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Bernd Althusmann (51) ist Spitzenkandidat der CDU für die Landtagswahl in Niedersachsen, die am 15. Oktober stattfindet.

© Julian Stratenschulte/dpa

CDU-Spitzenkandidat in Niedersachsen: Bernd Althusmann: „Ich finde Jamaika ganz sexy“

Bernd Althusmann, CDU-Spitzenkandidat für die Landtagswahl, über Koalitionsmöglichkeiten im Bund und Angela Merkels Flüchtlingspolitik.

Von Antje Sirleschtov

Herr Althusmann, die CDU hat bei der Bundestagswahl rund eine Millionen Wähler an die rechtspopulistische AfD verloren. Warum konnten Sie diese Wähler nicht an sich binden?

Wir haben in Niedersachsen vor allem Wähler an die FDP verloren. Hier konnte die AfD nur in Regionen mobilisieren, wo es hohe Arbeitslosen- und auch Armutsquoten gibt und die Menschen aus Protest AfD wählten. Dort, wo es funktionierende Gemeinschaften gibt, wo die Kirchen und Verbände sehr aktiv sind, blieb das Wahlergebnis der AfD unter dem Trend in Deutschland. Dennoch: Die CDU hat jetzt eine ganz besondere Pflicht, sich mit der Frage zu befassen, wie es geschehen konnte, dass so viele Menschen einer rechtspopulistischen Kraft ihre Stimme gaben. Denn wir sind die einzig verbliebene Volkspartei.

Haben Sie, hat Ihre Vorsitzende Angela Merkel den Kontakt zur Bevölkerung verloren?

Den Kontakt haben wir nicht verloren. Wir müssen aber die alltäglichen Sorgen der Menschen stärker in den Mittelpunkt von Politik stellen. Es ist uns nicht gelungen, die Menschen bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise mitzunehmen. Zunächst gab es ein großes Unsicherheitsgefühl, ob der Staat überhaupt in der Lage ist, die Situation zu meistern. „Wir schaffen das“ war ein großes Versprechen. Doch die Leute hatten Zweifel, ob wir das schaffen. Und wir haben diese Zweifel nicht ernst genug genommen. Dazu kommt, dass gerade Menschen in schwierigen Lebenslagen das Gefühl hatten, für die Flüchtlinge würden Wohnungen gebaut, Sozialleistungen und Schulplätze zur Verfügung gestellt, den Sorgen der heimischen Bevölkerung aber nicht in gleichem Maße Aufmerksamkeit geschenkt.

Welche Sorgen meinen Sie?

Ich glaube, die Leute haben weniger Sorgen vor Menschen, die vor Krieg fliehen. Was sie umtreibt, das ist die Gefahr von Parallelgesellschaften, die entstehen, wenn sich der Staat nicht konsequent genug um Integration kümmert und diejenigen nicht ausweist, die keine Bleibeperspektiven haben.

Die CDU hat angekündigt, das schlechte Bundestagswahlergebnis aufzuarbeiten. Was erwarten Sie von dieser Aufarbeitung?

Zunächst Ehrlichkeit. Und dazu gehört nicht nur, zu sagen, dass es dem Land unter der Regierung der Union ökonomisch hervorragend geht, sondern auch, dass es uns nicht gelungen ist, die Menschen zu erreichen, die am Wohlstandszuwachs nicht teilhaben konnten oder nicht glauben, dass es uns in einigen Jahren immer noch gut gehen wird. Aber auch Konsequenz erwarte ich von der Aufarbeitung. Die CDU darf nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen und vor Freude, dass sie den Regierungsauftrag erhalten hat, die Versäumnisse der vergangenen Jahre unter den Teppich kehren.

Horst Seehofer empfiehlt einen Ruck nach rechts.

Das halte ich für einen Fehler. Die CDU muss vielmehr ihre konservativ-bürgerlichen Kompetenzen stärken. Und die liegen in Fragen der Sicherheit unseres Landes genauso wie in sozialen Themen. Bildung, sichere Rente und vor allem Pflege. Jeder weiß doch, dass wir in einigen Jahren ein massives Pflegeproblem bekommen werden. Allein in Niedersachsen fehlen bis 2025 rund 25.000 Pflegekräfte. Die CDU muss darauf in einem umfassenden Pflegekonzept Antworten finden. Woher sollen die fehlenden Pflegekräfte kommen, wie sollen sie ausgebildet werden? Das sind Themen, die den Menschen auf den Nägeln brennen.

