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Vor der türkischen Botschaft in Athen verbrennen armenische Demonstranten eine türkische Flagge.

© dpa

Debatte um Völkermord an Armeniern: Die Türkei manövriert sich selbst ins Abseits

Die Türkei attackiert Deutschland und andere wichtige Partner, die den Völkermord an den Armeniern beim Namen nennen. Damit begibt sich Ankara in die internationale Isolation.

Es dürfte ein Rekord in der internationalen Politik gewesen sein: Fast im Minutentakt attackierte die Türkei am Freitagabend die Bundesrepublik und mehrere andere wichtige Partnerländer wegen der Armenier-Frage. In Erklärungen des Außenamtes wandte sich die Regierung in Ankara gegen die Armenier-Rede von Bundespräsidet Joachim Gauck und warnte den Bundestag vor einer Annahme der geplanten Armenier-Resolution, in der der Begriff des Völkermordes vorkommt. Auch die USA, Frankreich und Russland wurden mit heftiger Kritik bedacht. Mit dem Wutausbruch manövriert sich die Türkei selbst ins Abseits.

Auch können die Tiraden nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Türkei zum 100. Jahrestag der Armenier-Massaker ihr strategisches Hauptziel verfehlt hat. Ankara wollte eine breite internationale Anerkennung des Völkermordes verhindern, doch das genaue Gegenteil ist eingetreten. Nach dem Armenier-Jahrestag gibt es mehr Länder, die von einem Völkermord sprechen, als vorher. Zudem hat die Türkei auch noch viel Porzellan zerschlagen - und steht vor der Frage, wie sie im Verhältnis zu einigen der wichtigsten Akteure auf der internationalen Bühne weiter verfahren will.

Völkermord an den Armeniern: Zornesbotschaften aus der Türkei

Nachdem in den vergangenen Wochen schon Papst Franziskus, das EU-Parlament und die Parteien im österreichischen Parlament den Zorn der Türkei zu spüren bekamen, wurden am Freitag drei der fünf Ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates sowie Deutschland, der wichtigste Handelspartner der Türkei, abgemahnt. Zwar dürften die Zornesbotschaften zumindest zum Teil als Routine abgehakt werden. So rechnen Diplomaten nicht damit, dass Ankara nun ernsthaft politische oder wirtschaftliche Sanktionen gegen die betroffenen Staaten und Akteure in Gang setzen wird. Doch ein bitterer Nachgeschmack bleibt.

Nach den Demarchen des Außenministeriums beginnt nun eine neue Debatte in der Türkei. Schon am Samstag meldeten sich Skeptiker zu Wort, die am Sinn der wutentbrannten Stellungnahmen zweifeln. Nun habe die Türkei unter anderem die EU, Deutschland, den Papst und Wladimir Putin attackiert, schrieb der Politologe Sedat Laciner auf Twitter. "Eine politische Linie kann ich hier nicht erkennen."

Die Regierung sieht eine solche Linie sehr wohl, doch es stellt sich die Frage, ob diese auf Dauer von Nutzen für die Türkei sein wird. In der Führung um Präsident Recep Tayyip Erdogan wird seit einiger Zeit die These vertreten, dass ausländische Mächte der Türkei immer neue Steine in den Weg legen wollen, um den Aufstieg des Landes zur Regionalmacht zu verhindern. Vereinzelt wird sogar behauptet, der Westen stecke hinter den Gezi-Protesten von 2013. Erdogan-Berater Yigit Bulut fordert öffentlich, die Türkei solle sich von der EU lossagen.

Niemand erwartet radikale Kursänderungen

Aus dem Blickwinkel dieser Interpretation der internationalen Lage erscheinen die verärgerten Demarchen des Außenministeriums an das Ausland nur folgerichtig. Allerdings kollidiert diese Weltsicht mit den realpolitischen Interessen der Türkei. Beispiel Russland: Die Türkei ist stark von russischen Gaslieferungen abhängig, Millionen russischer Touristen machen jedes Jahr Urlaub an türkischen Stränden. Bisher hat Erdogan trotz aller Meinungsverschiedenheiten die Zusammenarbeit mit Moskau betont - will er diese Haltung nun aufgeben, weil Putin und die Duma das Wort "Völkermord" benutzen?

Wohl kaum, meint der Kommentator Hakan Aksay. "Russland ist für die Türkei unverzichtbar", schrieb Aksay beim Nachrichtenportal "T24". Ähnlich verhält es sich mit den Beziehungen der Türkei zu Deutschland oder den USA. Niemand erwartet radikale Kursänderungen. Anders als im Fall des Vatikans und Österreichs sind die Botschafter der USA, Russlands, Frankreichs und Deutschlands in Ankara wegen des Streits um die Bewertung der Armenier-Massaker bisher nicht ins Außenministerium zitiert worden. Auch von einer vorübergehenden Abberufung der türkischen Botschafter aus Washington, Moskau, Paris oder Berlin ist - zumindest bisher - keine Rede.

Dennoch hat der Streit um die Armenier-Frage die internationale Isolierung der Türkei verstärkt. Im Nahen Osten steht das Land bereits ohne viele Freunde da: Zur Zeit gibt es keine türkische Botschafter in Ägypten, Syrien und Israel; das Verhältnis zu den Golf-Arabern ist wegen der türkischen Unterstützung für die Muslim-Bruderschaft ebenfalls gespannt, mit dem Iran gab es erst vor kurzem Krach, weil Erdogan der Teheraner Führung öffentlich Vormachtsambitionen in der Region vorwarf. Nun kommen die Differenzen mit dem Westen und mit Russland im Armenier-Streit hinzu. Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin prägte vor einiger Zeit den trotzigen Begriff der "noblen Isolation", in der sich sein Land befinde. Diesem Zustand ist die Türkei jetzt näher denn je.

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