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Nicht einwilligungsfähig. Im Streit um Arzneiversuche an Demenzkranken sucht die SPD nun nach einem Kompromiss.

© picture alliance / dpa

Arzneiversuche an Demenzkranken: SPD ringt um Kompromiss

Bei der geplanten Ausweitung von Arzneiversuchen an Demenzkranken bremst nun auch die SPD. Sie will wenigstens etwas höhere Hürden - und eine Abstimmung ohne Fraktionszwang.

Nach dem massiven Widerstand in beiden Koalitionsfraktionen gegen die vorgesehene Ausweitung von Arzneitests an Demenzkranken strebt SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach nun einen Kompromiss an. In einem Brief an seine Fraktionskollegen warb der Gesundheitsexperte am Dienstag um Änderungen am Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), die in einem gemeinsamen Antrag mit der Union münden könnten.

Lauterbach: Wir müssen die Hürden sehr hoch setzen

Man müsse „absolut sicher ausschließen, dass es eine gruppennützige Forschung an Demenzkranken gibt, die das nicht wollen“, sagte Lauterbach. „In Anbetracht unserer Vergangenheit müssen wir die Hürden hier sehr hoch setzen.“ Gleichzeitig kündigte er an, dass es bei der Abstimmung darüber bei der SPD "selbstverständlich" keinen Fraktionszwang geben werde. Die Abgeordneten dürften allein nach ihrem Gewissen entscheiden. Er hoffe, dass sich die Union diesem Verfahren anschließe.

Bisher sind Arzneistudien mit Nichteinwilligungsfähigen hierzulande verboten, wenn die Probanden dadurch keinen persönlichen Nutzen haben. Gröhe will solche rein gruppennützige Forschung nun auch erlauben. Dagegen protestieren nicht nur beide großen Kirchen, sondern auch Behinderten- und Familienpolitiker aus allen Fraktionen.

Lauterbach verteidigte die Ausweitung als notwendig für die Forschung. Zudem dürfe man keinen, der etwa wegen einer familiären Disposition für Demenz als Betroffener später an solchen Studien teilnehmen wolle, mit einem Verbot bevormunden. Jedoch müsse es hohe ethische Hürden geben, die jeden Missbrauch verhinderten.

Ärztliche Beratung soll für künftige Probanden Pflicht werden

Gröhes Gesetzentwurf schütze Demenzkranke nicht ausreichend, heißt es in Lauterbachs fünfseitigem Brief, der dem Tagesspiegel vorliegt. Konkret schlägt der Gesundheitsexperte darin Änderungen an der grundsätzlichen Vorab-Einwilligung der Patienten vor, ohne die in Deutschland auch künftig keine Teilnahme an gruppennützigen Studien möglich sein soll. Bisher ist in Gröhes Entwurf nur vorgesehen, dass diese in geistig klarem Zustand, also noch vor Ausbruch der Demenz, per Patientenverfügung abgegeben worden sein muss.

Lauterbach will dafür zum einen nun eine ärztliche Beratung zur Pflicht machen, die auch nicht abgelehnt werden darf. In Gröhes Entwurf ist nur ein Recht auf ärztliche Aufklärung vorgesehen.

Einwilligung nicht per Patientenverfügung

Zum andern soll die umstrittene Vorab-Einwilligung über andere Dokumente erfolgen Patientenverfügungen eigneten sich nicht für derart komplexe Vorgänge, sagte der SPD-Experte. Sie würden dadurch überfrachtet und so womöglich in ihrer Akzeptanz gefährdet. Bessere angesiedelt sei eine Forschungseinwilligung etwa bei einer Vorsorgevollmacht oder Betreuungsverfügung.

Der Gesetzentwurf sollte ursprünglich bereits am vergangenen Donnerstag zu später Stunde vom Parlament verabschiedet werden. Nach heftigem Widerstand in den Fraktionen, insbesondere bei der Union, war er kurzfristig von der Tagesordnung genommen worden. Er hoffe, dass man jetzt in der ersten Juli-Woche über die Änderungen abstimmen könne, sagte Lauterbach.

Gegner planen fraktionsübergreifenden Antrag

Nach Tagesspiegel-Informationen gibt es derzeit allerdings auch intensive Bemühungen, sich fraktionsübergreifend auf einen Antrag zu verständigen, alles beim alten zu lassen. Tenor: Gruppennützige Forschung an Dementen ist weder erforderlich noch ethisch vertretbar.

Um sich mehr Zeit für die Debatte zu geben, könne man die umstrittene Passage auch erst mal als Moratorium aus dem zu beschließenden Gesetzespaket herausnehmen und nur den Rest beschließen, hieß es in Unionskreisen.

Grüne werten SPD-Vorstoß als Ablenkungsmanöver

Grünen-Expertin Kordula Schulz-Asche wertete Lauterbachs Vorschlag als Ablenkungsmanöver von der eigentlichen Debatte. Die umzusetzende EU-Verordnung erlaube es den Mitgliedsstaaten ausdrücklich, rein gruppennützige Forschung an Demenzkranken zu verbieten, sagte sie dem Tagesspiegel. Weder Lauterbach noch Gröhe könnten „erklären, welche Art von Forschung aufgrund dieses Verbots derzeit nicht machbar ist und warum wir unbedingt eine Rechtsänderung brauchen“. Der Bundestag tue „gut daran, ausführlich über solche ethischen Fragen zu diskutieren“.

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