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Auf Friedensfahrt.

© Harald Oppitz/KNA

Bischöfe in Jerusalem: Das erste Mal: Katholiken und Protestanten pilgern durchs Heilige Land

Katholische und evangelische Bischöfe sind gemeinsam auf Pilgerreise im Heiligen Land. Das gab es noch nie. Denn die Kirchen hat lange vor allem eines verbunden: ihre innige Abneigung.

In der Bethlehemer Geburtskirche sind sie eine Touristengruppe von vielen. Reiseführer informieren in Englisch, Spanisch und Russisch über die Felsenhöhle, in der Christen Jesu Geburtsstätte vermuten – und mittendrin stehen die katholischen und evangelischen Bischöfe aus Deutschland. Wie alle anderen müssen sich die Geistlichen anstellen, um hinunterzukommen und eine Andacht abzuhalten. Die kroatischen Pilger sind schon ewig unten. Da könnte man die Zeit doch sinnvoll nutzen?

Der Reiseführer sagt: Singen verboten!

Die Bischöfe wollen sich gerade vor dem Altar im Kreis aufstellen, da sagt der Reiseführer, dass man hier nicht singen dürfe. Also drehen die Bischöfe ab, versammeln sich nebenan in einem Winkel des Kreuzgangs zwischen Rosensträuchern und Buchsbaumhecken. Bischöfin Petra Bosse-Huber liest die Weihnachtsgeschichte, und leise rieselt vom Kirchendach feiner rötlicher Wüstensand auf die Jacketts herab, als würde es schneien.

18 katholische und evangelische Würdenträger sind für eine Woche gemeinsam im Heiligen Land unterwegs: neun katholische Bischöfe und neun Mitglieder des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), dem obersten Führungsgremium der evangelischen Kirche; fünf Frauen, 13 Männer. Sie pilgern am See Genezareth, in Bethlehem und in Jerusalem auf Jesu Spuren. Sie wollen sich näher kommen, Vertrauen aufbauen, vielleicht gar Freundschaften schließen. So etwas gab es noch nie.

In der Geschichte verband die beiden Kirchen eine innige Abneigung. 1517 veröffentlichte Martin Luther seine revolutionären Thesen und wollte die katholische Kirche reformieren. Doch der Papst wollte nichts wissen von Reformen und verhängte den Bann über den Mönch aus Wittenberg. Der Konflikt spaltete die Kirche. Luther beschimpfte den Papst als „Esel“ und „Antichrist“ und nannte seine Anhänger „Huren“ und „des Teufels Grundsuppe“. Der Hass aufeinander verwüstete Landstriche, spaltete Völker und kosteten hunderttausende Menschen in Europa das Leben. Die Feindbilder und Vorurteile sind bis heute nicht ganz aus den Köpfen verschwunden.

Das Lutherjahr soll groß gefeiert werden

Doch das soll sich ändern. 2017 jährt sich der Beginn der Reformation zum 500. Mal. Das wollen die Evangelischen groß feiern – aber zum ersten Mal nicht in Abgrenzung zu den Katholischen, sondern mit ihnen zusammen. Die Führungsgremien der beiden Kirchen haben deshalb einen Prozess des „Healing of Memories“ angestoßen – Heilen der Erinnerung. Das Jubiläumsjahr wird in einer Woche eröffnet, am Reformationstag. Die Versöhnung hat schon begonnen.

„Zu Bethlehem geboren ist uns ein Kindelein“, singt jetzt die Delegation im Kreuzgang. Kirsten Fehrs, evangelische Bischöfin von Hamburg, strahlt übers ganze Gesicht - und hat Tränen in den Augen, so gerührt ist sie. Sie war erst skeptisch: Protestanten und Katholiken feiern das Reformationsjubiläum als gemeinsames „Christusfest“? Kirsten Fehrs konnte sich schwer vorstellen, wie man das theologisch begründen sollte. Allmählich freundete sie sich mit dem Gedanken an und findet ihn jetzt geradezu genial. Die vergangenen Tage haben sie vollends überzeugt. „Zwischen uns ist so viel in Gang gekommen“, sagt sie. „Da sind richtige Beziehungen entstanden.“

