuch verstrickt hat. Damit erst wird nämlich die Dimension eröffnet, die erklärt, was Israels Premier Benjamin Netanjahu treibt, Gabriel so hart zu entgegnen. So richtig es ist, sich bei Besuchen gleich wo das ganze Bild zu machen, so gut der Austausch mit kritischen Kräften der Zivilgesellschaft ist – so notwendig ist es, im Fall Israel ein strategisches Rational mitzudenken: Dieser Staat sieht sich als einzige Demokratie der Region. Und bei allen Einwänden zu vielen Themen, nicht zuletzt zum Siedlungsbau – auch nur der Versuch der Gleichsetzung mit anderen Ländern, die mit Deutschland vor allem durch Meinungsunterschiede verbunden sind, ist nicht nur ungeschickt. Er verbietet sich auch.

Die Türkei Erdogans, das Russland Putins und das China Xi Jinpings lassen sich mit Israel nicht vergleichen. Aber dieser Vergleich wird implizit von Gabriel gezogen, wenn er sagt, Gespräche mit Nichtregierungsorganisationen seien seit vielen Jahren in vielen Ländern üblich. Das kommt – in den Tagen des Holocaustgedenkens – einer Provokation gleich. Und von deutscher Seite einer Anmaßung, der israelischen erklären zu wollen, was unter demokratischen Staaten üblich sei. Netanjahu, der ohnehin keinem Disput aus dem Weg geht, fühlt sich naturgemäß herausgefordert: als Premier des demokratischen Israel, des Staates der Juden, und das auch noch in seinem eigenen Land.

Gabriel selbst hat ein differenziertes Verhältnis zu Israel

Und das alles bei Gabriels Antrittsbesuch! Eines Politikers, der sich zugutehalten kann, Israel schon seit Jahren zu bereisen, offen mit der deutschen Vergangenheit umzugehen – die zugleich die seiner eigenen Familie ist – und ein demokratischer Streiter zu sein. Aber eben auch einer, der darin nicht immer diplomatisch vorgeht. Was seine Spuren hinterlässt, wenn er, wie vor Jahren, Israel nach einem Besuch in Hebron eine Apartheidpolitik unterstellt. Sie werden wieder sichtbar in seiner neuen Aufgabe, der des Außenministers. Nur geht es in der eben nicht um öffentliche Konfrontation oder Zuspitzung, sondern um Kooperation und nicht zuletzt um das Eröffnen von Spielräumen für konsensuale Lösungen. Das nennt sich Diplomatie. Die wiederum gerade hier, im konfliktbeladenen Nahen Osten, existenziell wichtig ist.

Die Konfrontation zwischen Netanjahu und Gabriel nutzt keinem. Schon gar nicht denen, die nach dem Außenminister kommen. Zum Beispiel Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Gabriels Amtsvorgänger reist in wenigen Tagen zu seinem Antrittsbesuch an. Es ist eine fast schon bittere Ironie der Geschichte, dass daraus nun eine höchst diplomatische Mission wird.

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