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Angela Merkel erklärt sich und ihre Flüchtlingspolitik.

© dpa

Angela Merkel bei Anne Will: Die Kanzlerin Ihres Vertrauens

Merkel bleibt standhaft: Nein, einen Plan B hat sie nicht, jedenfalls keinen, der verkündet werden dürfte. Desto dichter drängt sich die Frage auf: Was taugt ihr Plan A? Ein Kommentar

Ein Kommentar von Malte Lehming

Am Tag, nachdem Angela Merkel bei einem Solo-Auftritt in der Sendung „Anne Will“ ihre Flüchtlingspolitik klar, einfach und menschlich einem Millionenpublikum näher gebracht hatte, liefen diese vier Meldungen über den Ticker: „Mazedonische Polizei setzt Tränengas gegen Flüchtlinge ein“; „Frankreich beklagt Bruch der Feuerpause in Syrien“; „UN: Tausende Menschen in Syrien vom Hungertod bedroht“; „Vierte Attacke in Folge auf eine Flüchtlingsunterkunft im Sauerland“. Der Kontrast ist scharf: Hier die Kanzlerin, die trotz der wichtigen Landtagswahlen in zwei Wochen standhaft bleibt, Prinzipien vertritt, jedes Ansinnen nach einem Kurswechsel zurückweist, um Geduld und Vertrauen wirbt und zuletzt gar die Kraft der Autosuggestion beschwört – „wenn nur genug daran glauben, können wir Berge versetzen“. Und auf der anderen Seite die „bruta facta“ einer Wirklichkeit, innerhalb derer sich Merkels Strategie bewähren muss. Nein, einen Plan B hat sie nicht, jedenfalls keinen, der verkündet werden dürfte. Desto dichter drängt sich die Frage auf: Was taugt ihr Plan A?

Der Einfluss Deutschlands ist klein

Merkel will die Fluchtursachen bekämpfen, die EU-Außengrenzen schützen, die Zusammenarbeit mit der Türkei intensivieren, Griechenland helfen, Europa zusammenhalten. Von der Summe dieser Maßnahmen verspricht sie sich einen deutlichen Rückgang der Flüchtlingszahlen. Doch hinter jeder Maßnahme steht ein dickes Fragezeichen. Der deutsche Einfluss auf die Ereignisse in Syrien ist klein, Wladimir Putin und Baschar al Assad diktieren die Bedingungen. Die EU-Außengrenzen wiederum sind lang. Ob die Türkei ein verlässlicher Partner ist, steht in den Sternen des Himmels über Kurdistan. Griechenland ist vom Flüchtlingsstau überfordert. Und wie soll die Einheit Europas gewahrt werden, wenn eine faire Verteilung der Flüchtlinge auf 28 EU-Staaten so unwahrscheinlich bleibt, wie sie immer war? Merkel verströmt Hoffnungen, die eine nüchterne Analyse der Lage nicht nähren.

Ist überhaupt etwas in dieser historischen Krise von Dauer?

Auch deshalb gelang es der Kanzlerin am Sonntagabend nicht, einen zentralen Widerspruch in ihrer Botschaft aufzulösen. Da ist einerseits ihr Weg, ihr Kurs, für den zu kämpfen sie als ihre „verdammte Pflicht und Schuldigkeit“ empfindet. Ob der jedoch zum Erfolg führt, gemessen etwa an benennbaren Zahlen, lässt sie offen. In einer so ernsten Phase der Debatte wolle sie nichts versprechen, „was drei Wochen hält und nachher nicht mehr“. Aber was hält länger? Ist überhaupt etwas in dieser für Deutschland und Europa historischen, ja schicksalsmächtigen Krise von Dauer? Das Drama in Griechenland, ausgelöst durch das Schließen der Balkanroute, ist ja nur das jüngste Beispiel einer Entwicklungskette, deren Dynamik bis zum entscheidenden EU-Türkei-Gipfel am kommenden Montag niemand genau berechnen kann.
Ins Gedächtnis prägt sich daher vor allem Merkels fast flehentliche Bitte ein: Vertraut mir! Der Adressat sind freilich nicht allein die Deutschen, sondern alle Europäer. Zwei mögliche Gründe gibt es, Merkel dieses Vertrauen zu entziehen. Entweder weil jemand eine überzeugende Alternative vorweist, wie die Krise humanitär gelöst werden kann, oder weil Merkel aus charakterlichen Gründen ein solches Vertrauen nicht verdient hat. Punkt eins ist nicht bekannt, für Punkt zwei fehlen die Indizien. Also: Vertraut ihr! Das klingt nach sehr wenig und könnte doch alles sein, was bleibt.

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