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Anteil älterer Armer wächst.

© dpa

Armut in Deutschland: Rentner trifft es immer häufiger

Die Armut in Deutschland geht nicht zurück. Doch wie ist die Entwicklung in den letzten zehn Jahren gewesen - sozial und regional? Fragen und Antworten.

Es verändert sich wenig: Von Armut gefährdet sind in Deutschland weiterhin vor allem Erwerbslose, niedrig Qualifizierte, Alleinerziehende und Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit. In deutlich wachsendem Maß gehören auch Rentner dazu. Dagegen geht die Armutsgefährdung bei Paarfamilien mit Kindern und in der Gruppe derer mit Migrationshintergrund zurück. Im Vergleich zu 2005 ist die Quote insgesamt gestiegen: von 14,7 Prozent auf 15,4 Prozent im vorigen Jahr. Es trifft also jeden Siebten. Das sind die wesentlichen Erkenntnisse aus den neuesten Zahlen zur Armutsgefährdung des Statistischen Bundesamtes, die am Donnerstag bekannt wurden.

Was ist eigentlich Armutsgefährdung?

Der Begriff Armutsgefährdung klingt technisch, man kann auch von relativer Armut sprechen oder einfach von der Gruppe jener, die am wenigsten zum Leben haben – ob nun aus eigenen Einkommen, aus Sozialleistungen oder aus beidem. Die Statistiker betrachten als armutsgefährdet alle Personen, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens haben. Es geht dabei nicht um das Durchschnittseinkommen als Maßstab, sondern um den so genannten Median, einen Mittelwert, der Verzerrungen ausschließen soll. Bei einem Einpersonenhaushalt lag diese 60-Prozent- Schwelle 2014 bei 917 Euro. Bei einem Paarhaushalt mit zwei Kindern lag der Wert bei 1926 Euro. Die Zahlen für Berlin: 841 respektive 1767 Euro. Das liegt daran, dass das Einkommensniveau in der Hauptstadt relativ niedrig ist. Die neuen Zahlen basieren auf einer Hochrechnung des Mikrozensus von 2011.

Wer ist besonders betroffen?

Besonders stark stieg die Armutsgefährdung in den vergangenen zehn Jahren bei Erwerbslosen – von 49, 6 auf 57,6 Prozent. Arbeitslosigkeit bedeutet nach wie vor das größte Risiko, arm zu werden. Immerhin ist der Wert seit dem Höhepunkt der Finanzkrise 2011/12 wieder etwas zurückgegangen. Er lag schon mal bei mehr als 59 Prozent.
Der zweithöchste Wert wird bei Alleinerziehenden erreicht (wobei Überschneidungen mit den Erwerbslosenzahlen vorliegen). Fast 42 Prozent der Haushalte mit einem Erwachsenen und Kind oder Kindern sind armutsgefährdet. Relativ hoch ist die Armutsgefährdung auch bei Familien mit drei oder mehr Kindern. In diesem Fall trifft es etwa jeden vierten Haushalt. Statistisch gesehen sind Kinder aber kein zunehmendes Armutsrisiko: Jedenfalls sind in allen Paarhaushalten mit Kindern die Armutsgefährdungsquoten gegenüber 2005 gesunken.
Nach wie vor ist auch ein geringer Bildungsgrad ein Risikofaktor; mit deutlich steigender Tendenz. Waren vor zehn Jahren noch etwa 23 Prozent der Niedrigqualifizierten von Armut bedroht, lag die Zahl im Vorjahr bei knapp 31 Prozent. Das ist einer der größten Steigerungen. Dabei ist diese Gruppe nicht gewachsen: Es waren damals wie heute gut drei Millionen Männer und Frauen über 25 Jahren, wie Bernd Becker vom Bundesamt erläuterte. Doch woran liegt es dann? Bekommen gering Gebildete immer schlechter bezahlte Jobs? Das dürfte einer der Gründe sein, die Realeinkommen sind im Beobachtungszeitraum gerade in dieser Gruppe kaum gestiegen. Im Gegensatz zu qualifizierten Arbeitern oder zum öffentlichen Dienst.

