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Tod und Zerstörung. Immer wieder attackieren saudische Kampfjets die gegnerischen Huthis. Vor einer Woche wurden dabei 140 Teilnehmer eine Trauerfeier getötet.

© Mohammed Huwais/AFP

Arabische Halbinsel: Der vergessene Krieg im Jemen

Seit anderthalb Jahren fliegt Saudi-Arabien Angriffe gegen Aufständische im Jemen. Gewalt und Not lassen die Menschen verzweifeln. Doch der Konflikt wird von der Welt kaum wahrgenommen.

Im Jemen gehören Angst, Not und Armut zum Alltag. Keine Jobs, kein Geld für Einkäufe, dazu immer wieder Gefechte und Bombenangriffe – Folgen eines Kriegs, dem die Welt kaum Beachtung schenkt. Alle Augen scheinen auf Aleppo und die Schlacht um Mossul gerichtet zu sein. Dabei ist das Ausmaß der humanitären Katastrophe im Jemen womöglich noch größer als in Syrien und dem Irak. Allein am Wochenende gab es dutzende zivile Opfer. Die Bundesregierung appellierte an die Konfliktparteien, die Gewalt zu beenden und Hilfe für die Bevölkerung zu ermöglichen.

Worum geht es in dem Konflikt?

Vor gut eineinhalb Jahren hat das benachbarte Saudi-Arabien in den jemenitischen Bürgerkrieg eingegriffen. Seitdem geht eine von Riad befehligte Koalition vor allem mit Luftschlägen gegen die aufständischen Huthi-Rebellen vor – ohne großen Erfolg. Dabei hatte die Golfmonarchie anfangs verkündet, der Feldzug werde allenfalls einige Wochen dauern. Das hat sich als Trugschluss erwiesen. Trotz des Einsatzes einer Militärmaschinerie konnten die Huthis nicht besiegt werden. Alle Friedensgespräche sind bisher gescheitert. Chaos und Gewalt haben inzwischen dazu geführt, dass sich der Staat weitgehend aufgelöst hat. Dieses Machtvakuum nutzen bewaffnete Stämme und Terrororganisationen wie Al Qaida, um ihren Einfluss kontinuierlich auszuweiten. Die Gegenwehr ist gering. Expertin Mareike Transfeld ist überzeugt: „Es geht im Jemen nicht um Sunniten oder Schiiten. Ideologien und politische Visionen spielen kaum noch eine Rolle. Es geht allein um Macht.“ Und die Bevölkerung ist zum Spielball verschiedener Interessen geworden. „Das Leid der Menschen wird als Verhandlungsmasse missbraucht.“

Wie ist die Lage der Bevölkerung?

Mit einem Wort: dramatisch. 4000 Zivilisten sind bereits ums Leben gekommen. Dutzende Schulen, Märkte und Krankenhäuser wurden zerstört. Durchaus auch gezielt, wie Beobachter vermuten. Fast drei Millionen Jemeniten haben wegen der Kämpfe ihre Heimat verloren. Nur wenige konnten das Land verlassen. Der Jemen liegt im Süden der arabischen Halbinsel. Im Norden hält Saudi-Arabien die Grenzen dicht, im Osten Oman. Auch die Flucht übers Meer ist fast unmöglich. So hausen Frauen, Kinder und Männer unter katastrophalen Bedingungen in baufälligen Gebäuden, Garagen oder auf Feldern. Lebensmittel, Wasser, Medikamente – es fehlt an allem. Aber Güter gelangen nur sehr schwer ins Land, es gibt eine Seeblockade. Relativ gut organisierte Lager sind ebenfalls die große Ausnahme. „Die Bedürftigen unter diesen Bedingungen zu versorgen, ist extrem schwierig“, sagt Wolfgang Prangl, Leiter der humanitären Hilfe bei Oxfam Deutschland. Außerdem gibt es keine Jobs. Viele Menschen haben also kein Einkommen, um sich zum Beispiel Nahrung zu kaufen - sie müssen hungern, sind unterernährt.

Der Jemen gilt schon lange als Armenhaus der arabischen Welt. Doch durch den Krieg ist alles viel schlimmer geworden. Drei Viertel der 27 Millionen Einwohner brauchen mittlerweile dringend Unterstützung. Schätzungsweise sieben Millionen Jemeniten hungern, unter ihnen viele Kinder. Anfang des Jahres verteilte das Welternährungsprogramm monatlich Lebensmittelrationen an drei Millionen Menschen. Heute sind es sechs Millionen. Die UN-Organisation kann zwar helfen, aber zu einem hohen Preis: Die Zuteilungen mussten aufgrund des großen Bedarfs halbiert werden – weil das Geld fehlt. „Eine ganze Generation könnte durch den Hunger gezeichnet werden“, warnt Tom Due vom Welternährungsprogramm und appelliert an die Staatengemeinschaft, mehr Mittel zur Verfügung zu stellen. Doch die Aufmerksamkeit der Welt ist gering. „Die humanitäre Krise im Jemen wird von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen“, sagt Wolfang Prangl von Oxfam.

Mangelware. Die Versorgung mit sauberem Trinkwasser ist im Jemen weitgehend zusammengebrochen.
Mangelware. Die Versorgung mit sauberem Trinkwasser ist im Jemen weitgehend zusammengebrochen.

© Yaha Arhab/dpa

Was macht der Krieg mit den Kindern?

