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Ägyptens Präsident Al Sisi in Berlin: Diktator auf rotem Teppich

Die Menschenrechtsverletzungen in Ägypten sprengen jede Dimension. Trotzdem ist es richtig, dass Joachim Gauck und Angela Merkel den Präsidenten Abdel Fattah al Sisi zu einem Staatsbesuch in Berlin empfangen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Martin Gehlen

Norbert Lammert ist dafür bekannt, dass er Klartext reden kann. Fast zwei Jahre lang hat das politische Berlin mit sich gerungen, wie es umgehen soll mit den neuen, rabiaten Machthabern rund um Ex-Feldmarschall Abdel Fattah al Sisi in Kairo. Die Menschenrechtsverletzungen am Nil sprengen jede Dimension, während die Zahl der Bombenanschläge und Attentate exponentiell steigt. Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres gingen schon mehr Sprengsätze hoch als im gesamten Jahr zuvor. Doch Ägyptens herrschende Klasse rührt das genauso wenig wie die nackte Armut von mindestens der Hälfte der eigenen Landsleute. Stattdessen inszeniert sie sich als globales Vorbild im Kampf gegen den Terror, als der einzige noch aufrechte Titan im Nahen Osten gegen die Apokalypse des militanten Islamismus. Jeder, der zur Mäßigung rät, wird als Naivling, ausländischer Agent oder verkappter Muslimbruder verteufelt.

Genüsslich ergehen sich die neuen Einpeitscher am Nil in ihren Vernichtungsfantasien gegen gut ein Drittel der eigenen Bevölkerung. Und so schaukeln sich Repression und Gewalt weiter hoch. Tausende verschwinden auf Nimmerwiedersehen in den Folterkerkern. Bei Todesurteilen ist das Land inzwischen Rekordhalter auf dem Globus. Und die Justiz bildet die pseudorechtliche Kulisse für einen immer maßloseren Rachefeldzug gegen alle, die politisch anders denken. Wer demonstriert, riskiert sein Leben oder zumindest eine lange Gefängnisstrafe. Nahezu hundert Menschen wurden in den letzten beiden Jahren in der Haft zu Tode gequält. Deutsche politische Stiftungen werden kriminalisiert, selbst Fußfall-Fanclubs sind inzwischen als Terrororganisationen verboten. Den meisten Parteien wurde unter Sisi das Licht ausgeblasen, während die Parlamentswahl in immer weitere Ferne rückt.

Ägypten - der großzügige Partner

Obendrein will das Regime nun auch die gesamte von ihm mit Gewalt gestürzte ehemalige Staatsspitze der Muslimbruderschaft an den Galgen bringen, allen voran den Ex-Präsidenten Mohammed Mursi. Insofern war Lammerts Intervention ein notwendiger Schuss vor den Bug des alerten Ex-Feldmarschalls, der offenbar nichts dabei findet, mit dem nächsten Schwung von Massentodesurteilen in der Tasche seelenruhig neben dem Bundespräsidenten über den roten Teppich zu schreiten und danach beim Abendessen schwülstige Reden über Ägyptens Weg in die Demokratie zu halten.

Deutschland steht in Kairo nach wie vor hoch im Ansehen. Sisi weiß, dass er die Kompetenz bei beruflicher Bildung, Universitätspartnerschaften oder der Hochtechnologie nicht von seinen neuen autoritären Gesinnungsfreunden in Russland oder am Golf bekommen kann. Auch ist Deutschland – anders als die USA, Großbritannien und Frankreich – in Ägypten nicht als Kolonialmacht in negativer Erinnerung und galt immer als wohlwollender und großzügiger Partner. Insofern ist es richtig, dass Joachim Gauck und Angela Merkel trotz aller berechtigten Kritik an dem Staatsbesuch Sisis festgehalten haben. Denn die Alternativen wären Schweigen, Misstrauen, weitere Abschottung und noch weniger Einfluss auf das erratische Geschehen am Nil. Denn wer nicht redet, kann auch keine Kritik üben. Und er kann sich nicht mehr einsetzen für das letzte Häuflein Aufrechter, die ihren arabischen Frühlingstraum von Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie noch nicht aufgegeben haben.

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