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Über die Zukunft des Flughafens Tegel wird in gut zwei Wochen abgestimmt.

© Jörg Carstensen, dpa

Berliner Flughäfen: Tegel-Entscheidung darf nicht Berlins Brexit werden

Die Berliner Politik hat beim Thema Flughafen unfassbare Fehler gemacht. Die Wähler müssen das bei der Abstimmung über die Zukunft von Tegel nicht fortsetzen. Ein Kommentar.

Den Brexit betrachten wir mit Erstaunen, Abscheu und Mitgefühl. Die Mehrheit der Wähler in einer der großen Demokratien der Welt ist verantwortungslosen Zynikern und Spielern wie dem multinationalistischen Verleger Rupert Murdoch und dem Tory Boris Johnson gefolgt und befindet sich jetzt in einer Geisterbahn, von der keiner sagen kann, wo und wie ihre Fahrt endet – auch nicht die Urheber des Brexits. Die Wähler haben einen Denkzettel abgeschickt und dafür eine Quittung bekommen. Nur weiß den Preis niemand, und voraussagen kann ihn auch keiner.

Ohne Konzept für die Zeit danach

Was die Briten auf der europäischen Bühne vorgemacht haben, kann sich bei der Abstimmung über die Zukunft des Flughafens in Tegel wiederholen. Deutlich kleiner im hiesigen Regionaltheater, für Berlin aber dennoch mit bitteren Folgen. In Großbritannien wie in Berlin stand und steht kein durchdachtes, ausgearbeitetes Gesetz mit präzise dargelegten Folgen zur Abstimmung, sondern eine Meinungskundgebung, die ein Signal der Frustration ist über das vielfach belegte Unvermögen der politisch Verantwortlichen.

Den Briten wurde versprochen, sie könnten „die Kontrolle“ zurückerlangen. Tatsächlich haben sie jetzt weniger Kontrolle über ihr Schicksal als zuvor. So wird auch in Berlin im Fall einer Mehrheit für den weiteren Flugbetrieb in Tegel das Gegenteil des Gewünschten eintreten: Wer für einen offenen Flughafen stimmt, bekommt nichts als offene Fragen.

Über zwei Jahrzehnte hinweg haben die Berliner Bürger ihre Parlamentarier immer auch mit dem Auftrag gewählt, Tegel zu schließen. Die Abgeordneten haben diesen erklärten Volkswillen umgesetzt und entsprechendes Recht geschaffen. Wenn die Wähler es sich jetzt anders überlegen und den Auftrag zu einer Kehrtwende erteilen, können die Abgeordneten – so wenig wie die Befürworter des Tegel-Antrags – absehen, welche rechtlichen Risiken sie damit tatsächlich eingehen.

Viele offene Fragen

Die offenen Fragen, auszugsweise: Haben die Tegeler Anwohner Anspruch auf Lärmschutz für 400 Millionen Euro, vier Milliarden Euro oder sogar auf die Schließung? Wenn der Flughafen grundsaniert werden muss – ist der Bauantrag wie ein Neubau zu behandeln und gar nicht genehmigungsfähig? Welche Ansprüche haben die Flughafen-Mitgesellschafter Brandenburg und der Bund? Welche Rechte haben die Flughäfen im Umland, die wegen des Single-Airport-Konzepts nicht ausgebaut werden durften?

Mehr noch: Mit welchen Einsprüchen und Prozessen ist zu rechnen, wenn die Planfeststellung geändert wird? Welches Recht gilt in der Zeit? Wie viele Prozesse wird es geben, wie lange werden sie dauern und wie werden sie ausgehen? Niemand kann es sagen.

Wer die Berliner Politik kennt, kann dafür umso besser vorhersagen, was passieren wird, wenn eine Mehrheit der Berliner für die Offenhaltung von Tegel stimmt: Die Politik wird sofort in eine Schockstarre fallen, weil jede weitere Entscheidung falsch ist. Der Senat hat die Wahl, den Souverän zu brüskieren oder unüberschaubare Prozessrisiken einzugehen. Da wird eine Landesregierung, die sich bisher nicht dem Vorwurf des Übereifers ausgesetzt hat, wissen was zu tun ist: nichts.

Fehler nicht fortsetzen

Die Planungen für Tausende neue Wohnungen und Arbeitsplätze in Tegel werden dann zu den Akten gelegt. Der Flughafen BER wird nicht erweitert, die Gerichte werden übernehmen. Die Politik wird die Untätigkeit zum Prinzip erklären, und das immer mit Verweis auf den Volkswillen.

Worum es bei der Tegel-Abstimmung wirklich geht: Werden die bisherigen Pläne für einen größeren Flughafen in Schönefeld und für Wohnen und Arbeiten in Tegel in unverändert provozierender Langsamkeit umgesetzt – oder nicht einmal das?

Die Berliner Politik hat beim Thema Flughafen unfassbare Fehler gemacht. Die Berliner Wähler müssen das nicht fortsetzen.

Sebastian Turner

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