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Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU).

© Mike Wolff

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich: "Die Hemmschwelle, Gewalt auszuüben, sinkt dramatisch"

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich sieht Parallelen zwischen dem gescheiterten Anschlag auf den Pro-NRW-Chef und dem Mord durch Islamisten an Theo van Gogh in den Niederlanden im Jahr 2004. Im Interview spricht er außerdem über die steigende Zahl rechter Straftaten und erklärt, warum Deutschland finanzielle Hilfen der EU benötigt.

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Herr Friedrich, bei der Kollision zweier Hubschrauber der Bundespolizei am Donnerstag in Berlin starb ein Pilot. War der Einsatz der Helikopter bei der Übung überhaupt nötig?

Zu solchen Großübungen gehören regelmäßig auch Hubschraubereinsätze. Die äußeren Rahmenbedingungen waren nicht ungewöhnlich. Ich bin mit dem verstorbenen Piloten selbst öfter geflogen. Ich bin tief betroffen, dass er im Dienst für die Sicherheit unserer Bürger ums Leben gekommen ist. Dies und der Gedanke an seine Familie sind sehr schmerzlich.

Welche Erkenntnisse haben Sie über die Ursache des Unglücks?

Dazu ist es noch zu früh. Wir müssen jetzt die Ermittlungen der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen abwarten.

Müssen nach dem Absturz Konsequenzen für den Ablauf solcher Übungen gezogen werden?

Auch das kann ich nach Abschluss polizeilichen Ermittlungen sagen.

Ein anderes großes Thema der vergangenen Woche war der von der FDP durchgesetzte Verzicht der Bundesregierung auf einen Antrag zum Verbot der NPD. Hat Philipp Rösler auch von Ihren Schultern eine schwere Last genommen?

Wir haben eine gemeinsame Entscheidung getroffen und tragen sie auch gemeinsam.

Rösler ging zwei Tage vor dem Kabinettsbeschluss vor die Kameras.

Das war seine Entscheidung. Ich habe mich dafür entschieden, mich erst nach der Kabinettssitzung zu äußern.

Sie selbst und Kanzlerin Merkel hielten trotz Skepsis einen Verbotsantrag der Regierung für notwendig. Warum hat die Regierungschefin dann gekniffen?

Die Regierung kneift nicht, sie unterstützt den Verbotsantrag der Länder. Ich habe vor drei Wochen die Weisung erteilt, dass sich mein Haus an einer Arbeitsgruppe der Innenministerkonferenz beteiligt, die das Verbotsverfahren begleitet. Außerdem haben wir zuletzt am 8. März den Ländern weiteres Material mit Erkenntnissen über die NPD geliefert.

Sollte sich der Bundestag für einen Verbotsantrag entscheiden, stünde die Regierung isoliert da.

Jedes Verfassungsorgan muss für sich entscheiden und muss die Entscheidung dann auch verantworten. Auch als Mitglied des Bundestages werde ich übrigens gegen einen Antrag stimmen.

Sie wollen den Rechtsextremismus stärker politisch bekämpfen. Wie soll das aussehen?

Viele junge Menschen verlieren in einer Phase ihres Lebens die Orientierung und driften ab in Extremismus und Gewalt. Dem müssen Staat, Politik und Gesellschaft stärker entgegenwirken, in Schulen und auch schon in Kindergärten. Eine stärkere Sensibilisierung ist möglich. Es ist ja auch in den letzten Jahrzehnten gelungen, ein neues Umweltbewusstsein zu schaffen, gerade bei jungen Leuten. Das kann uns auch beim Bewusstsein gegen Extremismus gelingen.

Wie wollen Sie junge Menschen gegen Extremismus immunisieren?

Das Ministerium hat die Prävention gestärkt. Ich habe angeordnet, dass die Bundeszentrale für politische Bildung das Thema Rechtsextremismus noch stärker bearbeitet als bisher schon. Und das vom Innenministerium betriebene Programm „Zusammenhalt durch Teilhabe“, das 2013 auslaufen sollte, wurde bis 2016 verlängert. Dafür geben wir jährlich sechs Millionen Euro aus. Ich halte es darüber hinaus auch für sinnvoll, die Programme der Bundesministerien und der Länder besser zu koordinieren.

Wie können junge Leute die rechtsextreme Gefahr in ihrer vollen Dimension begreifen, wenn die Polizei eine viel zu kleine Zahl rechter Tötungsverbrechen meldet? Da ist von lediglich 63 Toten seit der Wiedervereinigung die Rede. Nach Recherchen des Tagesspiegels starben mindestens 152 Menschen.

