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Der neue Stasiaktenbeauftragte: Wer ist Roland Jahn?

Aus der DDR wurde er zwangsausgebürgert, weil er sich seine Freiheit nehmen wollte. Vom Westen aus entlarvte er das Regime. Künftig soll er die Stasiakten verwalten: Roland Jahn.

Von
  • Matthias Meisner
  • Matthias Schlegel

WAS PRÄDESTINIERT IHN FÜR DAS AMT?

Die überaus spannende – und in sich schlüssige – Biografie. Ob es nun um seine Zeit in der DDR, in West-Berlin oder im vereinigten Deutschland ging: Roland Jahn blieb sich treu. Parteiübergreifend gibt es hohen Respekt vor seinem Lebenslauf.

Natürlich ist keiner zum Widerstandskämpfer geboren. Und noch in der achten Klasse an der Adolf-Reichwein- Schule in Jena trug Jahn das Blauhemd der staatlichen Jugendorganisation FDJ. Aber in seinem Zeugnis stand schon der Satz: „Er neigt dazu, in Opposition zu treten.“

Als „Hin und Her zwischen Anpassung und Widerstand“ empfindet er sein Leben, das erscheint fast zu selbstkritisch. Denn die Grenzen Richtung Widerstand hat er früh angesteuert. „Freiheit muss man sich nehmen“, das war so ein Motto von ihm. Anfang der 70er Jahre, Jahn besuchte inzwischen die Erweiterte Oberschule Johannes R. Becher in seiner Heimatstadt, organisierte er, dass Bertolt Brechts Einheitsfrontlied in der Version von „Ton Steine Scherben“ über den Schulfunk ausgestrahlt wurde. Da war was los an der Schule, und Jahn fühlte sich fast schon wie ein West-Sponti.

Später wurde seine Kritik am SED-Staat immer klarer. An der Universität – Fachrichtung Wirtschaftswissenschaften – protestierte er gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann, wurde deshalb 1977 nach zwei Jahren exmatrikuliert und musste sich als Transportarbeiter beim VEB Carl Zeiss Jena „bewähren“.

Die Schikanen des Staates bremsten Jahn nicht. Der „Freiraum Kirche“ schien ihm rasch zu klein, die Opposition sollte raus aus den Hinterzimmern. 1982 wird er unter dem Vorwand verhaftet, eine Fahne der verbotenen polnischen Gewerkschaft Solidarnosc ans Fahrrad gehängt zu haben. Nach fünf Monaten U-Haft bekommt er 22 Monate Freiheitsstrafe aufgebrummt, darf nach internationalen Protesten das Gefängnis aber zwei Monate später vorzeitig verlassen. Sein Anwalt Wolfgang Schnur hatte ihm im Gefängnis den Ausreiseantrag diktiert, damals kam der ihm vor wie ein Seelsorger. Nach der Wende wurde Schnur als Stasi-IM enttarnt, für Jahn „eine der größten persönlichen Enttäuschungen“.

Den Ausreiseantrag widerruft Jahn in Freiheit, die Umsiedlung kann er nicht verhindern. Sie erfolgt gewaltsam. In Knebelketten sperrt man ihn am 8. Juni 1983 in das Abteil eines Interzonenzuges. Dutzende Stasi-Leute stehen Spalier. Stasi-Minister Erich Mielke persönlich hat den Befehl abgezeichnet.

WAS HAT ER NACH SEINER AUSBÜRGERUNG GEMACHT?

Angekommen in West-Berlin, setzt er den Kampf für Freiheitsrechte in der DDR fort. Als Vermittler zwischen Ost und West fühlte er sich nun, fast wie die deutsche Einheit in Person. Er wirkte wie ein PR-Agent der Opposition. Binnen kurzer Zeit organisierte er einen regelrechten privaten Nachrichtendienst. Jahn und andere abgeschobene Oppositionelle, darunter sein bester Freund, der Schriftsteller Jürgen Fuchs, schmuggelten Geld, Druckmaschinen, Papier, Flugblätter, verbotene Bücher und Zeitschriften in die DDR – wenige Einzelkämpfer gegen den ganzen Staatsapparat. Im März 1987 ging „Radio Glasnost“ auf Sendung. Jahn und andere Dissidenten versorgten DDR-Bürger von West-Berlin aus mit Nachrichten aus ihrem Land. Nach der Wende wurde aus Jahns freier Mitarbeit beim Fernsehmagazin „Kontraste“ eine Festanstellung, in zahlreichen Beiträgen hat er dort die DDR-Diktatur aufgearbeitet. Ein wenig fühlte sich Jahn schon in der DDR wie ein Journalist – jetzt war er es richtig.

WIE FIEL DIE WAHL AUF IHN?

