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Mehr Soldaten in Afghanistan - bringt das was?

© dpa

Afghanistan-Experte: „Nötig wäre der Aufbau eines funktionierenden Staates“

Der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig vom Afghan Analysts Network über Donald Trumps Pläne einer Truppenaufstockung am Hindukusch. Ein Interview.

Von Michael Schmidt

Herr Ruttig, machen ein paar tausend Soldaten mehr oder weniger in Afghanistan irgendeinen Unterschied für das Land?

Die Frage ist: Unterschied wofür? Donald Trump sagt ja, er möchte damit den Krieg gewinnen. Das wird weder mit 8000 noch mit 12000 Soldaten klappen. Barack Obama ist es seinerzeit sogar mit einer Aufstockung der internationalen Truppen auf 140000 Soldaten nicht gelungen, die Taliban zu schwächen. Die haben heute mehr Einfluss, beherrschen ein größeres Gebiet als je zuvor nach 2001.

Was bringt eine Aufstockung dann?

Die Truppen sollen Zeit kaufen. Sie sollen verhindern, dass die Taliban auch militärisch die Macht übernehmen. Gleichzeitig müsste die afghanische Regierung gestärkt werden in dem, was sie der eigenen Bevölkerung gegenüber abliefert. Damit kollidieren die Pläne des US-Präsidenten, wenn der ausdrücklich betont, in Zukunft keinen Demokratieexport mehr betreiben zu wollen. Gerade der Aufbau eines funktionierenden Staates wäre aber nötig. Afghanistan ist ein pluralistisches Land, ethnisch, religiös, politisch – da braucht es ein System des Interessenausgleichs.

Was erwarten Sie für den Fall, dass Trumps Strategie umgesetzt wird?

Ich befürchte, dass er versuchen wird zu eskalieren – und irgendwann merkt, dass es nicht reicht, militärisch erfolgreich zu sein – wenn er es denn sein sollte –, sondern politische Institutionen aufbauen muss. Bis dieser Lernprozess erfolgt, wird wieder viel Zeit vergeudet worden sein.

In den vergangenen 16 Jahren sind Milliarden in die Entwicklung des Landes geflossen. Wird irgendetwas von dem Erreichten Bestand haben?

Das ist die große Frage. Es ist eine Menge geschafft worden, aber wie nachhaltig, das ist fraglich.

Es gibt Wahlen...

Was immer wieder als sehr oberflächliches Kriterium für die demokratische Verfasstheit des Landes kritisiert worden ist. Aber selbst dieses Kriterium erfüllt Afghanistan nicht vollständig: Der Präsident ist zwar gewählt worden, aber die Parlamentswahlen sind seit drei Jahren überfällig. Das heißt, es fehlen die checks and balances. Das schlägt sich nieder im Alltagsleben der Bürger. Wenn das System überzentralisiert ist in der Hand eines Präsidenten, von dem jeder Zweite glaubt, er fördere ohnehin nur die Angehörigen seiner eigenen Ethnie, dann bleibt das nicht ohne Folgen für die Stabilität eines Landes. Da reicht es nicht einen Krieg gegen die Taliban zu führen oder Al Qaida und den IS zu zerschlagen. Viele Afghanen haben den Eindruck, dass die Taliban, dort, wo sie herrschen, besser funktionieren als der Staat.

Also: Das politische System funktioniert nicht, die Wirtschaft kommt nicht auf die Beine...

... das ist das noch viel größere Problem: Zwischen 80 und 95 Prozent des afghanischen Budgets kommen aus dem Ausland.

Einzig der Drogenanbau boomt?

Der Drogenanbau hält die zehn Prozent der Bevölkerung, die daran beteiligt sind, am Leben. Verdient wird in diesem Bereich aber vor allem mit dem Schmuggel – und den beherrschen Leute aus afghanischen Politik, sehr viel stärker als etwa die Taliban: Die eigentliche Drogenmafia sitzt in Kabul und den Provinz- und Distrikthauptstädten.

Also das, was man unter Entwicklung verstehen könnte, politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich, findet nicht statt. Und die Sicherheit, die Voraussetzung für Entwicklung ist, erodiert auch?

In den ersten sechs Monaten dieses Jahres sind 1700 Zivilisten ums Leben gekommen. Die Verluste bei den Streitkräften sind auch sehr hoch. Die Zahl der Binnenvertriebenen ist steil in die Höhe geschnellt. Und die Taliban weiten ihre territoriale Herrschaft aus. Das zeigt: Der Konflikt findet weiter in großer Intensivität statt. Wenn jetzt mehr Truppen reingehen, mehr Special Forces, heißt das, der Konflikt eskaliert noch weiter und es gibt noch weniger Raum für Wiederaufbau und Entwicklung.

Also: Nichts ist gut in Afghanistan?

Einiges ist besser geworden, aber nichts wirklich gut. Der Westen hat es versäumt, die demokratische Teilhabe der 30 Millionen Afghanen zu fördern, sondern stattdessen auf die Warlords gesetzt. Auf westlicher Seite überwog die Skepsis: Können die das? Können Muslime das? Mit diesem Bildungsniveau? Ich sage: Natürlich können die das. Sie sind arm, aber nicht dämlich.

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