Im Gemeinsamen Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus, in dem Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern seit 2011 zusammenarbeiten, befasst sich eine Arbeitsgruppe speziell mit der Untersuchung von sog. Altfällen. In der amtlichen Statistik des Bundes werden nur Täter aufgeführt, bei denen ganz klar und gerichtsfest eine rechtsextreme Tatmotivation vorliegt. Wenn der Täter zwar eine rechtsextreme Gesinnung hat, seine Tat aber nichts mit dieser Gesinnung zu tun hat, dann wird er nicht in dieser Statistik geführt und das unterscheidet die staatlichen Angaben von denen nichtstaatlicher Stellen bzw. den Rechercheergebnissen einiger Journalisten. Beide Statistiken haben also einen unterschiedlichen Bezugspunkt und damit unterschiedliche Perspektiven.

Wie ist dann zu erklären, dass Nordrhein-Westfalen bis heute den Dreifachmord eines Neonazis aus dem Jahr 2003 in Overath nicht als rechtes Verbrechen einstuft, obwohl das Landgericht Köln dem Täter ein nationalsozialistisches Motiv bescheinigt hat?

Anhand solcher Fälle muss die Erfassung rechtsextremer Gewalttaten nochmal in der Innenministerkonferenz thematisiert werden. Es gibt bei Neonazis ein Gewaltpotenzial, das wir nicht kleinreden dürfen. Mich beunruhigt, dass die Hemmschwelle, Gewalt auszuüben, insgesamt dramatisch sinkt.

Wie haben sich die Fallzahlen bei rechter Gewalt und rechter Kriminalität insgesamt 2012 entwickelt?

Die endgültigen Fallzahlen politisch motivierter Kriminalität für das Jahr 2012 liegen mir noch nicht vor, da die zwischen Bund und Ländern notwendige Abstimmung dieser Zahlen noch nicht abgeschlossen ist. Unseren ersten vorläufigen Zahlen zufolge zeichnet sich ein Anstieg bei den politisch rechts motivierten Straftaten von circa vier Prozent auf rund 17.600 ab. Bei den politisch rechts motivierten Gewalttaten zeichnet sich ein geringerer Anstieg um ca. zwei Prozent ab. Es gibt also eine leicht steigende Tendenz bei den politisch rechts motivierten Straf- und Gewalttaten. Allerdings sind noch nicht alle Länderabfragen komplett.

"Die salafistische Gefahr und das Gewaltpotenzial, das da heranwächst, sind nicht zu unterschätzen"

Welche Gefahr ist größer: rechter Terror oder salafistische Anschläge?

Man kann das nicht gegeneinander aufwiegen. Aber die salafistische Gefahr und das Gewaltpotenzial, das da heranwächst, sind nicht zu unterschätzen. Aber das gilt für beide Seiten.

Aber schüren nicht Rechtsextremisten bewusst salafistische Gewalt - wie die rechtsextreme Partei Pro NRW, die mit Mohammed-Karikaturen provoziert?

Pro NRW verfolgt eine Strategie der „maximalen Provokation“. Wir müssen verhindern, dass es zwischen Rechtsextremisten und Salafisten zu weiterer Gewalt kommt.

Kürzlich wurden vier Salafisten in NRW festgenommen, die einen Anschlag auf den Chef von Pro-NRW geplant haben sollen. Bei ihnen wurde unter anderem auch eine Ceska gefunden, eine Waffenart, die auch der NSU verwendet hatte.

Die Ermittlungen zu den Festnahmen laufen noch. Diese werden mit Hochdruck betrieben. Es bleibt abzuwarten, welche Hintergründe sich hierbei abzeichnen.

Ist es nicht eine neue Qualität islamistischer Militanz, dass Salafisten jetzt auch Attentate gegen einzelne Personen planen?

Es ist auf jeden Fall eine neue Dimension, dass gewaltbereite Jihadisten neben Anschlägen auch gezielte Attentate auf einzelne Personen planen. Ähnliche Situationen kennen wir etwa aus den Niederlanden, wo Theo van Gogh 2004 ermordet wurde.

Sie schlagen vor, religiöse Straftäter nichtdeutscher Herkunft leichter abzuschieben. Was soll das bringen? Ein Großteil sind deutsche Konvertiten.

Dies geht natürlich bei denen, die keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Aber dort wo es möglich ist, muss man auch konsequent sein. Niemand kann, den Bürgern in Deutschland  erklären, das religiöse Fanatiker durch das Land ziehen, unsere Jugend zur Gewalt aufhetzen und wir diese Fanatiker nicht ausweisen. Wir lassen uns das nicht gefallen. Bei aller Liberalität und Toleranz gibt es Grenzen. Bei salafistischer Hasspropaganda müssen die Ausweisungstatbestände verschärft werden.

Wie soll die Verschärfung aussehen?

Die Kriterien für eine Ausweisung sind klarzustellen und zu erweitern. Bisher ist da nur die Rede von politischem Extremismus. Gewaltbereite Extremisten, die Religion für ihre Zwecke missbrauchen, müssen in Zukunft ebenfalls ausgewiesen werden. Dazu habe ich der Innenministerkonferenz schon erste Überlegungen vorgestellt. Den konkreten Gesetzentwurf dazu werde ich im Mai vorlegen.

