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Lobrede. De Gaulle fand vor dem Ludwigsburger Schloss freundliche Worte für Deutschland. 50 Jahre danach erinnern Kanzlerin Merkel und Frankreichs Staatschef Hollande an das Ereignis.

© IMAGO

De Gaulle-Rede in Deutschland vor 50 Jahren: Große Worte, große Gesten

Vor 50 Jahren hielt Charles de Gaulle in Ludwigsburg seine Rede an die deutsche Jugend. Es war das Ende einer spektakulärer Deutschland-Reise - und der Beginn der deutsch-französischen Freundschaft.

„Sie alle beglückwünsche ich! Ich beglückwünsche Sie zunächst, jung zu sein. Ich beglückwünsche Sie ferner, junge Deutsche zu sein, das heißt Kinder eines großen Volkes! Jawohl!, eines großen Volkes ...“ So emphatisch, ja geradezu pathetisch, begann eine Rede, die der französische Staatspräsident Charles de Gaulle am 9. September 1962 am Ludwigsburger Schloss, in der Nähe von Stuttgart, hielt.

Heute, 50 Jahre danach, dürfte man so deklamatorisch allenfalls auf einer Bühne sprechen. Überall sonst würde man wohl ausgelacht. Für Charles de Gaulle und seine 20 000 vorwiegend jugendlichen Zuhörer aber war es der umjubelte Höhepunkt einer sechstägigen Reise durch Deutschland, während der sich die Begeisterung für den damals 72 Jahre alten Politiker von Ort zu Ort steigerte.

In Hamburg, wo wegen der sprichwörtlichen Kühle der Hanseaten überhaupt kein öffentlicher Auftritt geplant war, hatten zuvor tausende Menschen de Gaulle hochleben lassen.

Sie alle wurden von der historischen Dimension dieser Reise getragen. Der oberste politische Repräsentant des von Deutschland immer wieder mit verheerenden Kriegen überzogenen Nachbarlandes Frankreich war gekommen, um die Hand zur Versöhnung zu reichen – und er hatte in Konrad Adenauer den kongenialen Staatsmann gefunden, der die Einmaligkeit der Situation intuitiv sofort begriff. Bei einem ersten, von keinerlei deutschen Erwartungen begleiteten Besuch Adenauers an de Gaulles Wohnort Colombey-les-Deux-Eglises im Jahre 1958 verstanden sich die beiden so gut, dass de Gaulle seinerseits Adenauer 1961 und 1962 privat in Rhöndorf besuchte.

In der Kathedrale von Reims wurde am 8. Juli 1962, als Höhepunkt einer einwöchigen Tour Adenauers durch Frankreich, von beiden spektakulär der deutsch-französischen Aussöhnung der Boden bereitet. Im September desselben Jahres schloss sich in Ludwigsburg am Ende der Reise de Gaulles durch Deutschland der Kreis.

Dass vor allem die Jugendlichen, aber nicht nur sie, die auf Deutsch und ohne Manuskript gehaltenen Ansprachen des französischen Präsidenten als befreiend empfanden, ist nur aus der Zeit heraus zu erklären. De Gaulle hatte damit Deutschland, den Erbfeind vieler Generationen, zum engsten Bundesgenossen erklärt und das im Zweiten Weltkrieg vernichtend geschlagene Land symbolisch aus dem Staub gehoben. Im Westen der geteilten Nation war gerade für die Jugend Europa und die Versöhnung mit den einstigen Gegnern der einzige erkennbare Weg in eine gute Zukunft.

Die uns heute so idealistisch anmutende Hinwendung gerade der jungen Generation zum Vereinten Europa hat tatsächlich den Weg gebahnt zu jener völligen Reise- und Niederlassungsfreiheit, die uns selbstverständlich geworden ist. Die des Euro-Streits müden Deutschen schätzen ihren Wert jedoch gering – sie können sich nicht vorstellen, wie ein Europa der Grenzzäune aussehen würde.

Natürlich ist de Gaulles Geste vor dem Hintergrund des Kalten Krieges auch ein wohl kalkulierter politisch-diplomatischer Schachzug gewesen. Er wollte die Bundesrepublik enger an den Westen binden und die amerikanische Dominanz in den Beziehungen zu Deutschland brechen.

Aber er eröffnete damit eine einzigartige Zusammenarbeit, die schließlich im Januar 1963 im Elyséevertrag ihren völkerrechtlich verbindlichen Rahmen fand. Wenn zum 50. Jahrestag der Ludwigsburger Rede Angela Merkel und François Hollande heute am Ort des Geschehens von damals vor 650 ausgewählten Gästen das Ereignis des 9. September 1962 würdigen, zeigt leider auch schon dieses Elitäre, dass die Zeit der großen Begeisterung von Franzosen und Deutschen füreinander vorbei ist. Aber angesichts der Geschichte ist die manchmal langweilig wirkende Normalität ein grandioser Erfolg.

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