Der einzige Kandidat war Jahn nicht. Doch mehrere Unionsabgeordnete machten Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU), der im Kabinett das Vorschlagsrecht hat, frühzeitig vor dem Ende der Amtszeit von Marianne Birthler mit Jahn bekannt. Kanzlerin Angela Merkel galt es zu überzeugen, die Sympathien hegte für Günter Nooke, den Berliner CDU-Politiker, der auf dem Posten des Afrika-Beauftragten der Bundesregierung nicht so ganz glücklich wirkt. Die SPD wollte den Berliner Oberkirchenrat David Gill vorziehen, Sprecher des ersten Behördenchefs Joachim Gauck. Dass Gill aus Kreisen der Union als „strammer SPD-Mann“ eingestuft wurde, brachte ihn aus dem Rennen.

Jetzt aber kommt es Jahn auf möglichst breite Zustimmung bei seiner Wahl am kommenden Freitag an. Bei den Fraktionen von Union, FDP, Grünen und SPD hat er sich schon vorgestellt – sich in der Sache wenig festgelegt, aber fast alle überzeugt. Fehlende Verwaltungserfahrung wurde ihm mehrfach vorgehalten. Vor der Unionsfraktion argumentierte er, dass die ARD doch „eine der größten deutschen Behörden“ sei – und Angela Merkel, sein „großes Vorbild“, vor ihrem Weg in die Politik schließlich auch keine Verwaltungserfahrung gehabt habe.

Das Gespräch mit der Linksfraktion steht noch aus, es ist für Dienstag geplant. Der heutige Fraktionschef Gregor Gysi war zu DDR-Zeiten – statt Schnur – als Anwalt für Roland Jahn im Gespräch. Es kam nicht dazu. Dafür beschäftigte sich Jahn seit den 90er Jahren in mehreren Filmbeiträgen mit der DDR-Biografie Gysis und seinen Stasi-Kontakten. Bis der einmal wütend bekannte, er fühle sich von Jahn gejagt. Jetzt interessiert die Linke vor allem eines – wie Roland Jahn die Behörde abwickeln will.

WIE STEHT DIE STASIUNTERLAGENBEHÖRDE IM MOMENT DA?

In jüngster Zeit ist es relativ ruhig geworden um die Behörde und ihre Chefin Marianne Birthler. Die öffentliche Empörung ist verhallt – über ehemalige hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter, die zu Dutzenden noch immer in der Behörde beschäftigt werden, über angebliche Vernachlässigung der Westarbeit der Stasi und zu langsame Erschließung der Aktenbestände. Auch Fehler wie beim Auftauchen eines Schießbefehls, der 2007 von der Behörde als Sensation verkauft wurde, obwohl das Dokument bereits Jahre zuvor in eigenen Schriften publiziert worden war, oder Kommunikationspannen wie bei der Enttarnung von Karl-Heinz Kurras, dem Todesschützen von Benno Ohnesorg, als Stasi-IM haben das Image der Behörde zwar beschädigt, ihre Existenz aber nicht gefährdet. Auch 20 Jahre nach der deutschen Einheit steht sie noch immer im Zentrum des Aufarbeitungsinteresses: Mehr als 87 000 Anträge auf persönliche Akteneinsicht gingen 2010 ein, es gibt – trotz seit Jahren anderslautender Prophezeiungen – keine Abwärtskurve. Im Umfeld breitenwirksamer Fernsehfilme über das Stasi-Thema, spektakulärer IM-Enttarnungen oder medienwirksamer Gedenktage zur DDR-Vergangenheit steigt das Interesse an den Akten immer wieder schubweise an.

Rufe nach rascher Abwicklung der Behörde, die jedes Jahr um die 100 Millionen Euro Kosten verschlingt, und kurzfristiger Überführung der Akten in das Bundesarchiv sind weitgehend verstummt. Koalition und Opposition sind sich in groben Zügen einig, die Behörde bis zum Jahr 2019 zu erhalten und auch darüber hinaus den Aktenzugang zu ermöglichen. Das 2008 vom Bundestag beschlossene Gedenkstättenkonzept sieht vor, dass noch in dieser Legislaturperiode eine Expertenkommission Vorschläge für den künftigen Umgang mit den Akten erarbeitet.

WAS KOMMT AUF JAHN ZU?

Nichts Geringeres als die Behörde abzuschaffen. Denn wenn sich Jahn nicht ganz dumm anstellt, wird er in fünf Jahren für eine zweite Amtszeit gewählt, in der dann die Abwicklung der Behörde und die geordnete Übergabe der Bestände an das Bundesarchiv ansteht. Schon von Beginn an wird sich der künftige Chef damit befassen müssen. Seit Jahren wird der Personalbestand der Behörde reduziert. Anfangs hatte sie mehr als 3000 Beschäftigte, im Jahr 2000 noch knapp 2700. Ende 2010 waren es 1825. Weil nicht im gleichen Maße die Aufgaben zurückgingen, stiegen zum Beispiel die Wartezeiten auf persönliche Akteneinsicht wieder auf bis zu zwei Jahre an.