Viele Salafisten gehen freiwillig ins Ausland. Ägypten und Syrien sind beliebte Ziele für Dschihadisten. Was braut sich da zusammen?

Neben der Situation in Nordafrika entwickelt sich in Syrien eine bedrohliche Lage. Wir müssen davon ausgehen, dass aus ganz Europa Dschihadisten nach Syrien gehen. Ich sehe mit großer Sorge, dass in Syrien ein Machtvakuum entsteht, das militante Islamisten für sich nutzen werden.

Welche Rolle spielt die Türkei in dieser Situation?

Eine sehr wichtige. Gerade vor ein paar Tagen hat die Türkei bewiesen, dass sie den Ernst der Lage erkannt hat und den österreichischen Hassprediger Mohamed Mahmoud festgenommen.

. . . der als Anführer der in Deutschland verbotenen islamistischen Gruppierung Millatu Ibrahim gilt . . .

Das ist ein gutes Zeichen für die funktionierende Zusammenarbeit. Noch vor einigen Wochen hatte ich ein intensives Gespräch mit meinem türkischen Amtskollegen und wir haben uns versichert, im Kampf gegen den Extremismus eng zusammenzustehen. Das gilt für Extremisten auf dem Weg nach Syrien, aber auch  in unserem Kampf gegen die PKK und DHKP-C. Ich habe auch türkische Sicherheitskräfte in unser Gemeinsames Terrorabwehrzentrum eingeladen, damit sich deutsche und türkische Experten austauschen können.

PKK-Chef Abdullah Öcalan bietet der türkischen Regierung einen Waffenstillstand an. Nimmt damit auch bei uns die von den PKK-Anhängern ausgehende Gefahr ab?

Das kann man noch nicht sagen. Wir begrüßen die aktuellen Friedensbemühungen. Es bleibt aber abzuwarten, wie PKK-Anhänger in Europa mit dieser Situation umgehen.

In Deutschland schaukeln sich die PKK-Jugend und der Nachwuchs der rechtsextremen türkischen "Grauen Wölfe" mit wechselseitigen Hasstiraden im Internet weiter auf. Kann Öcalan da noch ein Abflauen des Konflikts bewirken?

Gegenseitige Provokationen und Aktionen sind ein zentrales Problem. In wie weit sich die Akteure auf beiden Seiten von dem jetzt eingeschlagenen Weg beeindrucken lassen, kann man derzeit noch nicht abschätzen.

"Es kann nicht sein, dass Deutschland immer zahlen und alle Lösungen präsentieren soll"

Die Lage in Syrien wird immer schlimmer. Sie haben jetzt angekündigt 5.000 Flüchtlinge aufzunehmen. Reicht das?

Es gibt natürlich noch viel mehr schutzbedürftige Flüchtlinge, weshalb ich eine europäische Aufnahmeaktion fordere. Bisher ist aber im europäischen Bereich noch nicht viel passiert. Deshalb habe ich die Kommission schriftlich zu solchen Maßnahmen aufgefordert und im Vorgriff auf ein europäisches Programm den deutschen Beitrag mit 5.000 Flüchtlingen gestartet.

Was steht in dem Brief?

In dem Schreiben fordere ich EU-Kommissarin Malmström auf, nun aktiv auf eine gesamteuropäische Lösung hinzuwirken und zu diesem Zweck die EU-Mitgliedstaaten zu einer Konferenz einzuladen. Auf einer solchen so genannten Pledging-Konferenz sollen dann Art und Umfang der Beiträge aller Beteiligten im Rahmen eines koordinierten europäischen Vorgehens erörtert werden. Außerdem habe ich die EU auch um finanzielle Hilfe gebeten. Denn es kann nicht sein, dass Deutschland immer zahlen und alle Lösungen präsentieren soll. Hier ist jetzt auch die EU insgesamt in der Verantwortung.

Welche Flüchtlinge wollen Sie den aus den Lagern nach Deutschland holen?

Es geht um die besonders Schutzbedürftigen und das werden vor allem Kinder, Familien und auch beispielsweise verfolgte Christen sein.

Herr Friedrich, Sie haben in den vergangenen Jahren viele Konflikte durchgemacht: der immer noch ungeklärte Streit um die Vorratsdatenspeicherung, die NSU-Pannen, der abrupte Wechsel an der Spitze der Bundespolizei, um einige Fälle zu nennen. Im September sind nun Bundestagswahlen. Sollte Schwarz-Gelb wiedergewählt werden, wollen Sie dann Innenminister bleiben?

Ja, sehr gerne. Dass ist ein so vielfältiger und weit gespannter Politikbereich, der meiner Art, Politik zu machen entspricht. Und deshalb freue ich mich auf eine Fortsetzung der Arbeit.

Hans-Peter Friedrich (CSU) ist seit März 2011 Bundesinnenminister. Das Gespräch mit ihm führten Frank Jansen und Christian Tretbar.

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