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Das Wachstum der meisten afrikanischen Ökonomien fußt noch immer darauf, dass Rohstoffe unverarbeitet exportiert werden. Das Foto zeigt zwei Arbeiter auf einer Ölplattform vor der westafrikanischen Atlantikküste.

© imago

Afrika und die Wirtschaft: Längst nicht mehr der „verlorene Kontinent“

Zur Jahrtausendwende galt Afrika als der „verlorene Kontinent“. Ökonomen sehen ihn nun rosiger. Der Boom beruht aber immer noch auf Rohstoffen.

Nach einer langen Phase des Stillstands scheint es seit ein paar Jahren in einigen Ländern Afrikas wirtschaftlich bergauf zu gehen. Eine Studie der Commerzbank, aber auch das jüngste Bulletin der Afrikanischen Entwicklungsbank prognostizieren, dass die 48 Länder südlich der Sahara in diesem Jahr mit rund sechs Prozent schneller als die meisten anderen Regionen der Welt wachsen und sich zu lukrativen Märkten entwickeln würden. Ähnlich enthusiastisch klingen die Unternehmensberater von A. T. Kearney, die den Kontinent gerade auf seine Attraktivität für internationale Einzelhändler hin untersucht haben. Selbst der britische „Economist“, der noch zur Jahrtausendwende von Afrika als dem „verlorenen Kontinent“ gesprochen hatte, titelte angesichts der vermeintlich wachsenden Mittelklasse und größeren politischen Stabilität zuletzt voller Begeisterung „Africa rising“ (Afrika erhebt sich).
Dass Subsahara-Afrika auch Erfolgsgeschichten schreibt, beweisen die gerne angeführten (Ausnahme-)Staaten Mauritius und Botswana. Die kleine Inselrepublik punktet nicht nur dank des Tourismus, sondern wegen ihrer erfolgreichen Freihandelszonen für die Textilindustrie. Und in dem dünn besiedelten Steppenland Botswana haben sich Diamanten letztlich als Stütze der Demokratie erwiesen. Denn: Botswanas Regierung investiert die hohen Einnahmen in die Infrastruktur, das Gesundheits- sowie das Telekommunikationswesen – und lässt sie nicht wie andernorts in Afrika in den Taschen der Machthaber verschwinden.

Experten warnen vor blinder Euphorie

Für blinde Euphorie besteht dennoch kein Anlass. Seit den 1980er Jahren habe es in Sachen Afrika immer wieder „wahre Euphoriewellen“ gegeben, warnt Robert Kappel, der langjährige Präsident des Hamburger Giga-Forschungsinstituts. „Was kam, waren dann meist Enttäuschungen.“ Wer sich in den afrikanischen Metropolen jenseits der Stadtzentren umschaut, erkennt dort oft kaum größere Unterschiede zur Lage vor 20 Jahren: Zwar besitzen die meisten Afrikaner inzwischen fast überall ein Handy, doch ist die Infrastruktur noch immer marode. Auch fehlt fast überall eine zuverlässige Energieversorgung. Ständige Stromausfälle sind in ganz Afrika eine alltägliche Erfahrung; eine geordnete Industrieproduktion ist so fast unmöglich. „Während rund zehn Prozent des Sozialprodukts weiterhin in Militärausgaben fließen, bleibt für die Infrastruktur weniger als die Hälfte davon“, moniert der Ökonom Greg Mills, Chef der Johannesburger Brenthurst Foundation. Kein Wunder, dass die Transportkosten etwa in Ghana mehr als dreimal so hoch sind wie in Thailand und der Handel innerhalb Afrikas nur für rund zehn Prozent aller Exporte des Kontinents verantwortlich ist.

Noch immer wird das Wachstum vor allem von Rohstoffausfuhren getrieben

Auch mehr als 50 Jahre nach der Unabhängigkeit fußen fast alle Volkswirtschaften in Afrika immer noch auf einem einzigen Rohstoff, der fast immer unverarbeitet nach Übersee exportiert wird. Bis heute produziert Afrika nur ein Prozent der weltweit hergestellten Waren. Niemand weiß derzeit, wie angesichts der versäumten Industrialisierung des Kontinents Jobs geschaffen werden sollen für eine Bevölkerung, die nach jüngsten Projektionen bis 2050 um sagenhafte 50 Prozent auf dann 2,7 Milliarden Menschen wachsen dürfte.

Dass diesmal alles ganz anders sein soll, ist schon deshalb eher unwahrscheinlich, weil selbst vermeintliche Erfolgsgeschichten wie Ghana Anlass zur Vorsicht geben. Erst in diesen Monat verhängte das westafrikanische Musterland strikte Devisenkontrollen, die in- und ausländischen Geschäftsleuten die Arbeit vor Ort gewaltig erschweren. Verantwortlich dafür sind die extrem stark gestiegenen Ausgaben für seine Staatsbeamten, die inzwischen 70 Prozent des Haushalts verschlingen. Daneben sind die Staatsfinanzen von Importen gebeutelt worden, die Ghana zum Aufbau einer eigenen Ölindustrie braucht. Anders als erwartet, sind die Importkosten nicht durch höhere Ausfuhrerlöse von Gold und Kakao kompensiert worden, die mit dem Öl fast drei Viertel der ghanaischen Exporteinnahmen ausmachen. Auch in Tansania gefährden Öl und Gas die Stabilität des bislang politisch weitgehend ruhigen Landes, weil sich die Landbevölkerung dort beim Bau der Pipelines von den Chinesen völlig übergangen fühlt.

Zahlenakrobatik und ungewisse Statistiken

Wie irreführend Zahlen sein können, zeigt Nigeria, das durch eine Neuberechnung seine Wirtschaftsleistung mit einem Federstrich von bisher 300 Milliarden US-Dollar auf rund 450 Milliarden Dollar vergrößerte – und damit an Südafrika mit seinem Sozialprodukt von 350 Milliarden Dollar locker vorbeizog. Möglich wurde dies, indem Sektoren wie Telekommunikation und Unterhaltungsbranche von der Statistikbehörde plötzlich stärker gewichtet wurden. Für den gewöhnlichen Nigerianer haben die statistischen Kunstgriffe indes keinerlei Relevanz: So leben noch immer rund 130 Millionen der insgesamt wohl 175 Millionen Nigerianer in bitterster Armut und von weniger als zwei Dollar am Tag. Auch bleibt Südafrika schon wegen seiner weit überlegenen Infrastruktur und Institutionen, aber auch seines sehr viel größeren Kapitalmarktes für viele Unternehmen eine weit attraktivere Einstiegsluke in den Kontinent, als die nun vermeintlich größte Volkswirtschaft im Westen des Kontinents, betont Yvette Babb von der Standard Bank.

Die Zahlenakrobatik in Nigeria ist nur ein Beispiel dafür, dass in Afrika scheinbar verlässliche Zahlen oft allenfalls bloße Schätzungen sind. „Ohne solche Erhebungen ist es jedoch schlicht unmöglich, Armut und wirtschaftliche Fortschritte tatsächlich zu messen“ mahnt Morten Jerven in seinem Buch „Poor numbers“, das sich mit den mannigfachen statistischen Problemen in Afrika beschäftigt. Schon deshalb kann derzeit auch niemand mit Gewissheit sagen, ob das noch immer stark vom weltweiten Rohstoffboom getragene Wachstum in Afrika diesmal wirklich nachhaltiger als früher ist – oder sich am Ende doch wieder nur als ein Strohfeuer entpuppt.

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