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Im Auge des Sturms. Der Bundestag ist am Wahltag auf standby geschaltet.

© Thilo Rückeis

Das Hohe Haus am Tag der Wahl: Im Reichstag wird still gewartet und einsam gerechnet

Im Reichstagsgebäude liefen die Ergebnisse aus den Wahlkreisen ein - und nur wenige Menschen umher. Ein Sonntags-Rundgang.

Die Republik wählt ihre Vertreter für das höchste Verfassungsorgan, den Bundestag. Doch im Reichstag ist heute niemand, den man wählen könnte. Rund 40 Mitarbeiter des Bundeswahlleiters haben hier Quartier bezogen, streng abgeschirmt, denn es geht um die sensibelsten Daten der Republik, die Stimmen der Bürger, aus denen das amtliche Wahlergebnis errechnet wird. Aus allen Wahlkreisen der Republik laufen die Daten im Reichstag zusammen und werden in die Wahlsoftware eingespeist. Am frühen Montagmorgen soll der Bundeswahlleiter Dieter Sarreither, zugleich Präsident des Statistischen Bundesamtes, das vorläufige Wahlergebnis verkünden – wenn alles glatt läuft.

Die Kuppel wird erst am Mottag geöffnet

Durch die panzerglasdicken Fensterscheiben dringt der Volksfestlärm vom Marathon im Tiergarten nur schwach. Die Kuppel konnte wegen der Absperrungen für die Läufer erst am Mittag öffnen. Der Souverän, die deutschen Staatsbürger, ist auch heute im Reichstag unterwegs. Zwei Besuchergruppen lauschen auf der Tribüne dem Vortrag eines Referenten vom Besucherservice. Weil auch Schüler dabei sind, hat der Referent die Version „leicht verständlich“ gewählt. „Die Bundestagsabgeordneten sind nicht immer hier – was soll’n sie auch immer hier.“ Wenn keine Sitzungswoche ist, seien sie eben lieber im Wahlkreis.

Auf der Reichstagswiese sind am Nachmittag Marathonläufer und ihre Freunde unterwegs.
Auf der Reichstagswiese sind am Nachmittag Marathonläufer und ihre Freunde unterwegs.

© Thilo Rückeis

Unterm Dach haben die Fraktionen ihre Sitzungssäle. Die Türen stehen offen. Bei der CDU sieht es ziemlich eng aus, ein nüchterner Konferenzsaal, ohne Parteisymbolik, bis auf ein roh behauenes Holzkreuz, das eher nach Naturreligion aussieht als nach modernem Christentum. Die maximale Auslastung liegt bei 437 Plätzen – das würde für eine satte Zweidrittelmehrheit reichen.

Die CDU könnte noch mehr Abgeordnete unterbringen

Die SPD gibt sich in ihrem Fraktionssaal nebenan mit 356 Plätzen deutlich bescheidener. Die Linke muss bislang mit 88 Plätzen in einem fensterlosen Turmverlies auskommen. Im weiten Rund der Fraktionsebene hat sich die Regie der aktuellen Sendungen von Sat 1 und N 24 eingerichtet. Einen Stock tiefer, mit Blick in den Plenarsaal, werden die Kameras für die Moderatoren aufgebaut. Beim letzten Mal habe man den Wahltag auf dem Reichstagsdach präsentiert, sagt Produktionsleiterin Susanne Kothe. Wegen des schlechten Wetters und auch, um mal was Neues zu machen, hätten sich die Chefs diesmal für die „Indoor-Variante“ entschieden, sagt Frau Kothe. ARD und ZDF sind gar nicht im Haus.

Das Wahlstudio von N24 im Plenarsaal des Reichstags in Berlin.
Das Wahlstudio von N24 im Plenarsaal des Reichstags in Berlin.

© Thilo Rückeis

Das Gebäude steckt voll moderner Technik – und ist 20 Jahre nach dem Umbau für den Bundestag doch schon veraltet. Neben den Sälen für die Pressekonferenzen der Fraktionen gibt es eine Reihe von Telefonzellen. Einfach die Null wählen, schon kann man ungestört mit seiner Freundin auf den Kanaren telefonieren. Die Klimatechnik verrichtet geräuscharm ihre Dienste, bläst aber eine sterile, recht trockene Luft in die hohen Räume. Neben der Abgeordnetenlobby liegt der „Clubraum“ mit Bartresen und russischen Ikonen-Tafeln. Hier darf geraucht werden, davon kündet der volle Aschenbecher. Der Fernseher läuft, ein Kellner sitzt davor und telefoniert. Von hier aus kann der gemeine Parlamentarier nach ein paar Pils auf den Balkon hinaustreten, das Volk grüßen und mit kräftiger Stimme die Republik ausrufen.

Hammelsprungtüren aus dem alten Reichstag

Einmal durch den Reichstag marschieren ist in einer halben Stunde erledigt, das Gebäude ist kleiner, als es von außen den Anschein hat. Viel moderne, oftmals recht dunkle, erdige Kunst ist zu sehen. Im Andachtsraum stehen die Stühle so, als seien sie Teil der Inszenierung, vertikale Lehnen, unsitzbar. Aus dem historischen Reichstag haben sich die Holzdekorationen der „Hammelsprungtüren“ von 1893 überliefert. Und die Wandinschriften der Rotarmisten von 1945. Im 2. Stock hängen Fotos von der Reichstagsverhüllung, samt Original-Stoffbahnen und -Kordeln. Das Historische spielt hier nur eine Nebenrolle. Thomas Loy

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