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Binärcodes - die Grundbausteine der Digitalisierung erobern alle Lebensbereiche. Daraus ergeben sich immer neue, auch ethische Herausforderungen.

© Oliver Berg/dpa

Der digitale Mensch: Datenchips im Körper - Horror oder Hoffnung?

Ein kleiner Datenchip unter der Haut kann ein ganzes Leben speichern. Aber auch Auskunft darüber geben. Risiken und Chancen liegen eng beieinander. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christian Tretbar

Ein kurzer Pieks. Ein kleiner Schmerz. Fertig. Es dauert keine zehn Minuten, dann ist ein reiskorngroßer Datenchip unter der Haut implantiert – und das Leben entscheidend verändert. Ärgerliche Alltagssituationen wie vergessene Schlüssel, liegen gelassene Geldbeutel oder abgelaufene Pässe sind dann Vergangenheit. Der Chip, meist in der Fingerkuppe eingepflanzt, überträgt alle notwendigen Daten und befreit von der Last des Erinnerns.

Mittlerweile haben sich Schätzungen zufolge weltweit schon mehrere hundert Menschen derartige Chips einsetzen lassen, gerade erst ein Mediamarkt-Manager auf offener Bühne. Aber welche Folgen hat diese Entwicklung? Schafft der Fortschritt mehr persönliche Freiheit oder schränkt er sie ein? Erhöht das die Sicherheit oder wird sie gefährdet?

All das sind wichtige Fragen, die sich nicht pauschal beantworten lassen. Klar aber ist, dass wir mit diesen Fragen konfrontiert werden. Auch wenn solche Chips noch kein Massenphänomen sind, so sind sie doch längst Gegenwart und keine Zukunft mehr. Die Digitalisierung hat den Körper unmittelbar erreicht. Und das nicht mehr nur für einen medizinischen Einsatz, wo ihr Nutzen einigermaßen unumstritten ist. Inzwischen wird die Digitalisierung für uns in jeglicher Hinsicht eine Herausforderung: unmittelbar technisch, kulturell, lebenspraktisch und auch ethisch.

In dem Moment, in dem die Digitalisierung ins Blut geht, in unser Innerstes vordringt, kommen alle Herausforderungen zusammen. Wir müssen Chancen und Risiken aufs Neue diskutieren. Die Frage ist, von welcher Warte aus wir das tun. Machen wir es wie so oft, wenn es in Deutschland um Digitales geht, aus der Position der (häufig unwissenden) Mahner und Skeptiker? Oder versuchen wir, den Chancen eine Chance zu geben?

Ganze Körperprofile können erfasst werden

Die Risiken liegen auf der Hand. Mithilfe dieser Chips lassen sich nicht nur Bewegungsprofile erstellen, was mit dem Smartphone auch geht, sondern gleich ganze Körperprofile. Das Intime wird überwachbar und rekonstruierbar. Aufregung, Körpertemperatur, Sexualleben, Essgewohnheiten, Schlaf wird alles messbar. Das kann gut sein für die gesundheitliche Kontrolle und schlecht, wenn es als Druckmittel eingesetzt wird - vom Arbeitgeber, von Versicherungen, Kriminellen oder auch diktatorischen Regimen. Es kann lebensbedrohlich werden, wenn der eigene Körper gehackt und fremdgesteuert wird.

Aber was heißt das: verbieten? Das ist im internationalen Rahmen unrealistisch. Besser wäre es, so viel Know-How aufzubauen, dass wir den Risiken begegnen können und dann die Chancen überwiegen. Die wenigsten technischen Entwicklungen lassen sich aufhalten, viele aber lassen sich steuern. Natürlich sind Politik und Gesellschaft gefordert, über Regeln und Standards zu diskutieren. Am Ende muss jeder individuell entscheiden, wie nah er das Digitale an sich heranlässt. Eine Pflicht zur Implantierung darf es nicht geben, sie wäre das Ende der persönlichen Freiheit. Allerdings fordert das derzeit niemand ernsthaft. Noch nicht. Vorstellbar ist aber, dass Implantate irgendwann den Ausweis ersetzen.

Digitalisierung kann uns in Fleisch und Blut übergehen

Die Diskussion um Körperchips führt uns einmal mehr vor Augen, wie sehr wir noch am Anfang der Digitalisierung stehen, wie tiefgreifend sie uns noch erreichen wird: mit dem autonomen Fahren, der Künstlichen Intelligenz – oder eben dem Cyborg von nebenan. Das ist allerdings kein gruseliger Science Fiction, sondern Realität. Der müssen wir uns stellen. Um die Debatte darüber ernsthaft und nicht nur angsterfüllt zu führen, sind Erfahrungen und Neugier wichtig. Die verschiedenen Ausprägungen der Digitalisierung sollten im Mittelpunkt einer politischen Diskussion stehen. Denn es geht darum, wie wir unsere Kinder befähigen, diese Debatte in den kommenden Jahrzehnten profund zu führen – ohne Angst und ohne Blauäugigkeit. Dann kann uns die Digitalisierung in Fleisch und Blut übergehen.

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