Angela Merkel hat die CDU in den vergangenen Jahren modernisiert, manche sagen sogar sozialdemokratisiert. War das falsch?

Für die Wertkonservativen in der CDU war das sicher manchmal hart. Auch ich habe mich mit der Abschaffung der Wehrpflicht schwergetan. Aber eine so große Volkspartei wie die CDU muss sich immer wieder neu aufstellen und modernisieren. Wir haben kein Richtungsproblem. Wir haben aber wichtige Themen vernachlässigt, und das muss sich ändern.

Wie?

Ich erwarte, dass wir uns breiter aufstellen, sozialpolitisch, aber auch wertkonservativ. Dazu gehört, dass wir eine klare Position erarbeiten, wer in Zukunft in unser Land kommen darf, was wir von den Menschen erwarten und wie wir dafür sorgen, dass diejenigen, die diesen Erwartungen nicht entsprechen, das Land auch wieder verlassen.

Der Bundespräsident hat uns zu mehr Ehrlichkeit in der Flüchtlingspolitik aufgefordert. Welchen Auftrag leiten Sie daraus für die CDU ab?

Zunächst heißt das: Wir müssen konsequent feststellen, wer zu uns kommt und wer hier lebt. Wir müssen den Menschen, die kommen und eine Bleibeperspektive haben, abverlangen, dass sie sich hier integrieren, die Sprache lernen, Ausbildung und Arbeit annehmen. Und wir müssen ihnen sagen: Wenn du dazu bereit bist, dann kannst du hierbleiben. Wenn nicht, dann musst du wieder gehen, etwa, wenn der Krieg in deinem Heimatland vorüber ist. All diese Fragen muss ein Einwanderungsgesetz beantworten. Parallel dazu erwarte ich eine europäische Entwicklungspolitik auf dem afrikanischen Kontinent.

Sie waren drei Jahre als Vertreter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Namibia tätig.

Das stimmt. Und ich sage aus dieser Erfahrung: Die Entwicklungspolitik der letzten Jahrzehnte muss überprüft werden. Sowohl, was die Projekte anbetrifft als auch die Adressaten der Entwicklungsmittel. Viel zu viel Geld versickert in den Taschen von korrupten Regierungen und Verwaltungen. Die Mittel, die europäische Länder in Afrika investieren, sollten in ein europäisches Konzept einfließen. Genauso wichtig aber ist, dass im Norden Afrikas legale Möglichkeiten geschaffen werden für Menschen, die Afrika verlassen und ihr Glück in Europa suchen wollen. Etwa in Deutschland, wenn sie den Aufnahmekriterien eines Einwanderungsgesetzes entsprechen. In Einreisezentren auf dem afrikanischen Kontinent können sich diese Menschen um Aufnahme in Europa bewerben und müssen sich nicht in die Hände von Schleppern begeben. Nur so kann der Teufelskreislauf von Todesfahrten über das Meer und Ausweisungen aus Europa durchbrochen werden.

Wer wird nach Deutschland zuwandern können, wenn es ein Einwanderungsgesetz gibt?

Zunächst Menschen, die aus politischer Verfolgung um Asyl bitten. Dieses Recht beschreibt das Grundgesetz als nicht begrenzt, und so soll es bleiben. Dann Menschen, die vor Krieg und Terror fliehen. Wir sollten uns ihnen nicht versperren, auch zahlenmäßig nicht. Wenn in ihrer Heimat wieder Frieden herrscht, dann sollten sie jedoch zurückkehren, wenn sie sich in der Zeit in Deutschland nicht qualifiziert haben und den Kriterien der Einwanderung in den Arbeitsmarkt nicht genügen. Wer jedoch bereit ist, in Deutschland zu arbeiten und sich zu qualifizieren, der soll hierbleiben können. Ich wüsste nicht, warum wir syrische Flüchtlinge nach Hause schicken sollten, wenn sie Deutsch sprechen und sich zum Beispiel zu Pflegekräften ausgebildet haben, die wir dringend benötigen.

