zum Hauptinhalt
Der Wikileaks-Informant Bradley Manning ist am Mittwochnachmittag in den USA zu 35 Jahren Haft verurteilt wurden.

© afp

Bradley Manning: Ein Urteil, das abschrecken soll

Der Wikileaks-Informant Bradley Manning ist am Mittwochnachmittag in den USA zu 35 Jahren Haft verurteilt worden. Es könnte in Zeiten des NSA-Skandals ein wegweisendes Urteil sein - und eine Warnung zugleich.

Es sind nur fünf oder sechs Sätze von Colonel Denise Lind in dem kleinen nüchternen Gerichtssaal in Fort Meade an diesem Vormittag. Dann ist alles vorbei: Die Geschichte eines Whistleblowers, der mit der Weitergabe von Kriegsgeheimnissen die Welt empört hat, mit den Bild- und Tonaufnahmen aus einem US-Kampfhubschrauber, der - wie sich später herausstellen sollte - unbewaffnete Männer in Bagdad verfolgt, mit den Botschaftsdepeschen der Vereinigten Staaten. Aber die wenigen Worte der energischen blonden Frau könnten reichen, um den US-Gefreiten Bradley Manning für lange Jahre in Haft zu schicken. Am Mittwoch verurteilte Militärrichterin Lind den Wikileaks-Informanten zu 35 Jahren Haft und zur unehrenhaften Entlassung aus dem Militär. Es ist ein Urteil, das unter dem Antrag der Staatsawaltschaft bleibt. Zugleich trägt das Strafmaß aber einem Ansinnen der Anklage wie der Obama-Administration Rechnung: Colonel Lind schickt damit eine deutlich Warnung an all diejenigen, die künftig den Gedanken erwägen könnten, US-Regierungsgeheimnisse zu verraten.

 Als dann der Urteilsspruch über ihn ergeht, bleibt Manning kaum Zeit für eine Reaktion

Als Bradley Manning an diesem Morgen um zehn Uhr zehn den Gerichtssaal betritt, sind seine Bewegungen hektisch. Einen kleinen Papierstapel auf dem Tisch der Verteidigung, nur wenige Meter von Richterin Lind entfernt, ordnet der 25-Jährige wieder und wieder. Seine Anspannung ist heute nicht zu übersehen. Bis zu 90 Jahre Haft immerhin könnten vor ihm liegen. Als dann der Spruch über ihn ergeht, bleibt Manning kaum Zeit für eine Reaktion. Er sitzt starr und schon wird der kleine Soldat - mehr gestoßen als begleitet - von hühnenhaften Sicherheitsmännern durch eine kleine Seitentür aus dem Raum bugsiert.

Zurück bleiben im Gerichtssaal ein Verteidiger David Coombs, der den Kopf tief gesenkt hält. Zurück  bleibt eine weinende Cousine, drei andere geschockt wirkende Angehörige und vielleicht 20 Unterstützer. „Wir kämpfen weiter für Dich“, rufen sie dem Verurteilten zu. „Ich hätte nie gedacht, dass sie das wirklich tun würde“, kommentiert ein Unterstützer das von Lind verhängte Strafmaß. Experten in den Vereinigten Staaten hatten ein Urteil in dieser Höhe allerdings erwartet.

Julian Assange: „wichtiger taktischer Sieg“

In einer ersten Reaktion bezeichnete Wikileaks-Chef Julian Assange das Urteil als „wichtigen taktischen Sieg“ für die Verteidigung. Statt nach 136 Jahren, wie von der Anklage angedroht, könne Manning nun schon nach wenigen Jahren wieder freikommen. Dennoch sei der Prozess ein „Angriff auf das grundlegende Konzept westlicher Justiz“ gewesen, sagte Assange laut einer Mitteilung der Wikileaks-Website. Der Versuch der USA, den Fall zur Abschreckung zu nutzen, sei „spektakulär fehlgeschlagen“. Die Organisation Reporter ohne Grenzen kritisierte das Strafmaß als unverhältnismäßig. „Das Urteil gegen Bradley Manning ist ein weiterer Beleg, dass die USA endlich ein Gesetz zum Informantenschutz brauchen“, sagte Vorstandssprecher Michael Rediske. „Wenn Präsident Barack Obama seinen Feldzug gegen Whistleblower nicht schnell beendet, werden Journalisten in den USA bald immer weniger in der Lage sein, Fehlverhalten von Regierung und Behörden aufzudecken.“ Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International forderte US-Präsident Barack Obama auf, Manning sofort auf freien Fuß zu setzen.

Mannings Verteidiger David Coombs kündigte an, Obama formell um eine Begnadigung seines Klienten zu bitten. „Jetzt ist die Zeit, um Mannings Leid zu beenden“, sagte er. Das Weiße Haus kündigte an, die Petition wie alle anderen Petitionen auch zu prüfen. Lange hatte Lind nicht für die Abwägung der gehörten Argumente gebraucht. Am Montag erst war die letzte Phase des Prozesses gegen Bradley Manning zu Ende gegangen. Wegen der Weitergabe von 700 000 geheimen Regierungsdokumenten an die Enthüllungsplattform Wikileaks im Jahr 2010 war der US-Soldat schon vor drei Wochen wegen Spionage, Datendiebstahls und Verstoßes gegen die Militärregeln verurteilt worden. Abgewiesen hatte Colonel Lind dabei den von der Anklage erhobenen Vorwurf der Unterstützung des Feindes, der theoretisch auch mit der Todesstrafe bestraft werden kann. In der letzten Phase des Prozesses standen sich Verteidigung und Anklage dann im Kampf um das Strafmaß gegenüber.

 Staatsanwaltschaft hatte für Bradley Manning mindestens 60 Jahren Haft gefordert

Die Staatsanwaltschaft hatte eine Strafe von mindestens 60 Jahren Haft und eine Geldstrafe in Höhe von 100 000 Dollar gefordert. Mit einem hohen Strafmaß sollten mögliche Nachahmer in den Reihen der US-Soldaten abgeschreckt werden, so argumentierten die Ankläger. Der Soldat  Manning habe Leben gefährdet und diplomatische Beziehungen beschädigt, die zentral für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten seien.

Die Verteidigung dagegen hatte Lind noch am Montag aufgefordert, das Strafmaß nicht höher als bei 25 Jahren anzusetzen. Nur so habe Manning eine Chance, sein Leben nach Verbüßen der Strafe noch produktiv aufzubauen. Verteidiger Coombs bat die Richterin um ein Urteil, das den Gefreiten nicht seiner Jugend beraube. Sie solle ihm noch ein Leben ermöglichen.

Das Urteil geht nun automatisch zum militärischen Appelationsgericht, es sei denn Bradley Manning verzichtet auf eine Berufung. Die nächst höheren Berufungsinstanzen sind das höchste Militärgericht und schließlich der Oberste Gerichtshof. Theoretisch hätte Manning nach Verbüßen eines Drittels der Strafe die Chance auf Bewährung. Zieht man die Zeit ab, die er bereits während des Prozesses in Haft verbracht hat, könnte Manning - theoretisch - nach etwa acht Jahren das Gefängnis verlassen.

Zur Startseite