Auch die Aktenerschließung geht unter diesen Bedingungen nur mühsam voran. Sachthematisch sind erst 47 Prozent der 111 Aktenkilometer erschlossen, personenbezogen immerhin schon 90,5 Prozent. In diesem Spannungsfeld wird Jahn auf einen starken Verwaltungsmann an seiner Seite angewiesen sein. Es ist schwer vorstellbar, dass dies der bisherige Direktor der Behörde, Hans Altendorf, sein wird. Altendorf, seit 2001 in dieser Funktion und intern ohnehin umstritten, war vor rund einem Jahr heftig ins Kreuzfeuer öffentlicher Kritik geraten, als seine frühere Tätigkeit als linksextremer Polit-Aktivist in der Altbundesrepublik bekannt wurde.

WIE WILL JAHN DAS AMT PRÄGEN?

Ihm geht es um das Funktionieren der Diktatur als Ganzes, die Stasi betrachtete er dabei als einen wichtigen, aber eben nur einen Teil. So fesselt Jahn auch das Phänomen der Anpassung von Menschen unter den Bedingungen der Diktatur, ein nach seiner Auffassung vernachlässigtes Thema, weil die Debatte über die Vergangenheit fokussiert ist auf Opfer und Täter. Da die Behörde neben Aktenerschließung und Forschung auch einen Bildungsauftrag hat, ist es durchaus denkbar, dass Jahn in dieser Richtung Impulse geben kann.

Schwer tun wird er sich mit der aus Kostengründen ursprünglich vorgesehenen, später wieder gestoppten Schließung von Außenstellen der Behörde in den neuen Bundesländern. Die Regionalisierung der Aufarbeitung ist ihm wichtig, weil sie die Menschen in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld betrifft. In den meisten Fragen aber hält sich Jahn noch bedeckt – vor allem aus Respekt vor Marianne Birthler, die ihr Amt erst am 14. März verlässt.

ZUR PERSON:

GEBOREN

Roland Jahn wird am 14. Juli 1953 in Jena geboren.

AUSBILDUNG

Er macht in Jena 1972 sein Abitur, leistet danach seinen Militärdienst bei der kasernierten Bereitschaftspolizei in Rudolstadt. Zurück in Jena, beginnt er 1975 ein Studium der Wirtschaftswissenschaften, wird nach Protesten gegen Wolf Biermanns Ausbürgerung exmatrikuliert. 1983 wird er gewaltsam aus der DDR in die Bundesrepublik abgeschoben. Seitdem arbeitet er – zunächst frei – als Journalist. 1991 wird er fest angestellt beim ARD-Politikmagazin „Kontraste“.

EHRUNG

Wegen seiner Sympathie für die Solidarnosc kam er einst in den Knast – im September 2010 erhielt er die Dankbarkeitsmedaille der Solidarnosc.

WEGBEGLEITER:

DER FREUND

Matthias Domaschk hieß er. Aber alle seine Freunde in Jena, auch Roland Jahn, nannten ihn „Matz“. Sie waren jung und wollten Party, hörten Platten von Janis Joplin, Rio Reiser oder den Stones. 1981 starb Domaschk in der Stasi-Untersuchungshaft Gera, obwohl er den DDR-Staat nicht einmal frontal politisch herausgefordert hatte. Für Jahn ein Schock. Jetzt ging es nicht mehr um Fragen wie „Wird jemand verhört?“ oder „Wie steht er das durch?“. Sondern um Leben und Tod. Das hat Jahn wachgerüttelt.

DER FÖRDERER

Jürgen Engert, langjähriger Chefredakteur des SFB-Fernsehens und Gründungsdirektor des ARD-Hauptstadtstudios, hat Jahn in West-Berlin die journalistischen Grundregeln beigebracht, nachdem er ihn zum Fernseh-Magazin „Kontraste“ holte.

Engerts Prinzip „Vorurteile wegrecherchieren“ beeindruckte Jahn. Endlich durfte er ein Massenpublikum erreichen, und das möglichst ohne ideologische Scheuklappen.

DIE AMTSINHABERIN

Marianne Birthler leitet seit dem Jahr 2000 die Stasiaktenbehörde, sie folgte Joachim Gauck. Jahn lernte sie 1988 in der West-Berliner Wohnung der DDR-Dissidentin Freya Klier kennen. Sie trafen sich nach dem Mauerfall wieder und verloren sich nie aus den Augen. Als Jahn zu ihrem Nachfolger vorgeschlagen wurde, begrüßte sie die Nominierung des „mutigen Vorkämpfers“ der Opposition in der DDR.

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