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Ringen um die Demokratie: Der neue Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier appelliert im Bundestag an seinen türkischen Kollegen Erdogan.

© Sophia Kembowski / dpa

Antrittsrede des Bundespräsidenten: Botschaften an Erdogan und andere

Frank-Walter Steinmeier macht im Bundestag deutlich, dass er klare Worte nicht scheut und als Bürgerpräsident nicht nur vor Politikern reden will.

Von Hans Monath

Manchmal sind in den Zeremonien der Demokratie die schönsten Momente jene, in denen etwas Ungeplantes passiert, das der Veranstaltung alles Steife und Formelle nimmt. Am Mittwochmittag hat Frank-Walter Steinmeier im Bundestag gerade seinen Amtseid als Bundespräsident abgelegt und steht nun neben der Deutschlandflagge rechts hinter der Regierungsbank. Er hat die Hände vor dem Bauch verschränkt, genießt den Applaus des Hohen Hauses und lächelt dabei. Dem Bundestagspräsidenten dauert das zu lange. Jedenfalls ermuntert Norbert Lammert das neue Staatsoberhaupt mit einer ironischen Bemerkung, den nächsten Schritt zu tun: "Niemand, Herr Bundespräsident, wäre überrascht, wenn Sie jetzt auch etwas zu uns sagen", meint Lammert und fügt hinzu: "Jedenfalls möchte ich Sie dazu herzlich einladen."
Natürlich ist die Rede Steinmeiers jenseits des juristischen Akts der Eidesformel der spannendste Punkt in dieser gemeinsamen Sitzung von Bundestag und Bundesrat. Eine leichte Aufgabe für den neuen Präsidenten ist sie nicht. Eben hat noch Vorgänger Joachim Gauck mit volltönender Stimme und pastoralem Pathos dafür plädiert, den Kampf mit den Gegnern der Demokratie aufzunehmen, nachdem Lammert und Bundesratspräsidentin Malu Dreyer seine Arbeit als Glücksfall für die Republik gewürdigt hatten – unter Salven von Beifall von allen Seiten. Steinmeier wird selbst wissen, dass er weder den Charme von Gaucks ungewöhnlicher Biografie vorweisen kann noch über dessen herausragendes rhetorisches Talent verfügt.

Also steigt der Ex-Außenminister mit einem großen Lob für den Vorgänger ein und ist damit schon bei der Aufgabe, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte zu verteidigen. Das bringt ihn schnell zur Türkei und zu einem überraschenden Appell: "Präsident Erdogan, gefährden Sie nicht das, was Sie mit anderen aufgebaut haben!" – "Beenden Sie die unsäglichen Nazi-Vergleiche!" – "Geben Sie Deniz Yücel frei!"

Mit seiner ersten starken Botschaft nimmt der Bundespräsident Partei in einen Großkonflikt, der nicht nur in der Türkei die Gemüter erhitzt. Die Deutlichkeit der Warnung an Erdogan und die ultimative Aufforderung, Deniz Yücel freizulassen, sind auch ein wichtiges Signal an die, die ihm gerade im Plenum des Bundestages zuhören. Steinmeier will unter Beweis stellen, dass er die Rollen gewechselt hat – vom operativ agierenden deutschen Außenminister zum Staatsoberhaupt, das nur durch Worte wirken kann. Als Chefdiplomat hatte er immer wieder entschieden vor der Inszenierung rein symbolischer Konflikte gewarnt – etwa im Streit über den Empfang des Dalai Lama durch die Kanzlerin oder die Armenien-Resolution des Bundestages. Das trug ihm damals viel Kritik ein.

Schaut her: Ich habe keine Scheu vor Konflikten

Jetzt demonstriert er, dass er in der neuen Rolle keine Scheu davor hat, selbst den Konflikt zu suchen, wenn es um Grundwerte geht. Im Plenum kommt das an: Nicht nur die Koalitionsfraktionen und die Grünen applaudieren heftig, sondern auch die Linksfraktion.

Es ist keine mitreißende Rede, die Steinmeier in mehr als 30 Minuten entfaltet, aber eine, die viele im Saal zu überzeugen scheint: Mehr als zwanzig Mal spendet das Hohe Haus Beifall. Dass er der CDU-Kanzlerin von SPD-Chef Sigmar Gabriel als Kandidat für das Amt aufgezwungen wurde, scheint an diesem Tag keine Rolle mehr zu spielen. Auch Angela Merkel klatscht häufig. Steinmeier verspricht, er werde überparteilich sein, aber nicht neutral: "Ich werde parteiisch sein – parteiisch für die Sache der Demokratie", erklärt der 61-Jährige.

Als Mutmacher hatte Steinmeier seine Rolle als Staatsoberhaupt schon vor der Antrittsrede definiert – und auf dieses Motiv kommt er nun wieder zurück. "Die Wahrheit ist doch: Eine neue Faszination des Autoritären ist tief nach Europa eingedrungen", warnt er. Die liberale Demokratie stehe "unter lautem Beschuss von Radikalismus und Terrorismus". Und Deutschland sei nicht immun gegen weltweite Trends. Geht es nach ihm, müssen die Bürger ihre Demokratie selbstbewusst verteidigen. "Wir müssen über die Demokratie nicht nur reden – wir müssen wieder lernen, für sie zu streiten", ruft er. Mut sei "das Lebenselixier der Demokratie". So wie die Angst der Antrieb von Diktatur und Autokratien sei.

Immunisieren gegen schlechte Stimmung könne sich Demokratie vor allem durch eine offene Debatte über Ängste und Fehler, sagt Steinmeier – denn sie sei die einzige Staatsform, die sich Fehler leisten und sie selbst korrigieren könne.

Und noch etwas kündigte Steinmeier an: Er will nicht nur in Festsälen und Parlamenten reden, sondern direkt mit vielen Bürgern, die Verantwortung übernehmen – bei der Feuerwehr, im Sportklub oder im Hospiz. Da blitzt sie kurz auf, die Figur des Bürgerpräsidenten, die einst Gustav Heinemann geschaffen hatte.

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