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Gregor Gysi

© Rainer Jensen/dpa

"Antisemitische Argumentationsmuster": Nach der Jagd auf Gysi entlädt sich die Wut in der Linken

Drei Linken-Bundestagsabgeordnete standen Spalier, als Fraktionschef Gregor Gysi von Israel-Hassern bis auf die Bundestagstoilette verfolgt wurde. Dutzende Funktionäre wollen mit ihnen nichts mehr zu tun haben.

Von Matthias Meisner

Nach der Verfolgungsjagd gegen Linksfraktionschef Gregor Gysi durch zwei extrem Israel-kritische Journalisten eskaliert der Streit in der Linkspartei. Dutzende führende Genossen fordern in einer Erklärung "Ihr sprecht nicht für uns" den Rückzug der drei Bundestagsabgeordneten Annette Groth, Inge Höger und Heike Hänsel, die am Montagnachmittag bei der Aktion Spalier standen. Ebenso wie Parteivorstandsmitglied Claudia Haydt "sprechen sie nicht in unserem Namen", heißt es in dem am Freitagabend veröffentlichten Aufruf: "Wir fordern sie auf, Konsequenzen zu ziehen."

Zu den Erstunterzeichnern gehören Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn, die Chefin der Linken im Europaparlament, Gabi Zimmer, und der Vizechef der Linken-Bundestagsfraktion, Jan Korte. Insgesamt elf Bundestagsabgeordnete haben bislang die Erklärung unterzeichnet, darunter auch Halina Wawzyniak und Stefan Liebich aus Berlin sowie die Parlamentsgeschäftsführerin Petra Sitte. Neben weiteren Europaabgeordneten unterstützen auch zahlreiche führende Landespolitiker den Appell, so der Berliner Landesvorsitzende Klaus Lederer, der Chef der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus, Udo Wolf, sowie die Landtags-Fraktionschefs aus Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, Helmut Holter und Wulf Gallert.

Scharf kritisieren die Unterzeichner die Übergriffe gegen Gysi durch die Journalisten Max Blumenthal und David Sheen. Sie greifen die beiden aber auch inhaltlich an und werfen ihnen vor, "unzulässige Vergleiche Israels mit der deutschen Nazidiktatur und den Terroristen des ,Islamischen Staats' zu ziehen".

"Aufgeladenen Mob angeführt"

Die beiden Journalisten waren von Höger und Groth, die zum linken Flügel der Partei gehören, zu einem "Fachgespräch" am Montag in den Bundestag eingeladen worden, nachdem Gysi unterbunden hatte, dass im Namen der Linksfraktion am vergangenen Sonntag in der Volksbühne - ausgerechnet also am Jahrestag der Reichspogromnacht - sowie tags darauf im Fraktionssitzungssaal der Linken getagt werden konnte. Vom "Fachgespräch" aus, an dem rund 60 Leute teilgenommen hatte, zog ein Trupp zum Gysi-Büro, lauerte ihm dort auf und verfolgte ihn bis auf die Bundestagstoilette.

Mehrere Beteiligte filmten mit ihren Handykameras, ein Video dazu - gedreht von dem ebenfalls hoch umstrittenen Journalisten Martin Lejeune - ist bei Youtube abrufbar. Am Donnerstagabend feierte der Kreml-Sender RT in seinem deutschen Programm die "Gysi-Jäger", interviewte Blumenthal und befragte Lejeune als Studiogast.

Die Unterzeichner des Aufrufs sind dagegen "beschämt" über das Verhalten ihrer Genossinnen. Sie hätten einen "aufgeladenen Mob" angeführt und nicht verhindert, dass Gysi bedrängt und bedroht wurde, schreiben die Autoren. Groth, Hänsel, Höger und Haydt würden nicht die Ideale und Werte der Partei vertreten.

In der Erklärung heißt es weiter, während des "Fachgesprächs" zu Boykottkampagnen gegen Israel aufgerufen und behauptet worden, der Zionismus habe sich zu einem weltweiten Rassismus entwickelt. Auch hätten Teilnehmer palästinensische Opfer der jüngsten militärischen Auseinandersetzung zwischen der Hamas und Israel als indirekte Opfer des Holocausts bezeichnet, "all dies ohne einen einzigen wahrnehmbaren Widerspruch seitens Inge Höger, Annette Groth, Heike Hänsel und Claudia Haydt".

"Relativierung des Holocaust befördert"

Der Beschluss der Bundestagsfraktion zum #Toilettengate sei nicht ausreichend, heißt es weiter. Die Bundestagsfraktion hatte die Aktion gegen Gysi am Dienstag "auf das Schärfste" verurteilt und eine künftige Zusammenarbeit mit Sheen und Blumenthal ausgeschlossen., aber keine personellen Konsequenzen von den direkt oder indirekt beteiligten Abgeordneten verlangt.

In dem Aufruf heißt es: "Wiederholt müssen wir konstatieren, dass sich - allen wiederholten Bekenntnissen zu einer differenzierten Sicht auf den Nahostkonflikt zum Trotz - Mitglieder unserer Partei in verantwortlichen Positionen durch Schürung obsessiven Hasses auf und der Dämonisierung von Israel antisemitische Argumentationsmuster und eine Relativierung des Holocausts und der deutschen Verantwortung für die millionenfache Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden befördern."

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Für die Zukunft wollen die Unterzeichner das ausschließen. Sie seien es leid, so schreiben sie, dass solche Haltungen und Handlungen in der Linken "immer wieder folgenlos bleiben, als Petitesse betrachtet werden". Denn das, "so sind wir überzeugt, muss als Ermutigung verstanden werden, so weiter zu machen".

Genau erklärt wird in dem Aufruf nicht, welche Konsequenzen konkret von den vier Politikerinnen gefordert werden. In der Partei in der Diskussion ist bei den drei Bundestagsabgeordneten sowohl der Verzicht auf die Sprecherposten in der Fraktion als auch ein Mandatsverzicht. Sollten die Abgeordneten indes als fraktionslose Abgeordnete im Bundestag bleiben, würde Gysi seine Oppositionsführerrolle einbüßen - die Linke hat derzeit im Bundestag nur ein Mandat mehr als die Grünen.

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