Kirchenmilieus können ganz schön eng sein

Kirchenmilieus können ganz schön eng sein. Einige Protestanten sitzen auf dieser Pilgerreise morgens zum ersten Mal in einer katholischen Messe, und für etliche katholischen Bischöfe sind die evangelischen Gottesdienste am Abend eine neue Erfahrung. Die ersten zwei Tage waren sie am See Genezareth und haben die Kapelle am Seeufer besucht, wo Jesus auf wundersame Weise Brot und Fische vermehrt haben soll; sie sind auf den Berg gestiegen, wo er die Bergpredigt gehalten hat, und sind mit dem Boot aufs Wasser hinausgefahren. Mitten auf dem See stellten sie den Motor ab, beteten und staunten, wie sehr diese Orte sie berühren. „Diese Landschaft, die Steine, die Vögel, das alles hat Jesus auch gesehen“, sagt Heinrich Bedford-Strohm. Er ist Münchner Landesbischof und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland und das zweite Mal im Heiligen Land. Für Kirsten Fehrs ist es der erste Besuch. Als der See morgens in der Sonne glitzerte, hat sie neu verstanden, was Jesus in der Bergpredigt meinte. „Man muss das Glück gar nicht suchen. Es kommt auf einen zu, wir müssen nur offen dafür sein.“

Einige waren morgens zusammen schwimmen, andere sind gejoggt oder haben am Seeufer meditiert. Sie sind durch die galiläische Hügellandschaft gestreift zu zweit, zu dritt, und haben sich zaghaft, tastend gefragt: Welche Erinnerungen verbinden Sie mit der Bergpredigt? Warum ist die Lutherbibel für euch Protestanten so wichtig? „Das ist wie in einer Ehe“, sagt Marlehn Thieme, einstige Bank-Managerin und Mitglied im Rat der EKD. „Da ist es auch sehr hilfreich, zusammen spazieren zu gehen, wenn es Konflikte gibt. Man kann die unterschiedlichen Sichtweisen vortragen und entscheiden, ob man sich dabei ansieht oder nicht.“

Der Ton zwischen den Kirchenoberen war in den vergangenen 15 Jahren recht rau. 2000 sprach die römische Glaubenskongregation unter Joseph Ratzinger den Protestanten ab, überhaupt „Kirche im eigentlichen Sinn“ zu sein. 2006 profilierte der damalige EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber die evangelische Kirche als „Kirche der Freiheit“, worauf sich die Katholiken fragten, ob sie jetzt die „Kirche der Unfreiheit“ seien.

Einer, der gerne austeilte, ist Thies Gundlach, Vizepräsident des Kirchenamts der EKD. Der Oberkirchenrat verglich die katholische Kirche 2009 in einem internen Papier mit einem „angeschlagenen Boxer“. Die Sache kam raus und wurde zum Skandal. Jetzt sitzt Gundlach im Garten des österreichischen Hospizes in der Jerusalemer Altstadt. Pinien spenden Schatten, Tauben gurren und Gundlach sagt: „Schon verrückt, dass ich hier dabei bin.“ Damals empörte sich die Bischofskonferenz, aber gerade daraus habe sich ein intensiver Kontakt entwickelt. Die Debatten seien seitdem ehrlicher und er habe gemerkt, dass sein katholischer Kollege einen ähnlich ironischen Humor habe wie er.

In Jerusalem holt die Delegation die Realität des Nahen Ostens ein

In Jerusalem feiern die Juden diese Woche das Laubhüttenfest. Es ist das jüdische Erntedankfest und erinnert zugleich an die biblische Wanderung der Israeliten durch die Wüste, nachdem Mose sie aus der ägyptischen Sklaverei herausgeführt hatte. Auf Plätzen und an Straßenecken stehen Zelte und Bretterbuden mit Palmzweigen und Laubdächern. Zehntausende orthodoxe Juden aus der ganzen Welt drängen sich in den Gassen der Altstadt und eilen zur Klagemauer. Viele Männer tragen traditionelle Pelzhüte über den Schläfenlocken, die Frauen Perücken und lange Röcke. Am Jaffator spielen abends Klezmer-Musiker, im jüdischen Viertel demonstrieren militante Siedler. Überall patrouillieren Soldaten mit Maschinengewehren. An Festtagen ist es schon oft zu Gewalt zwischen Palästinensern und Israelis gekommen.

Hier, zwischen Laubhüttenfest, jüdischer Klagemauer und islamischem Tempelberg, holt die Delegation die Realität des Nahen Ostens ein. Die Bischöfe sind auch im Heiligen Land nie nur Privatleute, trotz offener Hemdkragen. Am Donnerstagvormittag steht die Sonne schon hoch am Himmel, als die Kirchenleute die Altstadttreppen zum Tempelberg hinaufgehen. Kardinal Reinhard Marx schwitzt im Talar, Bischof Bedford-Strohm im Lutherrock. Am Eingang müssen sich die Frauen unförmige Röcke überziehen und Kopftücher umlegen. Weiter oben müssen die Bischöfe die Kreuze abnehmen.