Die CSU beharrt darauf, die Zuwanderung mit einer Obergrenze zu begrenzen.

Die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt muss begrenzt werden. Das leisten Einwanderungsgesetze überall auf der Welt, und das wird auch hier so sein. Denn wir entscheiden dann, welche und wie viele Menschen wir aufnehmen. Persönliches Asyl und Kriegsflucht können wir aber nicht begrenzen. Das wäre inhuman. Die CSU erhebt die Forderung einer Obergrenze schon lange und trotzdem ist der AfD in Bayern ein besseres Wahlergebnis als in anderen westdeutschen Ländern gelungen. Ich schließe daraus, dass die Menschen Zweifel daran haben, dass eine Obergrenze sinnvoll ist.

Am 24. Oktober wird die AfD erstmals mit einer Fraktion in den Bundestag einziehen. In den Länderparlamenten ist sie bereits vertreten. Wird die Partei dort dauerhaft Fuß fassen?

Die AfD ist eine rechtspopulistische Partei, wie es sie überall in Europa gibt. Und wenn es uns als demokratischen Kräften nicht gelingt, Lösungen für die Probleme der Menschen zu bieten, dann fürchte ich, dass die AfD so rasch nicht wieder verschwinden wird. Der Einzug dieser Kräfte in Parlamente ist also auch eine Chance für die CDU, zu beweisen, dass wir in der Lage sind, Antworten zu geben. Zum Beispiel zum Thema Obdachlosigkeit. Wie kann es sein, dass in einem der reichsten Länder der Welt Menschen kein Dach über den Kopf haben?

Was wird Bernd Althusmann dagegen tun, wenn ihn die Niedersachsen zum Ministerpräsidenten wählen?

Ich denke, rund 4000 Menschen in Niedersachsen sind obdachlos. Wenn ich von den Wählern den Regierungsauftrag erhalte, werde ich die landeseigene Niedersächsische Landesgesellschaft NLG mit einem gezielten Wohnungsbauprogramm beauftragen, um dieses gesellschaftliche Problem zu lösen.

Sie wollen in Niedersachsen 3000 neue Stellen für Polizisten schaffen und deren Gehälter erhöhen. Sieht so das Einlösen des konservativen Versprechens von mehr Sicherheit aus?

Es gehört dazu, für mehr Präsenz der Sicherheitskräfte zu sorgen. Aber es reicht natürlich nicht. Auch in diesem sensiblen Bereich muss der Föderalismus auf den Prüfstand. Bund und Länder können sicherheitsrelevante Daten noch immer nicht zuverlässig austauschen, es gibt unterschiedliche Vorschriften zur Video- und Telekommunikationsüberwachung. Das ist ein Unding und eine der Ursachen für das Gefühl der Menschen, dass der Staat die Sicherheit seiner Bürger nicht garantieren kann. Ich erwarte, dass Bund und Länder ihre Zusammenarbeit verbessern.

Herr Althusmann, glaubt man den jüngsten Umfragedaten aus Niedersachsen, dann hat Stephan Weil von der SPD genauso gute Chancen, Ministerpräsident zu werden, wie Sie. Mit wem wollen Sie eine Regierung bilden, wenn Sie die Nase vorn haben?

Ich bin fest überzeugt, dass demokratische Parteien mit allen anderen demokratischen Kräften gesprächsbereit sein müssen. Ich werde, wenn ich den Auftrag zur Regierungsbildung erhalte, mit allen sprechen, ausgenommen der Linkspartei und der AfD.

In Berlin bereiten Union, FDP und Grüne Sondierungen für eine Jamaika-Koalition vor. Ein Modell auch für Niedersachsen?

Im Bund ist die Zeit großer Koalitionen vorüber, das haben die Wähler am 24. September deutlich gemacht. Ein Jamaika-Bündnis könnte dagegen den politischen Diskurs mit neuen Ideen und frischem Wind beleben, weshalb ich, um es mit Klaus Wowereits Worten zu sagen, Jamaika ganz sexy finde. Ob das in Niedersachsen aber auch geht, das bezweifle ich stark. Die niedersächsischen Grünen sind dafür programmatisch zu weit entfernt von CDU und Liberalen.

Das Gespräch führte Antje Sirleschtov.

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