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An einem Strand nahe Barcelona erinnerten letzte Woche Menschenrechtsorganisationen an das Ende vieler Fluchten Richtung Europa.

© Josep Lago/AFP

Debatte um Seenotrettung: Europa verschärft Offensive gegen Flüchtlingshelfer

Schiffe ohne Hafenerlaubnis, Anklagen gegen Seenotretter: Italien und die EU erhöhen den Druck auf NGOs, die im Mittelmeer Flüchtlinge bergen.

Die europäische Offensive gegen private Seenotretter im Mittelmeer verschärft sich: Immer häufiger müssen ihre Schiffe lange warten, bis sie sichere Häfen anlaufen können, müssen die Besatzungen Ausforschung fürchten und auch die Helferinnen und Helfer an Land werden zunehmend unter Druck gesetzt.
So meldete die spanische Hilfsorganisation „Pro Activa Open Arms“ in der Nacht zum Donnerstag, ihr Schiff habe endlich anlegen dürfen. Die „Golfo Azzurro“ mit drei geflüchteten Libyern an Bord hatte nach Angaben der NGO 72 Stunden lang in internationalen Gewässern auf die Erlaubnis warten müssen, einen europäischen Hafen anzulaufen. Am Dienstag hatten die Spanier über den Kurznachrichtendienst Twitter bereits Alarm geschlagen, weil ihr zweites Schiff bedroht wurde – nach Angaben der Organisation außerhalb der libyschen Hoheitsgewässer von einem Patrouille der libyschen Küstenwache, „ausgebildet und finanziert von der EU“, wie die NGO anmerkte. Hintergrund ist der Beschluss der EU-Innen- und Justizminister von Anfang Juli, die Libyer mit Geld und Know-How auszustatten, offiziell damit sie gegen Schlepper vorgehen können.

Auch wer die Regeln unterschreibt, ist unter Druck

Auch andere Organisationen, die im Mittelmeer Flüchtlinge bergen, stehen seit Ende Juli unter verstärktem Druck. Ein Boot von „Jugend rettet“ wurde letzte Woche beschlagnahmt, gegen sie wird auf Sizilien wegen Unterstützung illegaler Migration ermittelt. Sowohl „Jugend rettet“ als auch „Pro Activa“ haben einen Verhaltenskodex des italienischen Innenministeriums nicht unterschrieben, der sie unter anderem verpflichtet, Polizei mit an Bord zu nehmen und ihre Schützlinge nicht an größere Schiffe für die Fahrt in den nächsten Hafen weiterzugeben. Aber auch „Save the Children“, die in Rom unterschrieben haben, sah sich diese Woche zur Selbstverteidigung gezwungen. Medien hatten über verdeckte Ermittler berichtet– angeblich unter den Sicherheitsleuten an Bord. „Wir untersuchen alles und unterziehen zudem unsere internen Schutz-und Sicherheitsmaßnahmen einer eingehenden Überprüfung“ erklärte die Hilfsorganisation, die ebenfalls im Mittelmeer aktiv ist. Das betreffende Sicherheitspersonal sei „nicht Teil des humanitären Teams von Save the Children“.
Nein, gegen sie werde bisher nicht vorgegangen, sagt Francesca Mapelli, eine der Sprecherinnen der italienischen Sektion von „Ärzte ohne Grenzen“. Noch habe sich keine Staatsanwaltschaft bei ihnen gemeldet. Auch ihre Organisation hat den italienischen Verhaltenskodex nicht unterschrieben. Die Folgen der EU-italienischen Aktionen gegen die Helfer spüren aber auch sie: „Leider ist eine Maschinerie in Gang gekommen, die darauf abzielt, die Zahl derer zu verringern, die nach Europa kommen“, sagte Mapelli dem Tagesspiegel. Hilfsorganisationen gerieten ins Fadenkreuz, weil sie inzwischen die einzigen Retter seien. Und ihre Arbeit sei legal, da gebe es keine Unterschiede zwischen denen, die unterschrieben, und denen, die das nicht getan hätten: „Wir alle befolgen die Gesetze, die Italiens und die des Seerechts.“
Die Regierung in Rom rühmt sich bereits erster Ergebnisse ihrer Politik. Seit den Beschlüssen der EU-Minister in Tallinn Anfang Juli sei die Zahl gelandeter Migranten nur in diesem Monat um mehr als die Hälfte gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen. Das bedeute auf die erste Hälfte 2017 umgerechnet ein Minus von 3,4 Prozent, erklärte das Innenministerium in Rom.

Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Priester

Aber der Blick von Politik und Justiz geht anscheinend nicht nur aufs Meer. Am Montag dieser Woche erhielt der eritreisch-italienische katholische Priester Don Mussie Zerai eine Vorladung der Staatsanwaltschaft von Trapani. Der Geistliche gibt seit vielen Jahren Hilferufe von schiffbrüchigen Flüchtlingen und Migranten, die bei ihm eingehen, an die Küstenwachen von Italien und Malta, UN-Vertreter und private Rettungsschiffe weiter. Mussie Zerai ist entschlossen, sich vor Gericht zu wehren. Er habe stets mit den Behörden zusammengearbeitet und nichts zu verbergen, erklärte er auf seinem Blog.
Selbst die seit Jahren aufnahmebereiten Bürgerinnen und Bürger von Lampedusa, dem Stück europäischen Bodens, das der afrikanischen Küste am nächsten ist, bekommen inzwischen einen Kurswechsel zu spüren. Als 2011 – es war die Zeit des Arabischen Frühlings und der alliierten Angriffe auf Gaddafis Libyen – Lampedusa zum Hauptziel einer großen Fluchtwelle wurde, stundete die damalige Regierung Berlusconi allen für zunächst ein Jahr die Steuern. Ihre mit Abstand wichtigste Einnahmequelle, der Tourismus, war so gut wie versiegt. Jahr für Jahr wurde verlängert. Bis jetzt: Am Montag teilte Italiens nationale Steuerbehörde mit, die Lampeduser sollten wieder Steuererklärungen abgeben und zahlen - bis Ende Januar 2018 und für die gesamte Zeit.
Salvatore Martello, im Juni neugewählter Bürgermeister der Insel und selbst Hotelier, kündigt bereits Widerstand an. Es sei „undenkbar“, dass Lampedusa für die letzten sieben Jahre nachzahle.

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