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Randalierer in Hamburg plünderten auch den Budnikowsky-Drogeriemarkt.

© Daniel Reinhardt/dpa

"Bild"-Fahndung nach G20-Randalierern: Am Pranger der Presse

Die "Bild"-Zeitung fahndet nach "G20-Verbrechern", ganz ohne Polizei. Es erinnert eher an Wildwest als an einen Rechtsstaat. Lynch-Mob statt Richter mit Staatsexamen? Gruselig. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ronja Ringelstein

Der Mensch ist schlecht. Gesehen hat man das zuletzt im Hamburger Schanzenviertel, als die Krawalle gegen den G-20-Gipfel in vollem Gange waren und mit Demonstranten auch marodierende Brandstifter umherzogen. Neben Autonomen, die einen Supermarkt plünderten, um mit der Beute Feuer zu machen, vergriffen sich auch andere an den offenen Regalen. Chaos zur eigenen Bereicherung auszunutzen ist verwerflich und natürlich eine Straftat.

Auch Straftäter haben ein Persönlichkeitsrecht

Die „Bild“ hat sich deshalb zum Blatt der Hilfssheriffs ernannt und druckte Fotos mutmaßlicher Plünderer und Steinewerfer ab, mit der Überschrift: „Gesucht! Wer kennt diese G-20-Verbrecher?“ Die Menschen auf diesen Bilden, egal ob Straftäter oder nicht: Sie werden an den Pranger gestellt. Der Online-Aufruf wurde auf Facebook über 70.000 Mal geteilt.

Immer wieder passiert es, dass in sozialen Netzwerken Aufrufe verbreitet werden, die nach Sexualstraftätern, Mördern oder, wie zuletzt in Berlin, nach „U-Bahn-Tretern“ suchen. Wenn diese Fotos und Videos von Privaten online gestellt werden, ist das problematisch.

Auch ein Straftäter hat ein Persönlichkeitsrecht, zu dem auch das „Recht am eigenen Bild“ gehört. Das müssen auch die Ermittlungsbehörden beachten, deshalb sind die rechtlichen Hürden für öffentliche Fahndungen entsprechend hoch: Nur ein Richter darf sie anordnen, nur bei Straftaten von erheblicher Bedeutung. Ist die Fahndung beendet, muss der Aufruf wieder gelöscht werden. Bei der „Bild“-Fahndung besteht die Gefahr, dass die Fotos noch Jahre im Internet herumschwirren werden.

"Wanted"-Plakate, Hilfssheriffs... sind wir im Wilden Westen?

Der Presserat prüft den Fall. Er wägt das Öffentlichkeitsinteresse der Allgemeinheit und das Persönlichkeitsrecht der im Artikel als „Schwerkriminelle“ Bezeichneten ab. Unabhängig vom Ergebnis müssen wir uns fragen: Wollen wir so etwas wirklich? Ist die öffentliche Hetzjagd gerechtfertigt? Wohl kaum. Es sind eben diese Grenzen des Rechtsstaats, die ihn vom Wilden Westen unterscheiden. „Wanted“-Plakate, selbsternannte Hilfssheriffs und ein aufgebrachter Mob sind gruselige Vorstellungen. Zumal die wütende Masse auch oft falsch liegt. 2013 druckte die Boulevardzeitung „New York Post“ das Bild der beiden angeblichen Attentäter des Anschlags auf den Boston-Marathon auf der Titelseite. Sie waren unschuldige Zuschauer.

Und auch die „Bild“ griff bereits daneben: Sie zeigte einen angeblichen Böllerwerfer. Die Hamburger Polizei stellte auf Twitter klar: „Der gezeigte Mann ist NICHT tatverdächtig! Bitte Internet-Fahndung nach ihm beenden!“

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Sie hatte zudem selbst eine Plattform bereitgestellt, auf der Bilder zur Identifizierung hochgeladen werden konnten. Sie werden von der Polizei – ganz ohne öffentlichen Lynch-Mob – ausgewertet. Wenn die Voraussetzungen einer Öffentlichkeitsfahndung vorliegen, dann kann die Polizei das ja tun.

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