Der Felsendom und die Al-Aqsa-Moschee gehören zu den wichtigsten Heiligtümern im Islam. Von hier aus soll der Prophet Mohammed mit seinem Pferd in den Himmel geritten sein. Vor dem Felsendom wartet ein Vertreter der jordanischen Stiftung, die das Areal mitsamt der Moscheen verwaltet und kontrolliert. Mit vielen Gesten und lauter Stimme stellt er als Erstes klar, dass der Begriff „Tempelberg“ eine unzulässige Instrumentalisierung der Religion seitens der Juden sei. „Es hat hier oben nie einen jüdischen Tempel gegeben“, sagt er. „Es gibt keinerlei archäologische Beweise.“

Für westliche Historiker und Archäologen steht außer Zweifel, dass auf dem Tempelberg zwei jüdische Tempel standen, den letzten zerstörten die Römer 70 nach Christus. Aus den Trümmern bauten die Muslime später die beiden Moscheen. „Man kann die Dinge auch anders sehen“, sagt Kardinal Reinhard Marx. Doch der Stiftungsvertreter ist nicht mehr richtig bei der Sache: Palästinensische Polizisten führen gerade einen jüdischen Jugendlichen mit Schläfenlocken ab, der Palmwedel provozierend in Richtung Muslime geschwenkt hatte.

Jerusalemer Juden ist der Zutritt zum Tempelberg verboten

Jerusalemer Juden ist der Zutritt zum Tempelberg verboten, ausländische Juden müssen eine Besuchserlaubnis beantragen. „Besuche von Christen und Juden auf dem Tempelberg sind gegen Gottes Wille. Und diese Juden da“, ruft der Vertreter der islamischen Stiftung und deutet auf den Jugendlichen, „die kommen nur, um Machtansprüche zu demonstrieren!“

Es geht nur wenige Meter vom Tempelberg zur Klagemauer hinunter. Vor den Sicherheitsschleusen bilden sich lange Schlangen, dahinter drängen sich tausende Juden, berühren die mächtigen hellen Steinquader aus der vorchristlichen Zeit mit Händen und Stirnen, beten und preisen Gott.

„Wir stehen hier als zwei Delegationen auf dem Weg zur Einheit. Nach 500 Jahren Missverständnissen sind wir ins Heilige Land gekommen, um auf Christus zu hören. Damit er uns zusammenbringt. Wir haben in dieser Woche gelernt, welch Glück es ist, die Welt mit den Augen der anderen zu sehen“, sagen Bischof Bedford-Strohm und Kardinal Marx nach einem langen Gespräch mit einem Rabbiner. Beim Mittagessen geben ihnen der katholische Bischof von Jerusalem und der Präsident des Lutherischen Weltbundes in Jerusalem zu verstehen, dass es gut und schön sei, dass sie jetzt solch beglückende Erfahrungen miteinander gemacht hätten. Doch sie sollten sich bitte mit klugen Ratschlägen zurückhalten. In Jerusalem sei die Lage unendlich kompliziert und „von Frieden und Versöhnung sind wir weit entfernt“.

Am Morgen treffen sich die Pilger in der Grabeskirche

Am Freitagmorgen um sieben Uhr treffen sich die Pilger in der Grabeskirche. Auf dem Felsen, über dem der verwinkelte Bau errichtet wurde, soll Jesus gekreuzigt und beerdigt worden sein. Die Deutschen gehen an Baugerüsten vorbei zu einem schmuck- und fensterlosen Gewölbe – der Kreuzfahrerkapelle. Die katholischen Bischöfe streifen sich die Messgewänder über und zelebrieren den Frühgottesdienst. Die evangelischen Reisegefährten verteilen sich in den Bänken. Robert Zollitsch, der frühere Freiburger Erzbischof, legt die Bibel aus. Er war es, der vor fünf Jahren die Idee zu dieser evangelisch-katholischen Pilgerreise hatte. „Jesu zentraler Auftrag ist die Versöhnung“, sagt Zollitsch. „Leider haben wir uns über seine Botschaft und deren Auslegung zerstritten und gespalten. Doch wenn wir Jesu Auftrag ernst nehmen, dann können wir, nach dem was wir in diesen Tagen miteinander erlebt haben, nur als Boten der Versöhnung von hier weggehen.“

Doch die Unterschiede verschwinden nicht so schnell. Bei der Eucharistiefeier, beim Abendmahl, bleiben die katholischen Bischöfe unter sich. Ihre Kirche verbietet es ihnen, Evangelischen das Abendmahl zu reichen. "Wir wussten ja auch schon vorher, dass das so ist", sagt Bischöfin Fehrs. „Aber nun, wo wir uns näher gekommen sind, tut das richtig weh.“

Nächste Woche sind alle zurück im Alltag. Gut möglich, dass das Reformationsjubiläum nicht nur weitere Versöhnung, sondern auch neue Differenzen bringt. Doch die Fotos auf den Handys der Bischöfe werden bleiben. Sie zeigen eine Schar lachender Frauen und Männer, die sich geöffnet haben füreinander, für ihre Gefühle und die Wunder ihres Herrn.

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