Wie sieht es bei den Alten aus?

Die Daten aus Wiesbaden weisen noch auf eine andere Ursache hin, die sich nicht auf den ersten Blick erschließt: Es dürfte auch mit der stark wachsenden Zahl armutsgefährdeter Rentner zu tun haben. Oder anders gesagt: Es wächst die Zahl niedrig Qualifizierter, die jetzt in die Rente kommen. Und bei denen im Gegensatz zu ihrem Arbeitseinkommen die Rente so gering ausfällt, dass sie in die Gruppe der Armutsgefährdeten rutschen. Was auch den Wert der Gefährdeten mit geringem Qualifikationsniveau nach oben zieht. Die Zahl armer Rentner ist seit 2005 um 50 Prozent gestiegen, so stark wie in keiner Gruppe. Waren es vor zehn Jahren noch 10,7 Prozent (und damit klar weniger als im Schnitt), sind es heute 15,6 Prozent – ein überdurchschnittlicher Anteil. Die wachsende Altersarmut ist somit in der Statistik angekommen. Das erklärt auch, warum Haushalte ohne Kinder etwas ärmer geworden sind. Noch gravierender werde das Problem ab 2025 werden, sagt Ulrich Schneider, Präsident des Paritätischen Gesamtverbands. Dann würden in größerer Zahl Langzeitarbeitslose aus den achtziger und neunziger Jahren ins Rentenalter kommen. In absehbarer Zeit werde auch die wachsende Zahl von Teilzeitbeschäftigten auf die Alterssicherung und auf die Altersarmut durchschlagen. Diesem Phänomen müsse die Politik schnell und mit Nachdruck entgegenwirken. Gleiches gelte für die weiterhin hohe Zahl armer Kinder und Alleinerziehender. Für beide Gruppen müsse der Staat mehr in Bildung und Qualifizierungsprogramme investieren, sagte Schneider. Insgesamt lautet sein Fazit: „Die Wirtschaft hat sich 2014 gut entwickelt. Es ist enttäuschend, dass die Armut auf sehr hohem Niveau verharrt.“

Gibt es regionale Unterschiede?

Als Merksatz kann dienen: Der Osten ist stärker betroffen, aber es wird etwas besser; dagegen verschlechtern sich die Werte im Westen. In den Ost-Ländern inklusive Berlin ist die Gefährdungsquote seit 2005 von 20,4 auf 19,2 Prozent gesunken. In den West-Ländern dagegen stieg sie von 13,2 auf 14,5 Prozent. Der positive Ost-Trend geht vor allem auf deutliche Verbesserungen bei Familien mit Kindern zurück. Nimmt man nicht den Bundesmedian als Maßstab, sondern das jeweilige Einkommensniveau in den Ländern selbst, verkehren sich die Werte sogar: Im Osten liegt die Gefährdungsquote dann wegen des insgesamt geringeren Lohnniveaus und der geringeren Zahl reicher Haushalte bei 12,6 Prozent, im Westen bei 16 Prozent. In Baden-Württemberg und Bayern ist die Armutsnähe am geringsten, am größten ist sie (jetzt wieder gemessen am Bundesmedian) in Bremen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Besonders stark gewachsen ist die Quote in Nordrhein- Westfalen.

Wie ist der Stand in Berlin?

Zwar sind nur in drei anderen Bundesländer noch mehr Menschen von Armut gefährdet als in Berlin. Dafür ging die Quote um fast einen Prozentpunkt auf 20 Prozent zurück. Der Rückgang ist auch im langjährigen Vergleich unüblich. Die Fachgruppensprecherin der Landesarmutskonferenz, Susanne Gerull, nannte das „sehr positiv“: Die Schere zwischen Arm und Reich habe sich etwas geschlossen. Andererseits bleibe viel zu tun. Besonders hoch sei die Quote nämlich bei jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren . Hier ist jeder Dritte durch Armut gefährdet. Ähnlich stark betroffen, wie anderswo auch, sind kinderreiche Familien und Erwerbslose.

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