Von Saida Ahmad Baghili gibt es Fotos, die kaum zu ertragen sind. Sie zeigen eine 18-Jährige, die bis auf die Knochen abgemagert ist. Das Mädchen liegt auf einem Krankenbett und hofft, dass die Ärzte sie retten können. Hunderttausenden Kindern geht es ähnlich schlecht wie Saida. Laut Unicef leben sechs Millionen Heranwachsende in zum Teil bitterer Armut. 1,5 Millionen gelten als mangelernährt – davon 370.000 lebensbedrohlich. Doch den wenigsten kann geholfen werden. Jemens Gesundheitssystem ist durch den Krieg fast komplett zusammengebrochen. So können auch Durchfallerkrankungen wie Cholera – verursacht durch verunreinigtes Wasser und mangelnde Hygiene – nicht richtig behandelt werden. Für geschwächte Kinder kann dies den Tod bedeuten. Hinzu kommt: Mehr als 200 Schulen sind durch Bombardements völlig zerstört, 1100 beschädigt. Andere dienen als Notunterkünfte für Flüchtlinge oder werden von bewaffneten Gruppen besetzt. Für 350.000 Mädchen und Jungen heißt das, sie bekommen keinen Unterricht. Außerdem steigt die Zahl der Kindersoldaten. Nach Informationen von Unicef sind seit der Invasion der Saudis vor anderthalb Jahren mindestens 1200 Jugendliche von verschiedenen Milizen rekrutiert worden.

Warum haben die Saudis eingegriffen?

Die Saudis betrachten die gesamte arabische Halbinsel als ihren „Hinterhof“ und fürchten nichts so sehr wie eine „schiitische Weltrevolution“. Ausgelöst wurde diese Angst durch die iranische Revolution 1979. Bis heute wittern die Saudis nach wie vor überall eine Verschwörung der Mullahs in Teheran. Als es beispielsweise 2011 im Zuge des Arabischen Frühlings auch zu Protesten in ihrer Nachbarschaft kam, glaubten die Saudis, dass die Führung in Teheran die schiitischen Minderheiten am Golf angestachelt habe – mit dem Ziel, die Vorherrschaft der Sunniten zu brechen. Auch deshalb fliegt eine Militär-Allianz unter Riads Führung Angriffe auf Stellungen der schiitischen Huthi. Offiziell heißt es, man wolle den Jemen stabilisieren und den gestürzten Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi wieder in sein Amt einzusetzen. Gelingt dies nicht, drohe ein zweites Libyen.

Wer sind die Huthis?

Die Huthis sind eine schiitisch geprägte, militärisch-politische Bewegung mit breiter Unterstützung in der Bevölkerung und mutmaßlichen Verbindungen zum Iran. Die Miliz hat ihren Ursprung im jemenitischen Bürgerkrieg der 90er Jahre. Denn die Huthis fühlen sich seit Langem von der sunnitischen Zentralregierung benachteiligt. Immer wieder gab es Aufstände, gegen die Regierungssoldaten massiv vorgingen. Vom Norden kommend konnten die gut gerüsteten Huthis schließlich ihre Macht über weite Teile des Landes ausdehnen. Mitte 2014 gelang es ihnen sogar, die Hauptstadt Sanaa einzunehmen. Sie sind seitdem de facto die Machthaber im Jemen.

Allerdings: Auch das Vorgehen der Huthis ist umstritten. Zum einen fehlt ihnen die Legitimität einer Wahl. Zum anderen sei der Jemen unter den Huthis repressiver geworden als jemals zuvor, sagt Mareike Transfeld. Und die Worte auf der Huthi-Fahne lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Gott ist groß! Tod Amerika, Tod Israel, verflucht seien die Juden! Sieg dem Islam!“ Dennoch: Eine Lösung des Konflikts ohne ihre Einbindung gilt als kaum vorstellbar.

Welche Rolle spielt der frühere Langzeitherrscher Saleh?

Ali Abdullah Saleh lenkte jahrzehntelang die Geschicke des Landes. Aber er war während seiner Amtszeit zwischen 1978 und 2011 alles andere als ein geachteter Präsident. Seine Macht gründete vielmehr darauf, dass er alle wichtigen Posten mit Vertrauten besetzte. Als Saleh nach 34 Jahren Herrschaft von einer breiten Protestbewegung wegen seines autoritären Regierungsstils und fehlender Reformbereitschaft zum Rücktritt gezwungen wurde, hinterließ er einen Staat am Rande der Anarchie. Inzwischen befindet sich Saleh wieder im Jemen und hat seine Macht mit Unterstützung der Huthis, die einst seine Todfeinde waren, weiter ausgebaut

Kann der jetzige Präsident die Situation unter Kontrolle bringen?

Vermutlich nicht. Hadi ist zwar formal Jemens Präsident – er wurde im Februar 2012 mit 99,8 Prozent der Stimmen gewählt –, doch de facto machtlos. Wie wenig Rückhalt Hadi besitzt, wurde sichtbar, als die Huthis 2014 die Hauptstadt Sanaa einnahmen: Die Armee soll dem Einmarsch der Rebellen tatenlos zugesehen haben. Hadi musste fliehen, erhielt Asyl in Saudi-Arabien und versucht, sich von dort aus als Präsident zu behaupten. Die internationale Gemeinschaft sieht in Hadi zwar den legitimen Präsidenten des Jemen. Aber großes Vertrauen genießt der 71-Jährige nicht.

Wie könnte eine Lösung aussehen?

Das ist völlig unklar, bisher sind alle Friedensgespräche gescheitert. Aber keine der beiden Seiten scheint stark genug, sich gegen die andere durchzusetzen. Die Saudis kontrollieren zwar den Luftraum, aber der Einsatz verschlingt Millionen und blieb bisher ohne nennenswerten Erfolg. Die Huthis sind ein Machtfaktor, den niemand ignorieren kann. Daher spricht vieles dafür, dass Gewalt, Chaos und Not zum Dauerzustand werden – mit katastrophalen Folgen für die Menschen.

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