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Atomkraftwerk Doel in Belgien: Panne nicht aufgeklärt, Misstrauen gegen eigene Mitarbeiter.

© dpa

Belgien nach den Terroranschlägen: Angst vor den eigenen Mitarbeitern im Atomkraftwerk

Im Sommer 2014 verursachten Unbekannte einen schweren Zwischenfall in einem belgischem Atomkraftwerk. Der Fall ist bis heute nicht aufgeklärt.

Am 5. August 2014 hatten einer oder mehrere Unbekannte rund 65.000 Liter Öl einer Turbine des Kraftwerks Doel an der niederländischen Grenze auslaufen lassen. Die Turbine überhitzte und fiel aus. Infolge dessen war es zur automatischen Abschaltung des Reaktorblocks 4 gekommen, hatte der Betreiberkonzern Electrabel damals mitgeteilt. Belgischen Ermittlern ist es auch in anderthalb Jahren nicht gelungen, den dramatischen Vorfall aufzuklären, wie jetzt klar wird.

„Nach Kenntnis der Bundesregierung hat die Staatsanwaltschaft in Belgien die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen“, teilte das Bundesministerium für Reaktorsicherheit auf eine im Februar gestellte Anfrage der atompolitischen Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Sylvia Kotting-Uhl, diplomatisch formuliert mit. Die Auskunft liegt dem Tagesspiegel vor. Es lägen keine belastbaren Einzelheiten und Hintergründe der Tat vor. Jedoch: „Alle bisherigen Informationen deuten auf die Tat eines Innentäters hin“, schrieb Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter der Abgeordneten.

Laut Auskunft der belgischen Atomaufsicht seien im Rahmen einer umfassenden Revision des sicherungstechnischen Regelwerks auch Sicherungsmaßnahmen gegen Innentäter in allen belgischen Kernkraftwerken festgelegt worden, um so weitere Vorfälle dieser Art zu verhindern, referiert das Bundesministeriums die Auskunft der Belgier weiter.

Die Auskunft wurde allerdings vor den Terroranschlägen in Brüssel mit 31 Toten in dieser Woche verfasst. Im Lichte der Ereignisse, die auch ein systematisches Versagen der Behörden des Nachbarlandes nahelegen, wachsen hierzulande Zweifel an der Wirksamkeit dieser angeblich getroffenen Maßnahmen.

Grünen-Politikerin nennt Nicht-Ergebnis „skandalös“

Natürlich müsse es umfassende Ermittlungen geben, sagt die Grüne Kotting-Uhl. Und natürlich müssten auch erst einmal etliche Zeugenbefragungen ausgewertet werden. „Aber dass es nach anderthalb Jahren immer noch keinen Abschluss der Ermittlungen gibt und der mutmaßliche Saboteur möglicherweise weiterhin munter in Doel 4 arbeitet, ist skandalös.“

Die belgischen Behörden hatten im Oktober 2014, also zwei Monate nach dem Vorfall, entdeckt, dass ein polizeibekannter Dschihadist bis November 2012 für rund drei Jahre im Hochsicherheitsbereich dieses Atomkraftwerks als Sicherheitstechniker gearbeitet hatte. Ilyass Boughalab, geboren im marokkanischen Tanger, war bei einem externen technischen Dienstleiter angestellt und hatte alle Sicherheits-Checks bestanden.

Infolge der Anschläge von Brüssel hatte der AKW-Betreiber „alle für den Betrieb nicht unbedingt notwendigen Mitarbeiter“ nach Hause geschickt, wie Eletrabel mitteilte - ohne nähere Angaben zu machen. Offenbar eine Vorsichtsmaßnahme, um das konkrete Anschlagsrisiko zu minimieren. Scheint, als seien die Behörden doch nicht so sicher, dass man der AKW-Belegschaft trauen kann.

Wie sicher sind Deutsche AKW vor „Innentätern“?

„Diese Vorgehensweise ist vor dem Hintergrund der Bedrohungslage in Belgien sehr plausibel,“ sagt Stephan Mayer, innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit Blick auf die plötzliche Reduzierung des AKW-Personals. Deutschland sei seines Erachtens hier aber „gut aufgestellt“. Jeder Mitarbeiter müsse vor Erhalt seiner Zutrittsberechtigung für ein Kernkraftwerk eine Zuverlässigkeitsüberprüfung erfolgreich durchlaufen. 

Strafrechtliche Verurteilungen oder Ermittlungsverfahren würden hierbei ebenso überprüft wie Verbindungen zum politischen Extremismus. „Das Verfahren der Zuverlässigkeitsüberprüfung hat sich im Laufe der Jahre bewährt und bietet einen guten Schutz auch gegen potenzielle Terroristen“, sagte Mayer dem Tagesspiegel.

Die Grüne Abgeordnete Sylvia Kotting-Uhl ist da weniger gelassen. „Der Fall Boughalab verdeutlicht, wie einfach ein Terrorist die Sicherheitschecks bestehen kann.“ Was man jetzt schnell tun müsse, sei, die Schwachstellen zu reduzieren. „Dazu gehört eine Debatte über die immense Auslagerung von Arbeiten an Subunternehmen, die sogar den Hochsicherheitsbereich betreffen.“ 

Die eigentliche Aufgabe für Europa sei aber, sich ehrlich der Frage zu stellen, ob man sich angesichts einer steigenden terroristischen Gefährdungslage Atomkraftwerke noch leisten könne. „Deren Risiko erhöht sich nicht nur durch die Alterung, sondern auch durch den allgegenwärtigen Terror. Vor diesem Risiko kann man Menschen immerhin schützen“, sagt die atompolitische Sprecherin der Grünen.

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